DOI Artikel:
Poritzky, Jakob E.: Die künstlerischen Probleme der menschlichen Gestalt
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.22030#0764
DIE KÜNSTLERISCHEN PROBLEME
Er will sein Werk schöner als das Werk der Natur.
Er sagt ihr, daß sie eine Stümperin sei, und daß,
wäre er der Schöpfer, die Frauen wirklich die Krone
der Schöpfung sein würden. Freilich, er sagt es
nicht immer, und wir beklagen die sehr häufigen
Fälle, wo der Künstler an der Natur herumstümpert,
wo er weit hinter ihrem Können zurückbleibt. Wenn
ich mir einen schönen photographischen Akt ansehe
und ihn mit manchen modernen Skulpturen oder
Bildwerken vergleiche, ist es zweifellos, daß ich der
Natur den Preis zuerkenne, die bei der Schaffung
eines Menschen fast immer künstlerischen Sinn offen-
bart und die Bütte der Schönheit mit vollen Händen
über ihre Werke auszuschütten liebt. Aber wir
haben Werke gesehen von Künstlerhand, die Ab-
scheu erregen müsen, Werke, die keine Verherr-
lichung der menschlichen Formen waren, sondern
Gott weiß was!
Es wird noch klarer werden, was ich unter
„künstlerisch" verstehe, wenn man beispielsweise
„Die Nacht'' Michelangelos mit einem Akt, der in die-
selbe Pose gebracht ist, vergleicht. Der Akt reprä-
sentiert die Natur, aber die künstlerische
Darstellung Michelangelos ist doch natürlicher und
der entsinnlichte Marmor wirkt viel eindringlicher
als ein lebendiger Akt. Wer noch weitere Kommen-
tare benötigt, wird mich nicht verstehen.
Die Erklärung des Künstlerischen war bisher
ausschließlich der Aesthetik vorbehalten. Diese ging
aber nie von einem bestimmten Kunstwerke aus,
sondern verlor sich in allgemeinen Betrachtungen
und rein begrifflichen Schlußfolgerungen. Die künst-
WETTBEWERB ZUM BERLINER KOLONIALKRIEGE :;DENKMAL. II. PREIS
ENTW.: HERMANN HAHN-MÜNCHEN UND ARCH. SATTLER-MÜNCHEN
657
Er will sein Werk schöner als das Werk der Natur.
Er sagt ihr, daß sie eine Stümperin sei, und daß,
wäre er der Schöpfer, die Frauen wirklich die Krone
der Schöpfung sein würden. Freilich, er sagt es
nicht immer, und wir beklagen die sehr häufigen
Fälle, wo der Künstler an der Natur herumstümpert,
wo er weit hinter ihrem Können zurückbleibt. Wenn
ich mir einen schönen photographischen Akt ansehe
und ihn mit manchen modernen Skulpturen oder
Bildwerken vergleiche, ist es zweifellos, daß ich der
Natur den Preis zuerkenne, die bei der Schaffung
eines Menschen fast immer künstlerischen Sinn offen-
bart und die Bütte der Schönheit mit vollen Händen
über ihre Werke auszuschütten liebt. Aber wir
haben Werke gesehen von Künstlerhand, die Ab-
scheu erregen müsen, Werke, die keine Verherr-
lichung der menschlichen Formen waren, sondern
Gott weiß was!
Es wird noch klarer werden, was ich unter
„künstlerisch" verstehe, wenn man beispielsweise
„Die Nacht'' Michelangelos mit einem Akt, der in die-
selbe Pose gebracht ist, vergleicht. Der Akt reprä-
sentiert die Natur, aber die künstlerische
Darstellung Michelangelos ist doch natürlicher und
der entsinnlichte Marmor wirkt viel eindringlicher
als ein lebendiger Akt. Wer noch weitere Kommen-
tare benötigt, wird mich nicht verstehen.
Die Erklärung des Künstlerischen war bisher
ausschließlich der Aesthetik vorbehalten. Diese ging
aber nie von einem bestimmten Kunstwerke aus,
sondern verlor sich in allgemeinen Betrachtungen
und rein begrifflichen Schlußfolgerungen. Die künst-
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