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Kamenzin, Manuel; Universität Heidelberg [Mitarb.]; Universität Heidelberg [Mitarb.]; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150-1349) — Mittelalter-Forschungen, Band 64: Ostfildern: Jan Thorbecke Verlag, 2020

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.62605#0088

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5. Fallstudie I: Heinrich (VII.)

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woraufhin dieser unbestimmt von einer „königlichen Person" gesprochen ha-
be.419 Die Forschung ging daher bislang davon aus, dass das Grab und die
Knochen nicht erhalten seien.420 Es ist somit eher unwahrscheinlich, dass die
Gebeine im Sarg, die später untersucht wurden, diejenigen Heinrichs (VII.) sind.
Vom Standpunkt der Geschichtswissenschaft muss bezüglich der Lepra-
Diagnose festgehalten werden: Eine Lepra-Erkrankung in der von den Medizi-
nern diagnostizierten Form lässt sich nicht mit den übrigen Quellen in Einklang
bringen. Darüber hinaus bestehen Zweifel hinsichtlich des Überlieferungswegs
der Knochen. Bevor eine weitere Diskussion angestoßen wird, sollten die un-
tersuchten Knochen mit einer naturwissenschaftlichen Datierung näher be-
stimmt werden, die vielleicht weitere Hinweise gibt. Bis dahin muss die paläo-
pathologische Diagnose mit Vorsicht betrachtet werden.
Der Tod Heinrichs (VII.) sticht aus der Überlieferung zu den Toden der
römisch-deutschen Könige des gesamten Mittelalters deutlich heraus. Zunächst
ist die Überlieferung recht dünn, allerdings auf fast alle in dieser Untersuchung
berücksichtigten Quellengattungen verteilt. Die einmalige Selbstmordzuschrei-
bung, die Instrumentalisierung im publizistischen Kampf zwischen Kaiser und
Papst und die erst im darauf folgenden Jahrhundert fassbare moralische Wertung
des Verstorbenen kennzeichnen diesen Tod drüber hinaus. Schließlich stellen die
paläopathologischen Befunde zu den Knochen aus Cosenza die Geschichtswis-
senschaft auf die Probe. Hier gilt es, sich den neuen Möglichkeiten nicht zu
verschließen, sondern die Ergebnisse, wie alle anderen Quellenzeugnisse auch,
der Methode der eigenen Disziplin entsprechend kritisch zu hinterfragen, mit
anderen Zeugnissen abzugleichen und zu interpretieren.
Eindrucksvoll führt der Tod Heinrichs (VII.) die Verkettung und Gebun-
denheit der Quellen an ihren Entstehungskontext gleichermaßen vor Augen.
Von den Briefen der kaiserlichen Kanzlei bis zu den Miniaturen in den Boccaccio-
Handschriften berichten Quellen verschiedenster Gattungen vom Tod des
Staufers. In den Auseinandersetzungen zwischen Papst und Kaiser in den 1240er
Jahren wurde in einem antikaiserlichen Schreiben der Selbstmord des Sohns als
Vorwurf gegen den Vater in die Welt gebracht und zeugte weniger vom Tod
Heinrichs als von den Entstehungsumständen des Texts. Dennoch wurde der
vermeintliche Selbstmord wirkmächtig: Zeitgenössische Schreiber diskutierten
die Variante, wägten ab und positionierten sich. Im folgenden Jahrhundert
schließlich löste sich der Selbstmord aus der Rolle des Vorwurfs und wurde nun
erst moralisch-ethisch auf den vermeintlich Verdammten selbst bezogen. Hein-
rich (VII.) fand nun als Selbstmörder in Wort und Bild Eingang in die spätmit-
telalterliche Unterhaltungsliteratur. Sein Ende als Selbstmörder wurde zwar
weiterhin durch eine zweite Variante in Frage gestellt, doch der Weg zur Ver-
stetigung war damit bereits geebnet. Bis in die heutige Forschung wird der
einstmalige päpstliche Vorwurf als hoch wahrscheinlich gehandelt. Mit den

419 Waldburg-Wolfegg, Südreich, S. 54.

420 Wolf, Heinrich VII., S. 471; Huth, Reichsinsignien, S. 325 f.; Eigier, König, S. 16 führt einen Brief
des damaligen Generalvikars der Erzdiözese an, nach dem es keine Spuren von Heinrichs
Grabmal in Cosenza gebe.
 
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