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Picart, Bernard
Neueröffneter Musen-Tempel: welcher das allermerkwürdigste, aus den Fabeln der Alten in 60 auserlesenen und schönen Kupfern von Bernard Picart und andern kunstreichen Männern vorstellet ; mit deutlichen Erklärungen und Anmerkungen — Amsterdam u. Leipzig, 1754

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https://doi.org/10.11588/diglit.8922#0044

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£0 P H A E T O N.
„ welchem die Gotter etwas zu verfprechen pflegen". Kaum hatte Tie dieses
oesprochen, so bat sich Phaeton nur aus einen Tag den Sonnen-Wagen zu regie-
ren aus. Die Sonne war traurig über den gethanen Eyd und suchte ihrem Sohne
sein verwegenes Unternehmen, wodurch er in fein eigen Verderben kommen muste,
mit aller Macht auszureden. Sie {teilet ihm vor, dass dieses Vorhaben nicht nur
über die Krästte eines fterblichen Menfchen fey , sondern dass auch Jupiter felbst
dergleichen nicht aussuhren könne. Sie befchreibet ihm alle Schwierigkeiten , die
Hohe des Weges, die geschwinde Bewegung des Himmels, die Ungeheuer , die
er unterwegens antressen werde, die Unbandigkeit ihrer Pserde , und endlich ver-
halt Tie ihm auch nicht, wie sehr sie aus zärtlicher Neigung gegen ihn darüber be-
kümmert sey. Phaeton will sich an nichts kehren. Die Sonne führet ihn also
seuszende hin, wo ihr Wagen ftehet: ehe sie ihn aber hinauf fleigen laüet, bestrei-
chet fie ihm das Gefichte mit einem gewilTen Himmlischen Walter, damit er die
Flammen könne vertragen, hieraus leget fie ihre Haupt-Strahlen um feinen Kopf
herum, und giebt ihm die nothige Unteiweifung. Wiewohl der ehrgeitzige Phae-
ton höret fie mit wenig Aufmerksamkeit an : er fpringet auf den Wagen hinauf,
erg;reiffet die Zügel, und bedanket fich gegen seinen Vater vor die ihm gegonne-
te^Gnade , welche diefer ihm doch nicht gerne zugestanden. Die Sonnen-Pfer-
de 4 erfüllen unterdetfen die Lust mit ihren Wiehern und mit Feur-Flammen. So
bald fie fich endlich auf den unermefslichen Himmels-Flächen in Freyheit fahen,
fo flogen fie gleichfam, trieben das Gewolke, fo fich ihrem Lause zu wiedersetzen
fcheinet, vor fich weg und kamen felbst den Winden , welche fich doch mit ih-
nen zugleich erhaben , zuvor. Sie merkten gar bald , dass der Wagen feine ge-
wohnliche Laft und Schwehre nicht hatte und dafs fie von einer fremden Hand re-
gieret wurden. Es währet nicht lange, fo ^ehet der Wagen mit lauter fprin-
Sen und ftofen; die Pferde kommen aus ihrer Strafe und der arme erfchro-
ckene Phaeton weifs nicht mehr, wie er lenken soll. Seine Angft wächset mit
der Gefahr, und da er von allen Seiten lauter ofsen flehende Abgrunde fiehet,
fo fän^ts ihn an zu reuen , dass er feinen Urfprung auf folche Art zu willen ver-
langet. Endlich kommt er zu dem Scorpion s: da ihn der Anblick diefes Unge-
heuers alles Verftandes beraubet, fo gar, dafs er die Ziigel aus den Händen lälfet.
Die Pferde, als fie merken, dafs sie nicht mehr angehalten werden , reilTen aus,
und fahren bifsweilen hinaus bifs ans Geftirne, bifweilen aber wieder hinunter bifs
zur
ANMERKUNGEN.

in dieser Stadt sey j dass er dafelbft tropsenweife aus einem Fel-
sen heraus lausfe, und in ein Behältniß falle, welches in die Run-
de gefuhret und mit Mauren eingefaffet ist. Paufanias (a) faget
faft eben dasfelbige j er setzet aber hinzu , dafs diefes Waller in
den Fluß Cratis hinein laufe; daß es Menfchen und Vieh todlich
fey dafs es alle Arten von Gefäfe zerfrefle , ausgenommen die
von Pferde-Hus find. Dieweil der Bach, welchen diefe Qyelle
machet, lange Zeit unter der Erde wegleufft und so ungefund ift,
fo hat man gefäget, daß er nach der Holle zulaufFe: Die Gotter
felbft (b) hielten die Eyd-fchwure fehr heilig, welche sie bey dem
Styx gethan hatten, so fürchterlich war fein Nähme. Homerus
(c) faget, dass, wenn sie bey diefem Wafier fchwuren, sie/ eine
Hand auf der Erde , und die andere aus der See haben muften.
So osft einiger Streit fich unter ihnen erhob , fo besahl Jupiter
der Iris (d) dafs fie ihnen einen Becher von diefem Wafier brin-
gen mufte j begiengenfie aber einen Meineyd, fo kriegten fie ein
ganzes Jahr lang keinen Nectar und Ambrofia, oder die gewohn-
liche Gotter Speife und Trank, muften über diefes ganzlich ftil-
le fchweigen, ib dafs fie gleichfam tod waren : worauf fie noch
ganzer neun Jahr von der Gotter Raths-Versamlung und Tafel
ausgefchlossen waren. Ifaac Tzetzes faget , daß diefe Ehre dem
Styx-Flulle wiedersahren fey zur Erkentlichkeit, weil die Nym-
phe , fo denen Qyelle bewahret , es dem Jupiter entdecket hat-
te , als fich die andern Gotter wieder ihn verbunden , und

ihn in Fesiel fchlagen wolten. Andere Fabel-Lehrer wollen es
dieser Urfache zu schreiben, weil die Victoria, welche man vor
die Tochter des Styx hielt , den Gottern wieder die Riefen bey-
gestanden hätte. Vielleicht 'gründet fich diefe ganze Fabel dar-
auf , weil man fich des Wallers aus dem Styx bediente , um zu
Unteraichen, ob einer fchuldig oder unlchuldig fey.
4. Die Sonnen-Pferde.] Ovidius zehlet deren viere P/-
ro/s, Eoüs , JEthon und Pblegon. Pyröis heift roth , dieweil die
Sonne, wenn fie am Himmel ausgehet, mit Dunften umgeben
ift, wodurch fie roth fcheinet. Eoüs ift so viel als glänzend, weil
die Sonne helle scheinet, wenn fie ein wenig hoher gekommen
ift und die Dunfte zertheilet hat. JEthon heift brennend , wie
die Sonne um Mittags-Zeit ift. Endlich das lezte heift Fhlegony
das ift 'Rothlicht, fo als die Sonne ift , wenn fie untergehet.
Martialis nennet ihrer nur zwey, JEthon und Xanthus, welches
gelb heifet; womit das Zeugniß des Terrullianus (e) ubereintrisfc,
welcher fchreibet, dafs die Alten der Sonne nur zwey Pserde bey
gegeben, dem Monde aber viere. Der Sonnenwagen aber hatte,
der meiften Meynung nach allerdings vier Pferde. Fulgentius [s)
nennet fie Erythreus, Aäeo, Lempos und Vhilogaus und Hyginus
betictelt fie (g) Eons-, Ethyops, Brontes und Steropes.
5. Zu dem Scorpion.] Ovidius hat damit anzeigen wollen,
dafs diefe Begebenheit im Monat September fich zugetragen habe,
wenn die Sonne in das Zeichen des icorpions tritt. Man wird
• dem-

(«) In Arcadku. (t) Heß,dt, Theog. vs. 78 3, fcqg. (c) Iliad. i\. {d) Heßode, ibid. (<) L. de Speftac, c. 9. (/) Myxhol, h. u (x) Cap. 183.
 
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