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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 8
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Saar, Ferdinand von: Dissonanzen: Eine Geschihcte aus Österreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0092

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Msfonanzen.

Auch dem Lchneider gab er äußerst wenig zu ver-
dienen und behalf sich mit seiner verjährten Earde-
robe, wobei er jedoch immer auss geschmackvollste
gekleidet war und selbst in sadenscheinigen Röcken
höchst vornehm anssah. Alle noblen Passionen
hatte er längst ausgegeben, selbst die Iagd; nur
an mehrstündigen Norgenritten auf einem alten,
aber noch immer schönen und feurigen Lipizaner
Schimmel hielt er sest. Langeweile kannte er nicht.
Wollte sie ihn hin und wieder doch anwandeln,
so griss er nach einem seiner Bücher, deren er aller-
dings nicht allzu viele besaß. Ls waren nur Werke
von älteren Autoren in eigentümlicher Auswahl.
An der Lpitze die französischen Lnthpmematiker:
Nontaigne, Lhamsort, Larochesoucauld. Dann vol-
taires Landide und Rousseaus Bekenntnisse. Lng-
lisches sand sich vor von Aielding, Lmollet, Lwift
und Zterne. Deutsches: Brandts Narrenschisf,
Lichtenbergs aphoristischeLcbristen, ThümmelsReisen
im mittäglichen Hrankreich — und Toethes Werther.
Das war, einschließlich des Don Äuichotte, der
Abenteuer des Hreiherrn von Akünchhausen und
einiger wissenschastlicher Aompendien so ziemlich
alles. lDiese Prosaschristen — Verse konnte er nicht
ausstehen — las er wieder und wieder, obgleich
er sie bereits auswendig wußte. Daran, sagte er,
war ihr unvergänglicher A)ert zu erkennen. Lr
stand daher auch in stetem Aliderspruch mit der
Kürstin, die immer nur Neues las und in ihn drang,
dies oder jenes kennen zu lernen. Aber er wies
ihr Ansinnen hartnäckig zurück. Nanchmal, wenn
er sich unbeachtet glaubte, nahm er eines der
empsohlenen Bücher zur Hand und blätterte darin.
Lrtappte man ihn dabei, so legte er es sofort weg,
und tat nach den paar Zeiten, die er gelesen haben
mochte, einen ost merkwürdig richtigen Ausspruch
über das Tanze. Die Wände des Zimmers, in
dem er sich tagsüber aufhielt, waren sast durch-
gehends mit eingerahmten Aupserstichen Hogarths
bedeckt, den er neben Ruysdael sür den größten
LNaler erklärte, den es je gegeben. Dazwischen
hingen einige stimmungsvolle Landschasten ohne
jede Ltassage; über dem Lchreibtisch aber war,
nicht gerade von Neisterhand gemalt, das Bildnis
einer spanischen Dame zu erblicken, die er in LNadrid
geliebt hatte. N)ie man vermuten konnte, nicht
glücklich. Dennoch trieb er mit dem Porträt eine
Art Idolatrie, was ihn jedoch keineswegs abhielt,
irgend einer Dorfschönen nachzustellen, an der er
Gesallen sand. Den Damen seiner Rreise gegen-
über betrachtete er sich schon längst als außerhalb
jeder Bewerbung stehend, obgleich er auch jetzt
mit seiner schlanken, geschmeidigen Eestalt nicht
alt aussah. Lein leicht gelocktes Haupthaar
war noch immer dicht und braun; nur in dem
feinen, zugespitzten Vollbart zeigten sich Lilber-
säden. Lo unterschied er sich sehr augensällig
von dem jungen Doktor, dessen Rahlkopf er un-
ausgesetzt mit eingeklemmtem Nonokel betrachtete,
während er dem Vortrag mit zerstreuter lleber-
legenheit solgte.

Desto andächtiger aber lauschte der tzosmeister
des noch im llnabenalter stehenden jüngsten Lohnes
der ßürstin. Verkündete doch der Redner das
Lvangelium, zu dem er sich, wie jetzt die meisten
jungen Leute in ähnlichen Ltellungen, selbst bekannte,
ivenn ihn auch die Verhältnisse zwangen, der Nacht
des Besitzes untertänig zu sein. Lr hatte noch
keine eigentliche Berusswahl getrossen, versuchte sich
in allerlei ANssenschasten und war ein begeisterter
Bewunderer Bismarcks, Richard Alagners und
Nietzsches. tzierin tras er mit dem jungen ßräulein
zusammen, das ihm gegenübersaß und eine Art
Lekretärin der Sürstin war. In ihrer kärperlichen
Lntwickelung etwas zurückgeblieben, hatte sie ein
seines, längliches Gesichtchen und große schwärme-
rische Augen, die zaghaft und schüchtern in die
Welt blickten. In ihrem zarten Busen jedoch trug
sie eine seurige tzingabe an die Aiele der modernen
Krauenbewegung, an der sie leider nur aus der
Herne teilnehmen konnte. Aber ihre Begeisterung
dasür kam bei jeder Telegenheit zum Durchbruch,
daher sie auch beständig mit einer alternden Kran-
zösin in llonslikt geriet, die srüher Touvernante
und jetzt Vorleserin war. Denn diese hielt mit
aller Hestigkeit ihres Temperaments an dem über-
wundenen Begriss der „Aleiblichkeit" sest, sür die
sie sich ebensalls bei jedem Anlaß ins Zeug legte.
Aie war überhaupt sehr reizbar und geriet in helle
A)ut, wenn man sie — was gerade deshalb scherz-
weise oft geschah — eine Deutsche nannte. Lie
stammte aus einem kleinen Ltädtchen in jenem Teile
Lothringens, den man den Reichslanden einver-
leibt hatte, insolgedessen auch ihr Preußenhaß ein
grenzenloser war. In dieser Hinsicht hatte sie
einen stillen Bundesgenossen an dem bejahrten
Hausarzte, der als eingesleischter Altösterreicher
dem Deutschen Reiche keine Lympathien entgegen-
brachte. Aber er hatte die Tewohnheit angenommen,
über alles zu schweigen, was nicht mit seinem Amte
zusammenhing, und so ließ er sich ebensowenig
darüber aus, wie über die moderne LNedizin, auf
die er mit mißtrauischer Heringschätzung hinabsah,
obgleich er in seinem weitläusigen Zimmer die
neuesten chirurgischen Instrumente und medizinischen
Lchristen ausgestapelt hatte. Im Lchlosse war er
bis zum letzten Diener als hygienischer Lyrann ge-
sürchtet.

Lo slossen denn in diesem Lalon mit seinen
steisen Ahnenbildern und verblaßten Tobelins be-
ständig die verschiedenartigsten Gehirnätherschwin-
gungen zu einer eigentümlichen geistigen Atmo-
sphäre zusammen, die etwas von Tewitterlust an
sich hatte, wenn auch die taktvolle Sbjektivität der
Hiirstin Lntladungen in der Regel zu verhüten
wußte.

Der Lozialpoiitiker hatte eben jetzt eine längere
Auseinandersetzung mit einem glänzenden Lchlag-
worte geschlossen, und es wurde still. In diesem
Augenblick traten auch zwei Diener, die schon vor
der Tür gewartet hatten, mit Teebrettern ein und
begannen zu servieren. Die Zürstin nahm eine

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