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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 13
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Rilke, Rainer Maria: Ein Märchen vom Tod und eine fremde Nachschrift dazu
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0326

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Lm Närchen vom Tod.

Als Eott aber das nächste Nal rvieder aus die
Lrde ntederblickte, erschrak er. Neben den vielen
gefalteten Händen hatte man viele gotische Airchen
gebaut, und so streckten sich ihm die Hände und
die Dächer, gleich steil und scharf, wie feindliche
Wasfen entgegen. Bei Gott ist eine andere
Tapserkeit. Lr kehrte in seine Himmel zurnck,
und als er merkte, daß die Türme und die neuen
Gebete hinter ihm her wuchsen, da ging er aus
der andern Zeite aus seinen Himmeln hinaus und
entzog sich so der Versolgung. Lr war selbst
überrascht, jenseits von seiner strahlenden tzeimat
ein beginnendes Dunkel zu finden, das ihn schwei-
gend empfing, und er ging mit einem seltsamen
Kesühl immer weiter in dieser Dämmerung, welche
ihn an die Herzen der Nenschen erinnerte. T>a
fiel es ihm zuerst ein, daß die Aöpfe der Nenschen
licht, ihre Herzen aber voll eines ähnlichen Dunkels
sind, und eine Lehnsucht überkam ihn, in den
Herzen der Nenschen zu wohnen und nicht mehr
durch das klare, kalte Wachsein ihrer Eedanken zu
gehen.

Nun, Tott hat seinen A)eg sortgesetzt. Immer
dichter wird um ihn die Dunkelheit, und die Nacht,
durch die er sich drängt, hat etwas von der
duftenden Wärme sruchtbarer Lchollen. Und nicht
lange mehr, so strecken sich ihm die Nlnrzeln ent-
gegen mit der alten schönen Tebärde des breiten
Gebetes. Ls gibt nichts Weiseres als den Areis.
Der Tott, der uns in den tzimmeln entfloh, aus der
Lrde wird er uns wiederkommen. Und, wer weiß,
vielleicht graben gerade Lie einmal das Tor . . ."
Der Nann mit dem Lpaten sagte: „Aber das ist
ein Närchen." „In unserer Ztimme", erwiderte ich
leise, „wird alles Närchen, denn es kann sich ja
in ihr nie begeben haben." Der Nann schaute eine
Weile vor sich hin. Dann zog er mit hestigen
Bewegungen den Rock an und sragte: „Alir
können ja wohl zusammengehen?" Ich nickte: „Ich
gehe nach Hause. Ls wird wohl derselbe Weg
sein. Aber wohnen Lie nicht hier?" Lr trat aus
der kleinen Eittertür, legte sie sanst in ihre klagen-
den Angeln zurück und entgegnete: „Nein."

Nach ein paar Zchritten wurde er vertraulicher:
„Lie haben ganz recht gehabt vorhin. Ls ist
seltsam, daß sich jemand findet, der das tun mag,
das da draußen. Ich habe früher nie daran ge-
dacht. Aber jetzt, seit ich älter werde, kommen mir
manchmal Gedanken, eigentümliche Gedanken, wie
der mit dem Himmel, und noch andere. Der Tod.
Mas weiß man davon? Lcheinbar alles und viel-
leicht nichts. Hft stehen die Uinder (ich weiß nicht,
wem sie gehören) um mich, wenn ich arbeite. Und
mir sällt gerade so etwas ein. Dann grabe ich
wie ein Lier, um alle meine Urast aus dem Uopse
fortzuziehen und sie in den Armen zu verbrauchen.
Das Erab wird viel tieser, als die Vorschrist ver-
langt, und ein Berg Lrde wächst daneben auf.
Die Uinder aber lausen davon, da sie meine
wilden Bewegungen sehen. Lie glauben, daß ich
irgendwie zornig bin." Lr dachte nach. „Und es ist

ja auch eine Art Zorn. Nan wird abgestumpft,
man glaubt es überwunden zu haben, und plätz-
lich . . . Ls hilst nichts, der Cod ist etwas Un-
begreisliches, Lchreckliches."

A)ir gingen eine lange Ltraße unter schon ganz
blätterlosen Gbstbäumen, und der A)ald begann,
uns zur Linken, wie eine Nacht, die jeden Augen-
blick auch über uns hereinbrechen kann. „Ich will
Ihnen eine kleine Teschichte berichten," versuchte
ich, „sie reicht gerade bis an den Grt." Der Mann
nickte und zündete sich seine kurze alte Pseise an-
Ich erzählte:

„Ls waren zwei Nenschen, ein Nann und ein
A)eib, und sie hatten einander lieb. Liebhaben,
das heißt, nichts annehmen, von nirgends, alles
vergessen und von einem Nenschen alles empsangen
wollen, das was man schon besaß und alles andere.
Lo wünschten es die beiden Nenschen gegenseitig.
Aber in der Zeit, im Tage, unter den vielen, wo
alles kommt und geht, ost ehe man eine wirkliche
Beziehung dazu gewinnt, läßt sich ein solches Lieb-
haben gar nicht durchführen, die Lreignisse kommen
von allen Zeiten und der Zusall ässnet ihnen jede
Tür.

Deshalb beschlossen die beiden Nenschen aus
der Zeit in die Linsamkeit zu gehen, weit sort
vom Uhrenschlagen und von den Teräuschen der
Atadt. Und dort erbauten sie sich in einem Garten
ein Haus. Und das Haus hatte zwei Tore, eines
an seiner rechten, eines an seiner linken Leite.
Und das rechte Tor war des Nannes Tor, und
alles Leine sollte durch dasselbe in das Haus ein-
ziehen. Das linke aber war das Tor des Weibes,
und was ihres Zinnes war, sollte durch seinen
Bogen eintreten. Lo geschah es. A)er zuerst er-
wachte am Norgen, stieg hinab und tat sein Cor
aus. Und da kam dann bis spät in die Nacht
gar manches herein, wenn auch das Haus nicht
am Rande des A)eges lag. Zu denen, die zu
empfangen verstehen, kommt die Landschaft ins
Haus und das Licht und ein Allnd mit einem Dust
aus den Lchultern und viel anderes mehr. Aber
auch vergangenheiten, Testalten, Lchicksale traten
durch die beiden Tore ein und allen wurde die
gleiche schlichte Kastlichkeit zuteil, so daß sie
meinten, seit immer in dem Heidehaus gewohnt zu
haben. Zo ging es eine lange Zeit fort, und die
beiden Nenschen waren sehr glücklich dabei. Das
linke Cor war etwas häufiger geössnet, aber durch
das rechte traten buntere Täste ein. Bor diesem
wartete auch eines Norgens — der Tod. Der
Nann schlug seine Cür eilends zu, als er ihn be-
merkte, und hielt sie den ganzen Tag über fest ver-
schlossen. Nach einiger Zeit tauchte der Tod vor
dem linken Lingang aus. Zitternd wars das A)eib
das Tor zu und schob den breiten Riegel vor.
Zie sprachen nicht miteinander über dieses Lr-
eignis, aber sie äsfneten seltener die beiden Tore
und suchten mit dem auszukommen, was im Hause
war. Da lebten sie nnn sreilich viel ärmlicher als
vorher. Ihre Vorräte wurden knapp, und es
 
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