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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 15
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Schmidtbonn, Wilhelm: Das Glücksschiff: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0419

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Das Glücksschiff.

doch wärmer und weicher geworden, es stand nicht mehr
vor jedem Mund die weiße Hauchwolke wie in der Frühe.

Das Mntterchen saß immer noch, hielt immer
noch den Kopf nach der alten Richtung hin, wickelte
sich ab und zu fester iu ihr Tuch und wartete, sah
eiu Schiff den Rhein hinauf sahren und wartete auf
das ihre, das den Rhein herunterkommen mußte.
Wenn das Schiff nicht kam, so konnte das Mütterchen
noch Stunde und Stunde sitzen, ohne daß sich in ihr
und um sie her etwas ünderte an dem Grauen,
Stillen, Geduldigen und Wartenden überall.

Aber da trat doch eine unvermutete Änderung
ein: ein Mann kam auf das Mütterchen zu wie auf
eine Bekannte. Das war der dritte der Wächter, an
dem das Mütterchen vorbeigegangen war, und der
nun, statt in deni dicken, mit goldenen Knöpfen ver-
sehenen Mantel, mit dem ihn sein Amt wie einen
König ausrüstete, im dünnen Kittel seines Werktags
daherkam. „No Moder, setzt Jhr noch do? Es ller
Schiff no nit jekumme?"

Das Mütterchen hob den Kopf nur eben nach
dem Mann hinauf, sah dann gleich wieder nach dem
Strom hin. „Dat weed schon kumme."

Der Mann trat ganz zu der Frau hin, beugte
den Kopf zu ihr hinunter, sah uach den Leuten in
der Nähe hin, sprach dann, leise, um von niemand
gehört zu werden: „Saht — et es domm von mir
— ävver wat es dat mit däm Schiff? Jhr hatt esu
jet Jeheimes aan Üch, dat hät mir kein Rauh jelosse,
dat hät mich heeher jedrevve, ich jonn alt zom dritte
Maol he aan llch vürbei — saht, küt wahrhaftig
su e Schiff doher?"

Sie sah wieder zu dem Mann hinauf, ließ sich
ein wenig mehr Zeit dazu, öffnete die Falten und
zeigte die blauen Augen, schien aber dann mißtrauisch
zu werden, verdeckte die Augen wieder und sagte
ärgerlich: „No jo — ich han et doch jesaht: dat
Schiff küt, et küt jeden Augenblick, do, dä Rhing erav."

,.E Schiff, wat die Ärme opnimmt?"

„No jo, ich sagen et doch."

Der Maun bog sich von der Frau zurück. „Dommes
Zeug, Jhr sed nit richtig em Kopp! Jch jonn naoh
Huus."

„Do küt et! Dat Schiff!" sagte die Frau plötz-
lich, ganz leise, mit veräuderter Stimme, singend,
während ihre Augen frei waren und hell, fast weiß
aus dem Braun des Gesichtes herausstachen.

Jn der Tat zeigte sich oben bei der fernen Biegung
des Stromes, zwischen den langen Pappelstämmen,
ein Schiff-

Die Frau war dabei, ihren Korb, den sie auf die
Erde gestellt hatte, aufzunehmen und selber, erregt,
aufzustehen — als sich über dem Schiff eine Rauch-
wolke zeigte.

Die Frau blieb uoch eine Weile, so, halberhoben,
stehen, dann gingen ihre Augen wieder in die Falten
hinein, und sie saß da, auf ihrem Holz, wie vorher,
die Kniee zusammengeschvben, den Korb daraus ge-
stellt, das Tuch sest um die Schultern gewickelt.

Der Mann hing mit den Augen an dem Gesicht
der Frau, wie von einem geheimnisvollen Bann hin-

gezogen. Er schien, nach dieser Hoffnung. selber ent-
täuscht, bückte sich wieder hinunter und flüsterte:
„Wat? Es et uit ller Schiff? Küt Üer Schiff nit?"
Dabei nahm seine Stimme einen entmutigten, traurigen
Klang an.

Und dieser traurigc Klaug schien das Mütterchen
zu veranlassen, noch einmal zu antworten, wieder
aber in dem früheren Ärger: „Nä — dat Schiff do
fährt met Dampf — miug Schiff ävver hät e Segel
opjesatz." Dabei lachtc sie verächtlich über das Schiff
da oben.

Es war, als ob durch die sonderbare Bestimmt-
heit, mit der sie oon ihrem Schiff sprach, dem Mann
der letzte Zweifel genommen wäre. Er nahm ein
Seil, das zusammeugerollt auf der Brücke lag, schob
es neben den Holzblock uud die Frau hin und setzte
sich darauf, drehte sich der Frau zu, hielt sein Gesicht
dicht an das ihre heran. Seine braunen Augen
sahen, gutmütig und gläubig wie Kinderaugen, groß,
bekümmert und sehnsüchtig in das Gesicht der Frau.
„Saht — verzällt mir doch von däm Schifs! Es
dat ene riche Mann, der däne Ärme jod es?"

Das Mütterchen rührte sich nicht, bewegte keine
Falte im Gesicht, schien nicht einmal zu wiffen, daß
der Mann neben ihr sitze, sah nur immer den Rhein
hinauf.

Der Maun aber schvb sein Gesicht nun ganz
heran, so, als wenn das Mütterchen ein Mädchen
wäre, das cr küffen wolle. Und dann sagte er ganz
leise: „Saht — et is uit wäjen mir, et es wäjen
minger Frau. Die es krank, kann nit mieh die Trapp
erop on erunger, sitzt dä janzen Dag om Stohl oder
litt im Bett. On ich — ich ben söns Schohmächer —
ävver ich han kein Arbeit, dä Winter es esu schlääch,
on no hät mich die Stadt zor Aushülf jenomme, als
Wäächter, för vierzehn Dag — söns mööt ich hungere
oder bettele jonn. Seht Jhr, on jetzt ming Frau —
wenn doch jet waör, dat ich sie jesond maache künnt,
dat se us däm naasse Loch do erus kaöm, dat se jet
Aödentliches esse künnt, dat se widder kräftig und
löstig wöd."

Das Mütterchen saß uoch eine Weile, regt« sich
nicht, sprach nicht. Aber dann, ohne erst nach dem
Mann hinzusehen, wie nur durch den schmerzlichen
betrübten Klang seiner Worte weich gemacht, neigte
sie sich mit eiiier Schulter zu ihm hin, ließ plötzlich
wieder den Mund sehen und sagte ganz leise. weich,
sonderbar erregt, wie begeistert, dabei in der einfachen
unbewußten Ärt der Kinder, die ein Märchen er-
zählen: „Jao, et küt e Schiff. Braun jestrichen, mit
enem jruße wiße Segel. On op däm SegA es ene
Flecken opjenieht, esu braun als wie dat Schiff selver.
On ovven am Mastboom, do weht en Fahn, rud, mit
euem Zeicben drin. Wenn ävver dat Schiff von sään
eraanküt, sti süht mer ne Mann am Steuer stonn,
dä es ene Kopp jrüßer als ander Männer on hät
ene lange jriese Bart bes op dä Bauch erav hänge.
Wenn ävver dat Schiff noch naöhter eraanküt, dann
süht mer en Frou darop erömjonn, die es nur klein,
ävver noch jung, on sie hät ihr Haor mie ene Kranz
öm dä Kopp jelääg. On die Frau jeht op däm

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