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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 15
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Schmidtbonn, Wilhelm: Das Glücksschiff: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0420

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Das Glücksschiff.

Schiff eröm, zo däne Männer on Fraue hen. Denn
do setzen, rond öm dat Schiff eröm, Männer on
Fraue op dä Bänk, han ihr Körv om Schuß on ihr
Kinder vür fich stonn. On die Frau brinqt enem
jeden zo esfen vn zo drinken. On fpricht mit jedem
on fährt dä Kinder durch et Haor. On laach dobei.
On all luren se die Frau aan on all han se su e
plötzlich Laache em Jesicht." Das Mütterchen, die,
panz erregt, zum Schluß die Stimme nicht sinken
ließ, schmieg einen Augenblick. Und dann, als ob
diese Erklärung noch notwendig sei, fügte sie hinzu
und sah dabei plötzlich in ihren Korb, um zn sehen,
ob auch alles Nötige darin sei: „Jch — ich han
keine Mann mieh, mööt Jhr wisse, on ich han och
kein Kinder mieh. Sie sen mir jestorve. Kennt Jhr
mich nit? Jch ben et Jahns Jretchen us der Kessels-
jaß " Dann streckte sie den Kopf aus dem Tuch
heraus, hatte das gleiche Lachen auf dem Gesicht,
wie die Leute, von denen sie erzählt hatte, und sah
zugleich schärfer nach den Pappeln aus, wo jeden
Augenblick ihr Schiff erscheinen mußte.

Jetzt war es der Mann, der schwieg und sich
nicht rührte. Mit tief herabhängendem Kopf saß er
da, sah znr Erde. Dann fragte er, leise, den Klang
der Stimme und die kindliche Art des Mütterchens
annehmend, gleichsam ihre Rede fortsetzend: „On —
saht — wao fährt dat Schiff hen? Wao bringt et
die Minschen all hen?"

„Dat sen alles ärm Minsche, die alt sen oder
krank sen on sich nit mieh durch et Levve zo helfe
wesse, nix mieh zo essen on aanzodonn han. No jo —
on die bringt et fort."

„Iao — wohen?"

„Fort! Do es et besser als he, do han se't jod,
do han se Essen on wärm Kleider, do wäden ine de
Föß jewäsche on et Haor jekämmt, do sprich mer
on laach mer mit ine on do wäden ine de Träne
jetrocknet, wenn se widder trurig wäde welle. Do
wäden se jlöcklich."

„Jao — wo es dat denn?"

Das Mütterchen wurde wieder ärgerlich, kurz,
zog den Kopf wie eine angerührte Schnecke ein. „No
jo — ich sagen et doch."

Der Mann hob den Kvpf, sah eine Weile gerade-
aus, sah dann zu der Frau hin, lachte dann, unver-
mutet, laut, herzlich, frei, mit einer tiefen dröhnenden
Stimme. „No? Wao hatt Jhr denn die Wissen-
schaft hä? Wer hät Üch denn dat Jeheimnis ver-
raode? Wat?" Er fuhr sich mit der Hand über
den Bart und hob sich schon zum Gehe».

Das Mütterchen merkte nicht den Spott. „Ein'
hät mir 't jesaht, ein' —"

„Wat? Jewiß die Moderjoddes?" Der Mann
stand schon, wandte sich schon.

Das Mütterchen aber, wie überrascht, froh gemacht
durch das unvermutete Erklingen dieses Wortes und
als ob sich diese Freude in Bewegungen äußern müsse,
stellte die Beine anders, rückte auf ihrem Holz ein
Stück vor, sagte dann, heiter, lachend, wieder ge-
sprächig, zu dem Mann hinaufsehend, während sich
das braune Leder ihres Gesichtes wie bei einem

Mädchen mit einer zarten erregten Röte färbte: „Jo,
die Moderjoddes. Hürt, die es die Naach zo mir
jekumme, nit em Traum — nä, ich han janz waach
jeläge. Sie waor älder als ich jedaach hatt, hatt he
on do schon e jries Haor zwischen dä schwartze, on
och nur e einfach braun Kleid mit ener Spitz öm de
Hals. Ävver esu jod waor die, esu wärm on herz-
lich on leutsillig —"

Sie brach plötztich wieder ab, als habe sie zu viel
gesagt, habe etwas Geheimes verraten, schob den Kopf
wieder geradeaus nach den Pappeln, sagte wieder in
der alten unwirschen kurzen Art: „No jo — sie hät
mir dat Schiff jezeigt."

Der Mann stand und sah der Frau ins Gesicht
hinunter, hatte den Mund offen, halb noch von dem
alten Lachen, halb in einem ungläubigen unsicheren
Schrecken.

Dann wandte er sich nach den Leuten um, die
umherstanden oder vorübergingen, vermvchte aber seine
Augen erst von dem Gesicht des Mütterchens los-
zubringen, als sein Körper schon ganz den Leuten zu-
gekehrt war. Die Leute standen und gingen wie
immer, mit hängenden Köpfen und Schultern, als ob
sie die Last dieses harten Winters darauf trügen.
Da war alles grau und schwer wie immer. Nur
das Lachen von Kinderstimmen, das, irgendwoher
klang, ließ erkennen, daß dem allen etwas fehle, daß
dies alles nnr ein stummer Schrei nach etwas anderem,
Hellerem, Sonnigem und Fröhlichem sei. Nnd es war
einen Augenblick, als ob dieses Kinderlachen, das sich
mit der Erzählung des Mütterchens vereinte, noch in
ihren Ton hineinklang, ein Stück davon sei. Der
Mann glaubte fast an die Worte der Frau, sah
Bilder vor sich voll Sonne und Glanz, hörte Glocken
und sonderbare entfernte Chöre — aber dann warf
er das alles mit einem Kopfschütteln, mit einem
Heben der Hände von sich, sah noch einmal nach der
Frau zurück, sagte lachend: „Nä, dat hatt Jhr doch
wahl jedrömt!" und ging stolz, verächtlich, überlegen
mit starken schnellen Schritten in die Stadt hinauf,
entschlossen, sich selber aus seiner Not zu helfen, heute
wieder wie jeden Tag dnrch die Straßen zu gehen,
in die Häuser der Bürger, in die Ämter, in die
Fabriken, um endlich irgendwo die sröhlichen Worte
zu hören: da, greist an, rührt eure Arme! —

Eine halbe Stunde später drängte die Frau des
Mannes, an jeder Hand ein Kind, von denen jedes
einen kleinen Korb trug, schnell durch dic Scharen
der Menschen zu dem Mütterchen hin. Nur einen
Augenblick hatte sie bei der lachenden Erzählung ihres
Mannes gestanden, erschreckt, mit offenem Mund, hatte
dann, kaum daß der Mann weg war, geschwind ihr
Haar geordnet, Mantel, Kinder und Körbe genommen,
war an den rufenden Nachbarn vorbei zum Rhein
gelaufen.

Noch im Laufen drehte sie den Kopf schnell und
erregt zu den Pappeln hin, wurde dann ruhig und
setzte ihren Weg zu der Frau hin langsamer fort,
stand dann neben der Frau, immer noch hastig atmend,
mit geröteten Backen, lachte sie an, setzte sich dann
aus das Seil, auf dem ihr Mann gesessen, stellte die

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