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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 8.1904

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Heft 15
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Schmidtbonn, Wilhelm: Das Glücksschiff: Erzählung
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https://doi.org/10.11588/diglit.19988#0424

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Das Glücksschiff.

ein. Die Menschen, sonst durch die Not ihres Lebens
kalt, berechnend und längst jeder Hoffnung aus dem
Weg gehend, um nicht immer wieder getäuscht zu
werden, hatten alle Vernunft verloren: es sollte ein
Schiff sein, glänzend wie Gold, mit einem Segel
von weißer Seide, und die Muttergottes selber sollte
darauf stehen und jedem, der kam, mit sreundlichem
Lachen die Hand hinhalten. Ein Kind war schon in
der Stadt gesehen worden, das schon auf dem Schiff
gesessen, schon mit der Muttergottes gesprochen hatte,
aber noch einmal nach Hause lief, von der Mutter
weggeschickt, um seiu Sonntagskleidchen anzuziehen.

Jmmer neue Meuschen kamen, vermehrten die
Erregung, wie neue Scheite das Feuer. Nun zeigte
sich, was alles die Stadt an Elend beherbergte. Da
kamen sie alle, die besitzlos waren in der Stadt des
Reichtums, die Hungernden, die Frierenden, die Hinken-
den, die Krüppel, alle die, die zu schwach waren, sich
durch dieses harte Leben durchzukämpfen. Sonderbare
Gestalten kamen, in gelb und dünn gewordenen
Kleidern, unter denen statt der Körper nur Stöcke
ausgespannt zu sein schienen. Kranke kamen von
ihren Strohsäcken her, ein sterbender Alter ließ sich
von einem Kinde aus einem einräderigen Karren her-
fahren. Alle, alle waren zu sehen, die man sonst
nie anders als an den Türen der Wohlhabenden oder
an den Straßenecken mit abgezogenen Hüten und
bittend aufgehobenen Händen, großen und bekümmerten
Augen sah. Alle schienen vou einem Fieber erfaßt,
beteten, murmelnd und laut, liefeu durcheinander;
man sah Gesichter, abgemagert, in denen sonst nur
noch die Augen lebten, und die nun in einem nie an
ihnen gesehenen überirdischen Ausdruck strahlten; alte,
greise Männer und Frauen zeigten wieder die Ge-
sichter, die sie als Kinder gezeigt hatten, voll Sünd-
losigkeit, voll Glaubens, voll einer klaren noch nicht
durch das Leben zerfetzten und beschmutzten Schönheit.

Es kam dazu, daß in einer Kirche die Mutler-
gottes sehlte: sie war zum Maler geschickt worden,
der sie mit neuen Farben ausputzen sollte. Es be-
durfte nur noch dieser Tatsache, um die glühenden
widerstandslosen Gehirne dieser Leute in Flammen
aufschlagen zu lassen.

Polizisten versuchten umsonst, Ordnung in die
Scharen zu bringen, sie zu veranlassen, vom Ufer weg
nach Hause zu gehen. Sie fühlten selber ihre Stirnen
glühen, ihre Augen brennen, vermochten selber hin
und wieder nicht mehr den eigenen Kopf abzuhalten,
verlangend nach den Pappeln hinzusehen.

Aber Mittag war vorüber, das Schiff kam nicht.

Die Zweifelnden, die Spöttischen erhoben ihre
Stimmen lauter, ein Flüstern ging über das Ufer,
ein Räuspern, ein leises Lachen. Ein Mann, lang
und schmal wie ein Baum, stellte sich auf den Holz-
block, auf dem das Mütterchen im Anfang gesessen
und auf den, in immer derselben sonderbaren ehr-
fürchtigen Scheu, niemand anders sich zu setzen gewagt
hatte, schwenkte seine Mütze über das ganze Volk hin
und rief mit einer Stimme wie ein Stier: „Domm-
köpp, die ihr seid! Wao soll denn dat Schiff hin-
fahre? Do unge sen nix als jruße Städte, do es

de Nut jrüßer als he! On dann küt dat Meer, on
dann Engelland, on danu der Nordpol, on nix mieh
als Jis on Schnie. Nä! laot mir leever all zo-
samme zvm Rathuus jonu on Brud vn Fleisch sordere
on Arbeit för die Männer! Laot dat Schiff do!
Laot dat aal Wiev do! Jaoht mit mir!"

Man hörte wohl Lachen von hier und von dort,
zustimmende Rufe — aber als der Mann vom Block
herunterstieg und den Züg ansühren wollte, der zum
Rathaus hinsollte, schloß sich niemand an seine langen
Schritte an.

Auch wohlhabende Leute kamen, solche, die warme
Mäntel und gebürstete Hüte trugen, sahen erst nur
mit einer Neugier und einer fremden Zurückhaltung
in all die Menschen hinein, nahmen aber dann, nach
und nach, trotz des überlegenen Lächelns, zu dem sie
ihren Mund breitzogen, trotz der Gründe der Ver-
nunft, die sie den Ümstehenden zuriefen, etwas von
der allgemeinen Erregung an, mischten sich unter die
Masse, drängten zum Wasser vor, sahen nach den
Pappeln hin. Einzelne bleiche und erregte Gesichter
zeigten sich unter ihnen, in denen derselbe Ausdruck
des Leidens und des Glückoerlangens lag wie in den
Gesichtern der Armen. Dieselben großen Augen
strahlten, hingen an den Pappeln, dieselben weißen
erregten Lippen stammelten, beteten. Und da war zu
sehen, daß die warmen Röcke und die gebürsteten
Hüte nicht hinreichten, die Menschen glücklich zu
machen: auch hier waren Wünsche, die aus dem
Leben, das war, hinausstrebten nach einem andcrn,
glücklicheren. Eine große Frau, in einen kostbaren
Pelz gekleidet, vergaß alle gewohnte Achtung auf
ihre Würde und ihr Ansehen unter den Menschen,
drängte sich vor, mit einem bleichen biennenden Ge-
sicht, trug ihren Korb am Arm so gut wie die anderen
Frauen, schob sich durch alles, was entgegenstand, bis
zur Brücke selber vor.

Hier, an der Brücke, hatte sich ein Häuflein ge-
bildet von solchen, die unbeirrt von dem Spott und
dem Zweisel umher, alle mit ihren Körben am Arm
— als ob die Köibe das Haupterfordernis der Reise
seien — dastanden, auf das Waffer sahen, gewillt
waren, so wie das Schiff kam, mit Knieen und
Ellbogen zu kämpfen und mit dem Schiff davon-
zufahren.

IDurch ihren stummen Ernst und durch einen
schmalen freien Raum, auf den niemand, auch von
den Spöttern keiner, iinmer in der sonderbaren Scheu,
zu treten wagte, waren sie, wie Auserwählte, Ge-
heiligte, von allen übrigen, die nur als Zuschauer
dastanden, getrennt. Ganz vorne, am Holzgeländer
der Brücke standen die Kinder, alle niit wunderlich
großen starren und strahlenden Augen in den bleichen
erregten Gesichtern, standen da, ohne zu sprechen, nur
mit sich selber flüsternd, auf den Zehen, die Augen
fest an die Pappeln geheftet, die kalten Hände an
das Holz geklammert.

Und dieser nie an ihnen bemerkte Ernst, dieses
geheimnisvolle Fieber und dabei dieses Schweigen der
sonst lärmenden und streitenden — das war es, was
Frau auf Frau, einmal auch einen starken bärtigen

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