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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0033

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

er den Verfemten. Der Bischof Rainald von
Köln wars, der es auf sich nahm, sie nach dem
Norden zu flüchten und seine eigene Stadt damit
zu beglücken. Er fuhr mit seinem heiligen Hort
von Basel weg auf dem Rhein nach Köln.
Welch eine wilde Stromlandschaft mag das
damals gewesen sein! Und wie mag damals
Breisach aus Wasser und Wald als hohe Felsen-
insel mit Zinnen und Türmen emporgeragt
haben in furchtbarer wilder Schönheit über den
wallenden Nebeln. Der Kölner Bischof ruderte
an der hohen Feste nicht vorüber, und als er
nach kurzem Aufenthalt weiterfuhr, ließ er die
Breisacher hochbeglückt zurück; denn er ließ
zugleich zurück das Brüderpaar Gervasius und
Prothasius in ihren heiligen Überresten. Er
gab zwar

von den brüdern zweyn

Gervasium, den merter, allein,

den andern wollt er führen dahin,

die Heiligen (aber) wollten ungeschieden syn;

und wollte der Bischoff fahren von Land,

so musst er den Bruder Prothasium zehand

denen von Brisach zu letze Ion;

do ligen die heiligen marterer vol und schon.

Wirklich, sie liegen wohl und schön; denn
das berühmteste Wunder, das die Stadt Brei-
sach ihnen verdankt, ist der Schrein, in dem
sie liegen.

Doch liegen sie auch in Mailand . . .

So behaupten es nicht nur die guten Mai-
länder, so hat es ihnen auch der Papst in
einem Breve ausdrücklich bestätigt,- und das
ist — natürlich auch ein Wunder, wenn auch
kein so erfreuliches als ihr goldener Schrein
im Münster zu Breisach.

* *

*

Darf ich dir noch eine Breisacher Legende
erzählen, lieber Leser? Auch trotzdem sie
nicht gedruckt steht in alten Scharteken? Siehe,
dem einsamen Münster gegenüber — einen
recht weiten, öden, mit spitzigen Rheinkieseln
gepflasterten Platz mußt du dir dazwischen
denken — erhebt sich breitspurig das Pfarr-
haus, und ein großer Garten schließt sich daran
an und erstreckt sich von Terrasse zu Terrasse
den ganzen Berg hinunter bis zur Unterstadt.
Er ist von einer hohen Mauer eingeschlossen.
Feindlich sieht diese Mauer den draußen
Stehenden an. Feindlich und kalt. Aber
Reben mit ihren goldenen Ranken, und Rosen
mit ihren blühenden Zweigen, und Frucht-
bäume mit ihren Kronen erheben sich und
■ strecken sich über die Mauer weg und
grüßen den fremden Wanderer geheimnisvoll.
Man sollte meinen, da müßten einem Märchen
einfallen. Aber mir fiel nichts ein. Der
Garten selber fiel mir nicht ein. Ich gönnte
ihm keinen Blick. Ich war ganz mit dem
alten grauen griesgrämigen Münster beschäftigt.

Erst als ich wieder im Bahnzug saß und über
den Rhein hinweg in das Elsaß hineindampfte,
fiel mir nachträglich, und ich erschrak aufs
tiefste, der Garten ein mit seinen goldenen
Ranken und blühenden Rosenlauben und stolzen
Fruchtbäumen, aus deren Mitte einer zu mir
sprach; „Eritis sicut dii, scientes bonum et
malum“. Da war ich etwas über siebzehn
Jahre und war nicht draußen, sondern war drin
im Garten. Und die Legende fiel mir da auch
ein. Nämlich, als Adam schon anfing alt zu
werden, machte er einmal eine Reise. Da
kam er an eine lange Mauer, aber er schrieb
gerade gelehrte Notizen in sein Taschenbuch
und achtete der Mauer nicht. Es war die
Mauer des Paradieses; aber ihm kam das nicht
in den Sinn. Er hatte das Paradies überhaupt
vergessen. Der alte Adam weiß manchmal
nicht mehr, daß er einmal im Paradiese war.
Das ist eine seiner größten Erbärmlichkeiten.

In den Garten von Breisach aber kam —
es ist schon eine schöne Weile her — ein
junger Mensch von noch nicht achtzehn Jahren.
Er kam aus langjähriger klösterlicher Internats-
Erziehung, um hier seine Ferien zu verbringen.
Der Pfarrer hatte ihn eingeladen. Der Pfarrer
war ein frommer und etwas einfältiger Mensch.
Er brachte den ganzen Tag damit zu, Gebet-
bücher zu schreiben — ihr Verzeichnis füllt
im Kürschner zwei Spalten — und Rosen-
kränze zu beten. Aber Eva, seine Nichte, saß
lieber im Garten und flocht sich ins dunkle
Haar Kränze von lebendigen Rosen. Sie war
auch etwas einfältig, aber jung, voll heißen
roten Bluts, und schön wie ein Maientag. Und
sie sah den jungen Klosterschüler so seltsam
fragend an. Auch der Klosterschüler war nun
immer im Garten. Der Garten war groß, und
es gab dichte Lauben darin. Es gab darin
sogar eine künstliche Tropfsteinhöhle. Trockenes
Moos deckte da den Boden, und dunkelrote
Glasscheiben in den Spalten erfüllten den Raum
mit purpurner Dämmerung. Wenn Adam und
Eva sich dieser Grotte näherten, da schlugen
ihre Herzen wie zum Zerspringen. Sie warfen
einen Blick hinauf zu den Fenstern, wo der
Onkel Rosenkränze betete und Gebetbücher
schrieb. Die dunkelroten Scheiben erfüllten die
Grotte mit purpurner Dämmerung . . . pst! nicht
weiter. Nur der Dichter darf so süße Geheim-
nisse weitererzählen. Das ist sein schönstes
und lieblichstes Vorrecht. Er darf es, denn
indem er scheinbar sein Eigenstes und Ge-
heimstes offenbart, spricht er aus, was der
ganzen Menschheit zugeteilt ist.

Und als der alte Adam droben auf dem
öden Münsterplatz stand und mit einem Blick
auch den Garten streifte, wie war es möglich,
daß er da den Garten ansah wie einen andern
fremden, gleichgültigen Garten; wie war es
möglich, daß nicht über der feindlichen Mauer

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