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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 1
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0052

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND jKUNST.

Erfahrungen und Mitteilungen, also nachdenkend,
gedächtnismäßig beachtet er an jedem Eindruck
nur gewisse Seiten, benennt diese als die wirk-
lichen, d. h. die wertvollen, und scheidet andere
als bloßen Schein aus, und beschreibt den Ein-
druck auch gar nicht nach seinem zufälligen
momentanen Aussehen, sondern nach Erinne-
rungen, die ihm von früher her bekannt sind.
Dies mag ein Beispiel verdeutlichen. Wenn
wir die Sonne sehen, und ihre Größe nach dem
gegebenen Anblick messen wollten, so müßten
wir sie einen Fuß groß nennen. Aber unter dem
Einfluß einer Fülle früherer Erfahrungen und
Berechnungen kommt die Naturwissenschaft zu
einer ganz andern Zahl, die nun für sie immer
dieselbe bleibt, ob die Sonne am Horizont ge-
schwollen und vergrößert, oder am Zenith in
ihrer kleinsten Gestalt sich befindet. Oder es
habe ein Mensch eine Vision, eine Erscheinung,
die sonst niemand anders gesehen hat, und die
keine Spuren hinterlassen hat, wie wir es sonst
gewohnt waren zu bemerken. Das ist für den,
der den natürlichen Weltbegriff anerkennt, ein
Grund, diese Erscheinung als unwirklich hinzu-
nthmen, indem seine früheren Erfahrungen und
die Rücksicht auf die Mitmenschen ihn zu
diesem Urteil bestimmen. Für den Impressio-
nisten, der sich von diesen Bindungen los-
macht, der die Erscheinung isoliert, besteht
kein Grund zu sagen, diese Erscheinung sei
weniger wirklich als irgend eine andere; er
begnügt sich mit dem bloßen Erlebnis. Und
wir können weiter sagen, daß er die Erschei-
nung rein als solche beschreibt, das bloße
Faktum konstatiert, während die Naturwissen-
schaft die Erscheinung erklärt, d. h. sich auf
ihre Vorgänger besinnt, sie überhaupt nur als
eine Anweisung auf Erinnerungen und Regeln
des Gemeinschaftslebens auffaßt. Die psycho-
logische Auffassung aber ist entschieden die
modernere, und die Methodik für sie, die bloße
Beschreibung ist wiederum von W. Dilthey
gefordert worden.

Die Beschränkung auf das einzelne Erlebnis
und seine Beschreibung, auf das momentan
Gegenwärtige, ist etwas, worin die Philosophie
nur abstrakter ausspricht, was sich in der ganzen
modernen Kultur ausgebreitet hat. Der Gegen-
satz von plastisch-darstellender Malerei zu der
impressionistischen des zufälligen Anblicks und
Ausschnitts ist ganz derselbe, wie der des
naturwissenschaftlichen und psychologistischen
Weltbegriffs. Wir verstehen aber dadurch die
hohe Schätzung, die alles Psychologische heute
in Leben und Kunst überhaupt besitzt, so daß
mit psychologisch oder unpsychologisch Wert-
urteile von einschneidender Bedeutung aus-
gesprochen werden. Die ganze Mißachtung
Schillers hat nicht zum wenigsten darin ihren
Grund, daß man alle einzelnen Vorgänge und
Charaktere unpsychologisch findet, während sie

doch in der Architektur des ganzen Dramas
durchaus ihre Richtigkeit haben können. Diese
Haftung am Einzelnen und Individuellen ist
durchaus daran beteiligt und sie äußert sich in
der Malerei in dem Dogma, daß jeder Maler
das Recht habe, die Natur so darzustellen, wie
er sie sehe. „Wie ich es sehe“, ist auch der
Titel eines Wiener Schriftstellers, Peter Alten-
berg, und der moderne literarische Stil sucht
darin seine Reize, alle durch den momentanen
Standpunkt bedingten Zufälligkeiten des Ein-
drucks in die Beschreibung mit hineinzunehmen,
ohne Rücksicht auf den Zusammenhang des
Ganzen und ohne Rücksicht auf den Leser. Es
ist eines der feinsten Kunstmittel J. P. Jacob-
sens, wenn er z. B. einen in der Ferne sich
nähernden Mann zunächst nur als schwarzen
Punkt beschreibt, und es ist mit größter Kon-
sequenz in einem Roman von Peter Baum (Berlin)
durchgeführt, in dem alle Situationen nur als
Phantasie und Realität mischende Impressionen
der Hauptperson geschildert sind.

Der Psychologismus gipfelt schließlich in
der Lehre, alles ist Empfindung, indem man
sich nicht nur auf den gegenwärtigen psycho-
logischen Inhalt beschränkt, sondern auch in
ihm noch alle Verknüpfung, alle Gestaltqualität
leugnet, und der isolierten Empfindung, Farbe,
Ton, Lichtreiz usw. einzig die Realität zu-
schreibt, in ihr das einzig Wirkliche, d. h.
für diesen Standpunkt einzig Wertvolle sieht
(Mach. Avenarius).

„Alles ist Empfindung“ entspricht in der
Ethik eine Lehre, daß alle unsere Handlungen
von Lust und Unlust bestimmt würden, daß
es keine absoluten Werte gibt und überhaupt
keine Werte, die über Lust und Unlust des
Augenblicks und des einzelnen Menschen hinaus-
führen. Damit wird den sinnlichen Antrieben
und überhaupt dem Triebleben der größere
Platz im menschlichen Handeln eingeräumt,
die Zwecke, die Prinzipien gehen verloren
(Dehmel: Erst wenn der Mensch von jedem
Zweck genesen, und nichts mehr wissen will
als seine Triebe). Die psychologische Auslegung
dieses Verhaltens führt uns wieder zu dem für
den Impressionismus entscheidenden Faktor,
die Ablehnung aller Einmischung vorausgefaßter
Prinzipien, erlernter oder erworbener Regeln in
die gegenwärtige Handlungsweise, die dem
momentanen Anreiz nicht widerstehen kann
oder nicht will. Nietzsche klagt zu gleicher Zeit,
als er das Unverständnis für Perioden im
Sprechen und Schreiben bedauert, über unsere
Unfähigkeit, einen Willen lange zu wollen. Dem
konsequenten, zielbewußten Manne zieht man
den Abenteurer vor, der als Held einer Dichtung
erscheint (Hofmannsthal), aber auch im Leben
häufig zu finden ist in den Lebensexperimen-
tatoren, die den Zufall oder die Überraschung,
wo sie ihnen nicht von selbst entgegentritt, mit

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