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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Beringer, Joseph August: Betrachtungen zu W. Steinhausens Griffelkunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0084

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W. Steinhausen. Radierung.

Wandlung in seinen religiösen Vorstellungen
ein. Nicht mehr nur der überkommene, viel-
mehr der erlebte, persönlichst empfundene
Glaube an die ewigen Wahrheiten, die im
Christentum enthalten sind, tritt in seiner Kunst
auf. Auch hier vollzieht sich eine Versenkung
in die heimlichsten Tiefen ihres Inhaltes.
Steinhausen dringt in das Wesen jener hehren
Geschehnisse. Man sieht nicht mehr nur
heilige Gestalten und hohe Handlungen, sondern
man vernimmt das Vibrieren einer Seele, über
die Konvention und Phrase keine Macht hat.
Die in Christus fleischgewordene Liebe, in der
Menschen, die eines guten Willens sind, Bruder
und Schwester heißen, umfaßt und durchdringt
mit ihrer beseligenden Wärme die ganze Welt.
Diese Erkenntnis bildet jene großen Liebes-
stationen der Bergpredigt, des Abendmahls, der

Kreuzigung in einem so neuen und hohen
Sinne, daß weder die jüngstvergangene, noch
die zeitgenössische Kunst etwas Gleichwertiges
an die Seite zu stellen hat. Geist und Natur
sind weder Teufel noch Sünde, noch überhaupt
Gegensätze: sie sind eins geworden. Daher
gibt Steinhausen den lehrenden Christus in der
maiengrünen Taunuslandschaft; die Kreuzigung,
das höchste Wunder der Liebe, offenbart sich
auf den kahlen, zerrissenen Höhen der Erde,
oder in den Finsternissen einer lichtlos, weil
liebelos gewordenen Welt. Kosmische Be-
ziehungen sprechen da ihre große Sprache.
Aber noch andere Lichter läßt Steinhausen
aufleuchten. Die Untertöne sind sein besonderes
Gebiet. Heimliche Welten, die in den Evan-
gelien schlafen, werden durch seine leiden-
schaftlich empfindende Seele erhorcht und mit

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