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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Oertel, Richard: Karl Haider
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0103

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KARL HAIDER.

groß geworden. Als individuell angelegte Natur
hat er sich frei entwickelt. Die ersten Kunst-
eindrücke erhielt er schon früh, nicht bloß als
Münchener Kind, sondern mehr noch infolge
einer glücklichen Veranlagung seines Vaters.
Dieser hatte die Stellung eines Leibjägers bei
König Max II., war aber kein Jäger von ge-
wöhnlicher Art. In ihm stak ein Künstler, be-
gabt mit hervorragendem Natursinn und feinem
Humor. Es gibt Jagdbücher, die er illustriert
hat; die „Fliegenden Blätter“ brachten in ihren
ersten Jahrgängen manche Beiträge von ihm,
die weit über die Kunst eines bloßen Dilettanten
hinausgehen. Das scharfe Auge für die Natur
hatte der Sohn geerbt. Kein Wunder, daß er
in der Malklasse von Anschütz, in die der
Vater ihn frühzeitig brachte, nicht den künst-
lerischen Boden fand, den er suchte und
brauchte. Es war Anfang der 60 er Jahre,
man malte noch akademisch - konventionell.
Zwar war das Verlangen nach Naturwahrheit
bei einer Reihe von jungen Künstlern schon
rege geworden, aber die Akademie hielt tech-
nisch und gegenständlich noch am Alther-
gebrachten fest. Wer wie Haider von Kind-
heit auf die herbe, wahrhaftige Natur liebte,
mußte hier auf die Befriedigung seines Dranges
nach Wahrheit und Vertiefung verzichten.
Schon nach einem Jahre gab er den Unterricht
wieder auf, um sich auf der gewonnenen
Grundlage allein fortzubilden. In der Folge
fand er in Böcklin, Thoma, Defregger, Ober-
länder warme Gesinnungsgenossen, und eine
besondere Freundschaft verband ihn mit dem
leider so früh verstorbenen Viktor Müller und
mit Wilhelm Leibi, der Haider mit Rud. Hirth
auf seinem Kritikerbilde porträtiert hat. Viel-
leicht hat der eine oder der andere aus diesem
Freundeskreis auf Haider in Malweise und Auf-
fassung vorübergehend Einfluß geübt, zu spüren
ist davon nichts oder doch nur sehr wenig.
Es will auch nichts besagen und spricht nur
für Haiders frühzeitige Reife, daß eine Zeich-
nung aus jener Zeit lange als Leibi galt. Haider
ging von Anfang an seinen eigenen Weg und
bildete sich seine eigene Technik. Schon seine
Jugendwerke zeigen unverkennbar dieselbe per-
sönliche Note, die ihm bis auf den heutigen
Tag geblieben ist. Die Entwicklung bestand
nur in einer Vertiefung und Klärung seiner
eigenartig sinnigen Naturanschauung, in der
Ausbreitung seines Stoffgebietes und in der
harmonischen Durchbildung der Farbengebung.

Aus Haiders Frühzeit ist leider wenig mehr
zu finden. Die Bilder sind zumeist verschollen,
der Meister weiß selbst kaum, wo sie hin-
geraten sind. Aber einige entzückende Proben
seines damaligen Könnens sind noch vorhanden:
das Genrebild der Münchener Pinakothek, ein
wahres Juwel in Farbe und Stimmung, ein
prächtiges Selbstporträt von 1875 und eine Land-

schaft von 1873, die einen blumigen Hügel-
rücken mit Bergen in blauer Ferne gibt und
in Anordnung, Behandlung und Stimmung
genau schon Haiders Eigenart aufweist.

Man könnte Haider mit den alten ober-
deutschen Malern, etwa mit Altdorfer und
Baidung Grien, vergleichen und in ihnen seine
Lehrmeister suchen. Manche Gemälde, nament-
lich die Figurenbilder, wirken ganz altmeister-
lich. Seine „Heilige Familie“ haben, wie ich
weiß, selbst gute Kunstkenner auf den ersten
Blick aus der Ferne für ein Madonnenbild aus
Meister Cranachs und Holbeins Zeit gehalten.
In der Tat finden sich zwischen jener und
Haiders Kunst Berührungspunkte: die subtile
Sauberkeit in Ton und Ausführung, die Fein-
heit in der Zeichnung, die Liebe zum Einzelnen
bei aller Beachtung der malerischen Gesamt-
wirkung, die scharf abgrenzende Gegenständ-
lichkeit, das Naive und Ungekünstelte in den
der Landschaft beigesellten Figuren, die sorg-
fältige Auswahl und die Harmonie der Ton-
werte, die peinlich präparierten Holztafeln mit
dem schönen Glanz der Farbe, vor allem aber
die Innigkeit der Auffassung. Mehr oder weniger
findet man diese Verwandtschaft ja auch bei
Thoma. Sie wurzelt aber bei beiden im Wesen,
im Fühlen, in der Kunstanschauung, nicht in
simpler Nachahmung. Sie war deshalb auch
von Anfang an da, sie kam wie von selbst als
eine notwendige Folge der ganzen Art, wie
Haider und Thoma die Natur sahen. Im
Grunde fühlt und denkt Haider wie die deut-
schen Meister des 15. und 16. Jahrhunderts.
Es ist nur natürlich, daß diese Seelen- und
Geistesverwandtschaft auch malerisch zum Aus-
druck kam. Damit steht es nicht in Wider-
spruch, daß Haider, wie er mir selbst erzählte,
von Jugend auf sich zu den Malerschulen
unserer Vorfahren stark hingezogen fühlte und
die weihevollsten Stunden seines Lebens dem
häufigen Besuch der Alten Pinakothek ver-
dankt. Noch heute kommt er selten nach
München, ohne in diesen Sälen die Runde zu
machen. Aus seiner angeborenen Liebe zur
schlichten deutschen Natur entsprang die Liebe
zur naiven Kunst des deutschen Mittelalters
und gleichzeitig seine gewissenhafte, ehrliche
Kunstweise, die ihm so viele Herzen ge-
wonnen hat.

Knüpft so Haiders Kunst mit ihrer Rück-
kehr zur echten, unverfälschten Natur unseres
Volkes wieder an den verlorengegangenen Faden
der alten deutschen Kunst an, so ist sie doch selb-
ständig und gehört zur modernen Malerei, nicht
zur einfachen Traditionskunst. Was Haider
von den alten Meistern unterscheidet, ist das
subjektive Element im Empfinden gegenüber
der Natur, das ihm immer mehr galt als das
bloße Objekt der Erscheinung. Haider hat nie
einfach nach den „Anweisungen“ der Natur

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