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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Oertel, Richard: Karl Haider
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0104

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KARL HAIDER.

gemalt, wie es die Alten und wie es auch Leibi
tat. Er erschöpft sich nicht in der kühlen,
korrekten Wiedergabe des Naturausschnittes;
was er gibt, ist immer ein Stück Landschaft,
gesehen durch das Auge eines Poeten. Von
dieser Seite beurteilt ist Haider ein durchaus
moderner Maler. Er hat wesentlichen Anteil
an der großen Errungenschaft unseres Zeitalters;
ein Dichter soll der Landschafter sein, der in
dem, was er malt, uns auch seine Gefühle
übermittelt — die Landschaft soll aus der Emp-
findung herausgeboren sein. In dieser inneren
Durchdringung des Stoffes unterscheidet sich
Haider darum auch von den älteren Landschafts-
schulen des 19. Jahrhunderts, mit denen er
andrerseits die kompositionelle Abrundung und
wohlabgewogene Ausgeglichenheit der Linien-
führung teilt. Bei Haider hören wir überall,
selbst beim Kommen der Nacht noch, den Atem
der Natur. Das kannten die alten Landschafts-
schulen nicht; ihre Bilder dünken uns heute tot.
Man schweife in alte Vergangenheiten zurück, in
die Zeit der Schirmer, Lessing, Achenbach usw.,
die heute in Berlin vorgeführt wird, und frage bei
allen großen und kleinen Meistern an, ob je einer
die Herrlichkeit der Gottesschöpfung so rein
und edel nachempfunden und dabei so meisterlich
schlicht gestaltet hat, wie es Haider in seinen
Landschaften gelungen ist. In seinen Frühlings-
bildern lebt eine hymnische Freude und Selig-
keit. Jedes Gräschen, jedes Blümchen, jedes
Bäumchen, jedes Wölkchen, jedes vom goldenen
Lichte beschienene Fleckchen scheint laut zu
jubilieren, daß der Lenz kam. In dem monate-
langen Schaffen am Bilde hat der gemütstiefe
Meister diese Frühlingsempfindung auch nicht
einen Augenblick verloren. In jedes, selbst das
feinste, Strichelchen ist sie hineingelegt. Dann
die Herbstbilder! Diese Abendhimmel mit den
rotgeränderten Wolken, diese dunklen schwei-
genden Tannenwälder, über deren Wipfel die
weißen Firnen schauen, die goldenen Farben
des Buchenlaubes, das fahle Gelb der absterben-
den Wiese: jedes Bild ein Landschaftsgedicht,
ein Hymnus an die ewige Schönheit der Natur!
Um Haiders Bilder zu beschreiben, reicht die
gewöhnliche Prosa nicht aus; ihr Stimmungs-
gehalt läßt sich würdig nur in formschönen
Strophen wiedergeben. Darum wollen seine
Landschaften auch gefühlt und empfunden sein:
es bedarf einer gleichklingenden Seele.

In seinem Verhältnis zur Natur liegt Haiders
Bedeutung und das Geheimnis seiner Kunst.
Vermöge der Empfänglichkeit seines Gemütes
ist er imstande, die Natur in ihrer ganzen
Kraft und Ursprünglichkeit in sich aufzunehmen,
und mit seiner künstlerischen Begabung gibt
er sie treu und wahr, aber doch gleichsam zu
einer höheren Einheit erhoben, wieder. Vor
seinen Gebilden meinen wir immer der Natur
ins große volle Auge zu sehen. Alle ihre

charakteristischen Eigentümlichkeiten sind her-
vorgehoben und mit echt künstlerischem Geiste
durchdrungen. Bei aller Treue in den Einzel-
heiten ruht ein poetischer Zauber über diesen
Landschaften, der sie zu Kunstwerken in höhe-
rem Sinne erhebt.

So malt man nicht nach Studienmappen, die
einige Sommermonate im Gebirge gefüllt haben.
Ein steter Umgang mit der Natur gehört dazu,
eine tiefe, fast leidenschaftliche Beobachtung
aller ihrer Stimmungen in Sommer und Winter,
Frühling und Herbst, zu allen Tageszeiten, in
allen Phasen der Erscheinungen. Man sagt
von Corot, daß er wochenlang im Walde von
Fontainebleau umherschweifte, vom frühesten
Morgen, bevor der Tag graute, bis zum späte-
sten Abend, wenn schon das Dunkel kam, ohne
eine einzige Skizze zu entwerfen, lediglich als
Beobachter. Ähnlich Haider. Kein Maler kennt
das Voralpenland wie er. Alle Szenerien und
Stimmungen dieser unvergleichlich malerischen
Landschaft sind fest in seine Sinne gegraben.
Was er sieht, nimmt er in sich auf und malt
dann meist in stiller Klause wochen- und mo-
natelang nach dem Gedächtnis oder nur an
der Hand einer flüchtigen Skizze, die in ein-
fachen Linien die Gruppierung und den wesent-
lichen Charakter der Landschaft andeutet. Aber
nie verliert er den Zusammenhang mit der Natur.
Immer wieder, eingedenk des alten Dürerwortes,
kehrt er zur Natur zurück; kein Bild vollendet
er, ohne es nochmals auf die objektive Wahr-
heit an Ort und Stelle geprüft zu haben.

Wiesengelände, die mit einzelnen Bäumen
bestanden sind, mit grauen Wolken darüber,
zwischen denen das Himmelsblau gar lieblich
hervorlugt; weite Hügellandschaften, aus be-
trächtlicher Höhe gesehen, wo man über dichte,
dunkle Tannen- und Buchenwälder hinweg
die ferne Alpenkette sieht; Steinwände, über
denen eine tiefe, keusche Stimmung zittert;
grüne Rasen, auf denen die Blumen sprießen
und muntre Bächlein wandern; stille Wald-
winkel, die trotz des sich über die Wiese
schlängelnden Pfades von keines Menschen Fuß
berührt zu werden scheinen — das ist mit Vor-
liebe die Welt, in die sich Haider wie ein
frommer Einsiedler mit beinahe mittelalterlicher
Ruhe versenkt. Seine Motive sind einfach,
ohne Häufung von Schaustücken, ohne Spur
von Effekthascherei, echt, schlicht und herz-
erfreuend. Auch die dramatischen Erregungen
der Natur haben seinen Pinsel gereizt. Kein
deutscher Maler hat je so den Gewitterhimmel
zu meistern verstanden, die dunklen, bleischwer
niederdrückenden Wolkenmassen, aus denen
voller Wut das Unwetter losbricht, während
im Vordergrund Wiesen und Büsche noch in
frischem Grün leuchten.

Meist hat sich Haider damit begnügt, die
feine Naturpoesie seines stillen grünen Vor-

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