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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0111

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

Scheide. Erst als er im Bistum Basel in der
Nähe von Delsberg und nicht weit von der
deutschen Reichsgrenze die ersten alemannischen
Laute vernimmt, stutzt er, windet und krümmt
sich, kehrt zuletzt um und fließt parallel mit
sich selber südwärts, als ob er, der Närrische,
zu seiner Quelle zurückkehren wolle. Er nähert
sich ihr wirklich, aber bevor er sie erreicht,
nimmt ihn die Saone in ihre Arme und reißt
ihn mit fort und führt ihn die „Goldenen Hügel“
entlang, wo die schwarze Burgundertraube
reift, und weiter der Sonne entgegen und dem
blauen Meer des Südens.

So ist dieser bescheidene Fluß ein Symbol
der großen burgundischen Nation, deren altes
Reich er durchströmt. Auch sie hat den Rhein,
wo noch Worms, ihre alte Königstadt, auf-
recht steht und märchenhafte Erinnerungen
raunt, aufgegeben und sich abgewandt von den
Bruderstämmen des Nordens, um in einer süd-
licheren, sonnigeren, reiferen Kultur unterzu-
tauchen. Sie hat sich dabei selbst ganz ver-
gessen, ihren Namen ausgenommen. Außer
diesem Namen aber ist ihr auch nicht ein
Wort ihrer Sprache im Gedächtnis zurück-
geblieben.

Es ist ethnographisch interessant, von hier
vergleichend nach der Normandie hinaufzusehen.
Dieses Land kam ungefähr zu derselben Zeit
in den Besitz deutscher Völkerschaften wie
Burgund. Aber diese nördlichen Gebiete Galliens
waren von römischer Kultur kaum berührt, aus
diesem Grund ist hier die deutsche Sprache
nicht ganz weggelöscht aus der Physiognomie
des Landes, vielmehr ist in unzähligen Orts-
benennungen ihr Niederschlag bis auf den
heutigen Tag deutlich zu erkennen. Wir finden
da zahlreiche Zusammensetzungen mit bec -
Bach, wie die Abtei Bec, Grand Bec, Caude-
bec (Kaltenbach), Lillebec, Foulbec (Faulbach);
mit bceuf = Bau, Gehöft, wie Elbceuf, Quille-
boeuf, Auboeuf, Paimbceuf; mit fleur = Flur,
Gemarkung, wie Harfleur, Honfleur, Fiquefleur,
Barfleur; mit lande, wie La Lande, Les Landes,
Bellelande; dann Ortsnamen wie Lien ä Than,
le Theil, le Torpt, le Huda, Houlgate, wie
Le Hebert, Pont Audemer (Aldemar), wie St.
Arnoult, St. Menehould, St. Vulfran, oder gar
Orte wie Hermanville, Clefeld und Rosendal,
wie Le Havre, der Hafen.

Von so etwas im Burgundischen nicht die
Spur. Die hochentwickelte lateinische Sprache
war hier, auch in ihren volkstümlichen Aus-
prägungen, dem germanischen Idiom zu sehr
überlegen, um das Barbarenkind nicht voll-
ständig zu ersticken. Nichtsdestoweniger hegte
dieser germanische Adel, bis nach Italien hin-
unter, ein starkes nationales Selbstbewußtsein,
das die herkömmliche Kulturgeschichte immer
allzu wenig in Rechnung gezogen hat. Noch
am Ausgang des io. Jahrhunderts schreibt

Luitbrand von Cremona: „Wir Longobarden,
wie auch die Sachsen, Franken, Bayern,
Schwaben, wie auch die Lothringer und Bur-
gunder, verachten die Romanen so sehr, daß
wir am liebsten unsere Feinde so heißen, weil
wir überzeugt sind, daß es keinen schimpf-
licheren Namen geben kann, und weil wir gern
damit alles bezeichnen, was unedel, feige, geizig,
ausschweifend, lügenhaft und voller Laster ist.“

In der Lombardei ist dieses germanische
Bewußtsein schon in den nächsten zwei Jahr-
hunderten gänzlich erloschen; aber in Burgund
hat es wohl länger gedauert. Als Friedrich
der Rotbart in Dole märchenhafte Feste ver-
anstaltete und sich zum König krönen ließ,
wurde er weder vom Volk noch vom hohen
Adel als Fremder empfunden, und er selber
scheint sich an der Rhone so heimisch gefühlt
zu haben wie am Rhein. Er hat zu Mainz die
berühmte „Schwertleite“ abgehalten, aber sein
Hoflager zu Dole in Burgund stellte durch
Prunk und Üppigkeit sogar dieses Fest in den
Schatten.

Davon ist freilich heute in dem unbedeu-
tenden Nest am Doubs nicht die Spur eines
Gedankens lebendig geblieben. Und doch hat
dieselbe Stadt nach ganzen drei Jahrhunderten
noch einmal für einen deutschen Fürsten ge-
kämpft, ja sich ganz und gar für ihn verblutet,
also daß sie, ihre „Treue“ mit ihrem Blut be-
siegelnd, davon elend geblieben ist bis auf den
heutigen Tag, und ihre glanzvolle Größe, die
sie dem Rotbart verdankte, selber vergessen
hat. Das war nach dem Tode Karls des
Kühnen; da stellte sich die Stadt Dole so ent-
schlossen auf die Seite des späteren Kaisers
Maximilian, den Gemahl ihrer Erbfürstin, und
wehrte sich so wütig gegen Frankreich, daß
Ludwig XI. die Stadt dem Erdboden gleich
machte. Damals war Sprache und Nationalität
noch nicht der geringste politische Machtfaktor.
Völker und Länder wurden als Heiratsgut ver-
erbt und die Völker fanden das nicht nur in
der Ordnung, sie opferten auch Gut und Blut
zur Aufrechthaltung eines solchen Erbrechts.
Der ganze Patriotismus galt da einer Person,
einem Eigentümer, und in politisch zurück-
gebliebenen Staaten und Völkern gibt es sogar
heute noch Fürsten, die einen solchen „Patrio-
tismus“ wie eine selbstverständliche Sache
fordern, ohne auf allzu lauten Widerspruch zu
stoßen. Man hat da die ehrwürdigsten Heiligen
abgesetzt, aber man liegt auf den Knieen vor
dem hl. Anachronismus. Aber auch er wird
in seinem letzten Standbild eines Tages fallen,
seinen mächtigen Beschützern zum Trotz. Ja
es wird die Zeit kommen, wo man dem heu-
tigen Sperren der Nationen gegeneinander und
ihren Kriegen nur noch so viel Vernunft zu-
gestehen wird, als den heiligen Kreuzzügen des
Mittelalters.

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