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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 2
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Rüttenauer, Benno: Vom Rhein zur Rhone, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0112

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VOM RHEIN ZUR RHONE.

Man erlaube mir, einen kitzligen Gedanken
wenigstens leise auszusprechen. In Mainz, in
Trier, in Köln lodert heute der deutsche Patrio-
tismus. Man denke sich in der großen Be-
wegung des weltgeschichtlichen Geschehens
an einem Punkt die Richtung auch nur um ein
Haar verändert, so würde in den genannten
Städten der französische Patriotismus lodern
und vielleicht sogar noch ein bißchen höher
als heute der deutsche. Man glaubt das nicht?
Es hat in Mainz z. B. eine kurze Zeit hell
gelodert, und in Straßburg, das so gut eine
deutsche Stadt ist wie Mainz oder Köln, hat
er eine sehr lange Zeit hoch aufgelodert, am
stärksten in den Tagen des höchsten deutschen
Ruhmes. Und was ich damit sagen will?
Kosmopolitismus predigen zur Unrechten Zeit?
Nichts weniger. Das wäre nur ein anderer
hl. Anachronismus. Den können wir sicher
nicht brauchen. Er müßte uns noch verhäng-
nisvoller werden, als der oben bezeichnete. Wir
brauchen vielmehr in hohem Grade den ganz
chronischen Fanatismus, weil er uns von
Andern aufgenötigt wird, aber auch nur deshalb
und nur so lange, hoffentlich; aber gut ist es
immer, etwas weiter zu sehen als Andere und
zu wissen, daß eine Sache nicht notwendig ist
wegen ihrer Heiligkeit, sondern daß nur ihre
Notwendigkeit sie zu einer heiligen Sache macht.

Ungefähr so, scheint mir, hat Bismarck ge-
dacht.

Man vergegenwärtige sich einmal recht
lebhaft den fanatischen Patriotismus, mit dem
einst die Sienesen den Florentinern, die Floren-
tiner den Genuesen, die Genuesen den Vene-
zianern, bis an die Zähne gewappnet, einander
gegenüberstanden. Alle diese heiligen Patrio-
tismen sind zur Lächerlichkeit geworden. Mit
ihrer Notwendigkeit verloren sie auch ihre
Heiligkeit. Indem sie unnütz wurden, wurden
sie zugleich schädlich und verächtlich. Hoffen
wir, daß Italien, die Mutter Europas als Kultur-
land, einst das Symbol seiner Geschichte sei.

Und Dole ist nicht die einzige Stadt, die
sich bis zur Selbstaufopferung gegen Frank-
reich gewehrt hat und nachher eine gute
französische Patriotin geworden ist mit dem
Bewußtsein — es immer gewesen zu sein.
Diese Städte zählen nach Dutzenden. Frank-
reich hat in diesem Sinn Wunder gewirkt, aber
es hat sie gewirkt nicht sowohl durch seine
Soldaten; seine hohe Kultur hat das getan.

* *

*

Und da ich von Kultur spreche: Die alt-
römische, die in der späteren französischen stark
durchklingt, hatte in diesen Gegenden einen
Hochsitz. Die Rhetoren sprachen sogar von
einer Chrysopolis. Das war Besancon. Seit
Augustus blühte hier eine hohe Schule, und
einer ihrer Lehrer war kein Geringerer als der

Spanier Quintilian, der dann in Rom ein welt-
berühmter Mann wurde. Er ist zugleich im
Altertum das erste Beispiel eines vom Staat
besoldeten Professors. Das weltbeherrschende
Rom hatte nur einen staatlichen Professor;
wieviel hat das heutige Europa? Wenn da-
nach die Kultur zu bemessen wäre . . .

In der Kathedrale von Besancon erlebte ich,
nicht jetzt, aber vor vielen Jahren, eine Er-
schütterung bedeutender Art, ich könnte sagen,
eine religiöse Erschütterung. Vor einem ekla-
tanten Schauspiel zeigte sich mir, dem Er-
schrockenen, mit einem Schlag die ungeheure
Kluft zweier Welten, der germanischen und
romanischen. In der erzbischöflichen Kathe-
drale zu Freiburg hatte ich mir manches
feierliche Hochamt in der Nähe angesehen,
aber was sich jetzt hier in der Kathedrale
zu Besancon unter Mitwirkung Seiner Eminenz
des Kardinal - Erzbischofs vor meinen ver-
blüfften Augen entrollte, war etwas sowohl
äußerlich wie im tiefsten Grund Verschie-
denes. Dort prunkvoller Gottesdienst, aber als
Gottesdienst wirkend, nicht erdrückt vom
Prunk; viel Formen, viel Zeremonien, aber die
Seele der Sache, die Andacht, noch sichtbar die
Form belebend und durch die begleitende Musik
ernst und würdig und allem Volke vernehmlich
zum Ausdruck gebracht. Und hier? Noch
zehnmal mehr Prunk, noch zehnmal mehr Form
und Zeremonie; kein Gottesdienst mehr, nur
noch Schauspiel, ein Schauspiel, das mit vollem
Bewußtsein als solches dem Volke geboten
ward; jeder Mitwirkende ein perfekter Schau-
spieler, nur von dem einzigen Gedanken belebt,
seine Rolle gut durchzuführen, einzig darauf
bedacht, wie er wirke, alle Blicke nach dem
„Oberregisseur“, dem Zeremonienmeister ge-
richtet, der mit diskreten Handbewegungen und
Zeichen die Aufführung wie am Schnürchen
leitete; statt aller Andacht bei den Einen Akkura-
tesse und schauspielerische Pose, Gelangweilt-
heit bei den Anderen, und dazu als Musik ein
ebenso nichtssagender und oberflächlicher Ohren-
kitzel, wie die Handlung ein Augenschmaus.

Ich hatte damals vor allem das Gefühl,
plötzlich einem mir ganz fremden Katholizis-
mus gegenüberzustehen, vor dem sich etwas
in mir empörte wie ein protestantisches Ge-
wissen. Es war das deutsche Gewissen, das
in dieser Erfahrung seines Gegensatzes sich
selber erst zum Bewußtsein kam.

Ich begriff damals nur den religiösen Gegen-
satz; diesmal, wieder von Freiburg herkommend,
frappierte mich ein anderer. Betroffen stand
ich vor dem Altarbild des Fra Bartolommeo.
Und dachte zurück an den Freiburger Hochaltar
unseres Baidung. Das war fast derselbe Kon-
trast. In dem Werk des Deutschen Peinlich-
keit des Fleißes, erstaunliche Tüchtigkeit, ernste
Innerlichkeit, gerade Sachlichkeit; kein Streben

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