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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Schäfer, Wilhelm: Deutsche Jahrhundert-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0132

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DEUTSCHE JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG.

fremden Propheten nachlaufen. Warum sollen
wir nicht von unseren Helden etwas Charakter,
etwas Selbstzucht, etwas Treue und Beständig-
keit lernen, statt in steter Bequemlichkeit jedem
neuen Spektakel nachzulaufen? Denn, damit
dies immer wieder gesagt wird, die Kunst ist
doch nicht bloß dies, daß Künstler ihre Werke
anfertigen und verkaufen: sie muß, dies ist aus
ihrem persönlichen Ursprung gar nicht anders
möglich, doch ein Sinnbild unserer Art sein,
gleichsam das wundersam gestickte Banner
unseres Volkstums, dessen Schriftzeichen zwar
auch dem Fremden verständlich sind, aber doch
nur uns mit dem Zauberlaut der Muttersprache ins
Ohr klingen. Wie jedem Einzelkünstler, ob er
noch so sehr nach allgemeiner Form und Ge-
setzmäßigkeit strebt, das Persönliche nicht aus
den Knochen geht, so auch wird die Kunst
eines Volkes doch niemals eine besondere Art
verleugnen können. Die geheimnisvollsten
Wirkungen der Kunst liegen hier begründet.
Wer dies nie empfunden hat, daß man manche
Werke staunend bewundert, und auf einmal
irgendwo ist es, als bräche das eigene Herz
einem aus: so Verwandtes steht vor den er-
schrockenen Augen, hat wohl wenig von der Kunst.

Zwar sollen wir schon unsere Bücher nicht
mehr in deutscher Schrift drucken lassen (fast
das einzige, was wir uns aus einer reichen Zeit
deutscher Kultur gerettet haben) des unschönen
Satzbildes wegen. Die mit so viel Aufwand
begonnene deutsche Klassiker-Ausgabe im
Insel-Verlag ist denn auch schon mit dünnen
aus England bezogenen Typen und den dazu
passenden Titelschriften gedruckt (natürlich von
englischen Künstlern gezeichnet). Vielleicht will
man uns nächstens auch noch unsere bar-
barische Sprache abgewöhnen; es gab ja in
Deutschland eine Zeit, wo unsere Fürsten sie
nicht beherrschten, wo sie für den gemeinen
Mann gerade recht, in gebildeten Kreisen ver-
pönt war. Als ich neulich an den Gedanken
ging, einmal in Abgüssen das ganze Werk
unseres größten Bildhauers Peter Vischer zu-
sammenzubringen, konnte mir das Germanische
Museum in Nürnberg kein vollständiges Ver-
zeichnis angeben.

Ich bin dabei, einen schweren Vorwurf aus-
zusprechen, der weder die Künstler noch das
Publikum, sondern jene trifft, die der Kunst,
ihrer Geschichte und ihrer Erkenntnis Studium
und Lehre widmen. Es fehlt gewiß nicht an
Begabungen in Deutschland, die dieses Fach
mit Ernst und Leidenschaft ergreifen; aber
wenn man als Herausgeber einer Zeitschrift
immer wieder Dutzende von Themen zur Ab-
handlung sich vorschlagen läßt und selten be-
trifft eins einen deutschen Künstler (da ist kein
Norweger oder Russe oder Franzose oder Eng-
länder noch so klein, er findet seinen deutschen
gelehrten Abhandler): dann faßt man sich wirk-
lich an den Kopf und fragt: sollte es nicht

außer den wenigen Paradepferden hier und da
noch ein beachtenswertes Talent in unserm
kümmerlichen Deutschland geben? Oder ist
uns der Traum von unserer Universalität wirk-
lich auf die Sinne geschlagen? Wenn dann
ein als genial gepriesener Direktor einer großen
deutschen Sammlung, in einer Stadt mit einer
eigenen reichen Kunstgeschichte seine Tätigkeit
mit der Ausstellung einer durch ganz Deutsch-
land genügend abgehetzten Kollektion von fran-
zösischen Farbenradierungen beginnt (wie rasch
haben wir uns übrigens diese amüsanten Blätter
leid gesehen) und dies so wichtig nimmt, daß
er in einem „führenden“ Blatt einen erziehe-
rischen Artikel dazu drucken läßt: ja dann
schwebt ein hartes Wort auf der Zunge, das
mit Bildung beginnt und mit ebensoviel ent-
gegengesetzten Silben aufhört. Hat dies etwas
mit Chauvinismus zu tun, wenn gefordert wird,
daß die Beziehungen zwischen einem Volk und
seinen eigenen Künstlern wichtiger gehalten
werden sollen, als die zu fremden? Dem Künstler
jede Möglichkeit einer Anregung, falls er sie
braucht, für ihn ist der Wettkampf eine Steige-
rung der eigenen Kraft; und keinen Augenblick
die Rede, daß unsere Kunst besser sei, als eine
fremde: nur daß sie uns mehr angeht, und daß
wir, durch das Hirngespinst einer universalen
Bildung verlockt, den Kreis, den jeder Künstler
braucht, zum Leben wie zum Schaffen, nicht
durch Stapelhäuser ausländischer Kunst beengen.
Bayersdorffer ist nicht nur Böcklin, sondern
auch manchem heute noch kaum Beachteten
ein Freund gewesen, wie sie häufiger sein
müßten. Sollte dies ein zu idealer Zustand
sein in Deutschland, daß jede, auch die ein-
samste Begabung, einen genügenden Kreis fände,
um nicht an sich zugrunde zu gehen?

Dies schreibend muß ich mit Schrecken
daran denken, daß ich selber bei der Gründung
eines Verbandes von Künstlern und Kunst-
freunden nicht unbeteiligt bin, der solchen Be-
gabungen gegen den Modegeschmack eine ma-
terielle und freundschaftliche Stütze sein möchte,
und daß ich dieses in seine Verbandszeitschrift
schreibe. „Für die Nachtigallen gegründet, und
die Spatzen werden Futter haben,“ zweifelte
ein Künstler am Anfang. Und wer von uns
aufrichtig die beiden Jahre eifriger Tätigkeit
übersieht, der weiß gewiß, wie weit es von
jener idealen Absicht zur wirklichen Einsicht
und danach zur Tat ist. So wären vielleicht
alle diese Dinge milder zu beurteilen; aber
daran kann nichts gemäkelt werden, daß in
solcher Absicht zwanzig Mißerfolge wertvoller
sind, als mit einem glänzenden Essay über
Whistler ein Publikum verblüfft zu haben.

Dies mag nun alles sehr wenig mit der
Jahrhundert-Ausstellung zu tun haben; aber
sie erinnerte mich daran und so mag es hier
stehen. Dem gewissenhaften Berichterstatter
wird nachher das Wort gegeben. Das aber

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