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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 3
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Hesse, Hermann: Eine Fussreise im Herbst, [2]: Schluß
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0163

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Eine fussreise im herbst.

„Wirklich? Ich dachte immer, ein Kind
sollte möglichst lange ausschließlich von den
Eltern erzogen werden.“

„Man sieht, Sie selber haben keine Kinder.“
„Ich bin nicht so glücklich.“

„Aber Sie sind verheiratet?“

„Nein, Herr Herschel, ich lebe allein.“

Die Bohnen würgten mich elend, sie waren
schlecht entfädet.

Als das Essen abgetragen war, schlug der
Mann eine Flasche Wein vor, was ich nicht
ablehnte. Wie ich gehofft hatte, ging er selber
in den Keller und ich blieb eine Weile mit der
Frau allein.

„Julie,“ sagte ich.

„Was beliebt?“

„Sie haben mir noch nicht einmal die Hand
gegeben.“

„Ich hielt es für richtiger —“

„Wie Sie wollen. — Es freut mich zu sehen,
daß es Ihnen gut geht. Es geht Ihnen doch gut?“
„O ja, wir können zufrieden sein.“

„Und damals — sagen Sie mir, Julie, denken
Sie nie mehr an damals?“

„Was wollen Sie von mir? Lassen wir
doch die alten Geschichten ruhen! Es ist ge-
kommen, wie es kommen mußte und wie es
für uns alle gut war, meine ich. Sie haben
schon damals nicht recht nach Jlgenberg herein-
gepaßt, mit allen Ihren Ideen, und es wäre
nicht das Richtige gewesen —“

„Gewiß, Julie. Ich will nichts Geschehenes
ungeschehen wünschen. Ich wollte nur irgend
ein Wort von damals hören, eine Erinnerung. —
Sie sollen nicht an mich denken, gewiß nicht,
aber an alles andere, was dazumal schön und
lieb war. Es ist doch unsere Jugendzeit ge-
wesen, und die wollte ich noch einmal auf-
suchen und ihr ins Auge sehen.“

„Bitte, reden Sie von anderem. Für Sie
mag es anders sein, aber für mich liegt zu viel
dazwischen.“

Ich sah sie an. Alle Schönheit von damals
hatte sie verlassen, sie war nur noch Frau
Herschel.

„Allerdings,“ sagte ich grob und hatte nichts
dagegen, als nun der Mann mit zwei Flaschen
Wein zurückkam. Die erste Flasche wurde
aufgemacht und ich war nicht verletzt, als
Julie das Mittrinken ablehnte.

Es war schwerer Burgunder, und Herschel,
der sichtlich kein Weintrinker war, begann
schon beim zweiten Glase anders zu werden.
Er fing an, seine Frau mit mir zu necken. Als
sie nicht darauf einging, lachte er und stieß
sein Glas an meines.

„Zuerst wollte sie Sie gar nicht ins Haus
haben,“ vertraute er mir an.

Julie stand auf.

„Entschuldigen Sie, ich muß nach den
Kindern sehen. Das Mädel ist noch immer
nicht ganz wohl.“

Damit ging sie hinaus, und ich wußte, sie
würde nicht zurückkommen. Ihr Mann machte
zwinkernd die zweite Flasche auf.

„Sie hätten das vorher nicht sagen dürfen,“
warf ich ihm vor.

Er lachte nur.

„Lieber Gott, so grätig ist sie schließ-
lich nicht, daß sie das übelnimmt. Trinken
Sie doch! Oder schmeckt Ihnen der Wein
nicht?“

„Der Wein ist gut.“

„Nicht wahr? Ja, sagen Sie, wie war denn
das nun damals mit Ihnen und meiner Frau?
Kindereien, was?“

„Kindereien. Doch tun Sie besser, nicht
davon zu reden.“

„Gewiß — freilich — ich will ja nicht
indiskret sein. Zehn Jahre ist es her, nicht?“

„Verzeihen Sie, ich muß es vorziehen jetzt
zu gehen.“

„Warum denn schon?“

„Es ist besser. Vielleicht sehen wir uns ja
morgen noch.“

„Na, wenn Sie durchaus gehen wollen —.
Warten Sie, ich leuchte Ihnen. Und wann
kommen Sie morgen?“

„Nach Mittag, denke ich.“

„Also gut, zum schwarzen Kaffee. Ich be-
gleite Sie ins Hotel. Nein, ich bestehe darauf.
Wir können ja dort noch etwas zusammen
nehmen.“

„Danke, ich will zu Bett, ich bin müde.
Empfehlen Sie mich Ihrer Frau, bis morgen.“

Vor der Haustür schob ich ihn ab und ging
allein davon, über den großen Marktplatz und
durch die stillen dunkeln Straßen. Ich lief
noch lange in der kleinen Stadt herum, und
wenn von irgend einem alten Dach ein Ziegel
gefallen wäre und hätte mich erschlagen, so
wäre es mir auch recht gewesen. Ich Narr!
Ich Narr!

NEBEL.

Am Morgen wachte ich zeitig auf und be-
schloß, sogleich weiter zu wandern. Es war
kalt und ein Nebel lag so dicht, daß man
kaum über die Straße sah. Frierend trank ich
Kaffee, bezahlte Zeche und Nachtlager und ging
mit langen Schritten in die dämmernde Morgen-
stille hinein.

Rasch erwärmend ließ ich Stadt und Gärten
hinter mir und drang in die schwimmende
Nebelwelt. Das ist immer wunderlich ergrei-
fend zu sehen, wie der Nebel alles Benach-
barte und scheinbar Zusammengehörige trennt,
wie er jede Gestalt umhüllt und abschließt und
unentrinnbar einsam macht. Es geht auf der
Landstraße ein Mann an dir vorbei, er treibt
eine Kuh oder Ziege oder schiebt einen Karren
oder trägt ein Bündel, und hinter ihm her trabt
wedelnd sein Hund. Du siehst ihn herkommen
und sagst Grüß Gott, und er dankt; aber kaum

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