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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Kromer, Heinrich Ernst: Schultze-Naumburg: "Kulturarbeiten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0258

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W. Callwey in München) die Arbeiten erschienen,
schon für eine große Verbreitung gesorgt. Man
kann also wohl sagen: Der Boden ist gelockert.
Und die Saat ist auch da.

Der Verfasser, dem es mit seiner Sache
heiliger Ernst ist, hat ein treffliches Mittel ge-
funden, den Leser zum Aufmerken zu verleiten
und ihm die Augen zu öffnen: Er stellt im Bilde
je einem Beispiel, das ein gutes Vorbild dar-
stellt, ein Gegenbeispiel von überzeugender Häß-
lichkeit oder Geschmacklosigkeit gegenüber. Man
kann wohl sagen, der Text, so fließend, sach-
verständig und überredend er geschrieben ist,
tritt gegenüber der starken Bilderwirkung etwas
zurück; man hat ihn, glaubt man, eigentlich
kaum mehr nötig bei dem wirksamen Gegen-
satz, in welchem das mit so viel Liebe aus-
gesuchte Beispiel zu dem von Haß, Hohn und
Spott gewählten Gegenbeispiel steht; ich glaube
fast, Schultze-Naumburg hat mit dem Instinkt
des Malers dies Vorherrschen des Bildes be-
absichtigt; er will das Auge beschäftigen, schulen
und bilden, und dies um so mehr, da er, wie er
schreibt, sich nicht an diejenigen wendet, die
mit ihm für gleiche Ziele fechten und längst
einig mit ihm im Geschmack gehn, sondern an
die, welche noch ganz fernabstehn; denen noch

nichts von der Erkenntnis dämmert, daß das
Urteil unseres bewußten Anschauens nicht allein
„schön und häßlich“ lautet, sondern „gut und
schlecht“ in beiderlei Sinn, nämlich: „praktisch
brauchbar und unbrauchbar“, und „moralisch
gut und schlecht“. Und weiter ist es sein
Wunsch, das Volk zu gewinnen; „den kleinen
Bürger, die Bauern, die Arbeiter: diejenigen,
die am nachhaltigsten an der Umgestaltung
unseres Landes tätig sind“.

Es wird Schultze-Naumburg ein Vorwurf ge-
macht, zu dem man beim ersten Anblick seiner
als Muster aufgeführten Beispiele ja wohl
kommen kann: Er bleibe beim Biedermeier-
stil stehen oder wolle wieder zu ihm zurück.
Nun blieb dem Verfasser, wenn er nicht zu
ganz entlegenen Stilen wie der Gotik oder der
Renaissance zurückgreifen wollte, die mit der
bürgerlichen Baukunst nichts oder sehr wenig
zu schaffen haben, gar nichts anderes übrig:
Der Biedermeierstil weist die letzten Muster
auf, welche noch von einer guten Tradition
bürgerlicher Architektur geschaffen sind. Diese,
im Rokoko ihre Wurzel, ja schon ihre hohe
Ausbildung findend, in jenem Rokoko, das durch
die höfische Usurpation äußerlichen Formen-
flitter annahm und dadurch den Einwand gegen
sich selber schuf, den man heute gemeinhin
mit diesem Stile verbindet, führte über das
Empire hinweg, das an ihr auch nur das Dekor,
nicht das Wesen veränderte, und erhielt schließ-

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