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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 5
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Kromer, Heinrich Ernst: Schultze-Naumburg: "Kulturarbeiten"
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0259

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lieh im sogenannten Biedermeierstil den Cha-
rakter bürgerlichen Behagens und einer breit-
behäbigen Zufriedenheit, die der Ausdruck jener
Zeit war. Nicht sentimentale Rückwärtserei,
die in jener Epoche ein besonderes Ideal er-
blickte, noch auch künstlerisches Unvermögen
hießen den Verfasser vorzugsweise zu diesen
Beispielen greifen. Abgesehen davon, was er
damit an erhaltungswürdigen Bauten dem Ge-
wissen des Volkes vorführte, konnte er den
Augen zugleich das Geheimnis lehren, wodurch
diese Gebäude an sich wie in ihrer Verbindung
mit ihrer Landschaft wirken, und wo ferner
wieder angeknüpft werden muß, wenn von
unserer bürgerlichen Baukunst nicht die In-
dustriekiste, die Mietskaserne und die protzige
Reißbrett- und Schulmeister-Renaissance für
alle Zukunft jenes häßliche Bild geben soll,
das uns heute wehtut, noch den traurigen
Beweis, daß es unserer Zeit Vorbehalten war,
das Antlitz unseres Landes vandalenmäßig zu
verschandeln.

Die gute Überlieferung in der bürgerlichen
Baukunst hielt vor bis ins 4. und 5. Jahrzehnt
des vergangenen Jahrhunderts. Dann kam —
abgerechnet da und dort ein leises Abwärts —
ein Stillstand. Es wurde in jenen Jahrzehnten
überhaupt wenig gebaut. Als der Glücksfall
des siebziger Krieges neue Unternehmungslust
weckte und die Gewerbefreiheit Handel und
Industrie belebte, wirkte ebendiese Freiheit be-
sonders auf die Baukunst ein, besser gesagt:
auf das Bauen. Und zwar baute man zu Handels-
zwecken — Häuserhandel, Bauspekulation —
und zu Industriezwecken —: Gründungs-
schwindel! Es ist begreiflich, daß die Industrie
ihre Erzeugnisse zu verwerten suchte: Die
Ziegelbrennereien ihre Backsteine, die Sägereien
ihr Bauholz, die Eisenindustrie alle ihre un-
zähligen Artikel. Die Backsteinbauten schossen
empor; das Fachwerk, wo es überhaupt noch
verwendet wurde, verlor sein einfaches, tüchtiges
und doch immer reichlich wechselndes Bild
und wurde einer entsetzlich nüchternen Scha-
blone unterworfen; es galt eben, schnell, gewinn-
bringend und so vor allem einförmig zu bauen,
da ja das Haus nicht nach Gemüt und Seele
eines dauernden Besitzers, der auf sein Behagen
schaute, gebaut ward, sondern um als Handels-
objekt von Hand zu Hand zu gehn und keinem
eine bleibende Stätte zu werden. Erbauer wie
Käufer waren einer für den andern namenlos,
waren und blieben einander Fremde. Die Eisen-
industrie endlich verleumdete das Holz als un-
dauerhaft, unpraktisch, unschön. Hier fand die
miserabelste Umwertung aller Werte statt,
welche die Architektur je betroffen hat; die
bürgerliche und bäuerliche Baukunst ganz be-
sonders. Ihre Lüge schaut aus der ganzen
heutigen Bauindustrie heraus als ihr schlechtes
Gewissen, das uns, die aus ihrer Umgebung

nicht herauskommen, beunruhigt und quält, als
wenn es unser eigenes wäre . . .

Weiter ist begreiflich, daß, wenn einmal der
Nützlichkeitsweg beschritten war, man darauf
weiterging und auch Gründe dafür vorbrachte.
Vorzubringen sucht! Das Minderwertige ist
immer mit Gründen bei der Hand. Die schwachen
Gründe aber bringt man vor, die stärkeren
Gegengründe, falls man sie kennt, verschweigt
man. Und was wird — bei genauerem Hin-
sehen — begründet? Nichts als der Wert, der
Vorzug der Schablone. Als dieser erst dem
Bauenden, sagen wir dem Häuserkäufer — plau-
sibel gemacht war, verstand es sich von selbst,
daß man mit Anwendung eines Schemas rascher
und gewinnbringender baute, als wenn erst
alles nach den besonderen Wünschen dessen,
der ein Haus für seine und seiner Familie Be-
haglichkeit wollte, weitläufig ausgesonnen und
berechnet werden mußte. Man verschwieg, daß
die Anlage des Hauses vom Grundriß aus ge-
schieht, und nicht von der Fassade und ihrem
Anblick aus. Man verschwieg, daß mit der
praktischen Einteilung sehr wohl innen wie
außen die Schönheit, obzwar in der größten
Einfachheit, verbunden werden kann. Man ver-
schwieg auch, daß in der Baukunst die Schön-
heit die Zweckmäßigkeit, die richtig verstandene
Brauchbarkeit, geradezu zur Grundlage hat, und
endlich, daß der Grundriß nach seinen Zwecken
sich auch in der Fassade widerspiegeln soll;
z. B. in der Entfernung der Fenster vonein-

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