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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0295

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Claus Meyer. Humanist.

gleichaltrigen Studiengenossen traurig über-
schattend.

Kleist war von Adel, und trotz der einfachen
Umgebung, in der der angehende Offizier auf-
wuchs, beseelte ihn von früh auf ein Streben
nach harmonischer Ausbildung seines ganzen
Wesens, das der holsteinische Bauernknabe nicht
oder doch nicht in diesem Maß kannte. Hier
klafft die große Lücke zwischen den beiden, die
noch immer den in der gesättigten Behaglichkeit
einer alten guten Familie Aufgewachsenen von
dem getrennt hat, der sich seinen Boden selbst
schaffen mußte. Hebbels nüchterner Art, sich
gegebenenfalls mit dem Leben auch praktisch
auseinanderzusetzen, konnte Kleist nur sein
flehendes „Verwirre mir mein Gefühl nicht“
entgegenstellen. So ward er ohne eigentliche
Neigung Offizier, so schrieb er 1795 während
des Rheinfeldzuges: „Gebe uns der Himmel nur
Frieden, um die Zeit, die wir hier so unmoralisch
töten, mit menschenfreundlicheren Taten be-
zahlen zu können.“ Die „vollkommene Aus-
bildung“ war seine Sehnsucht, ihr opferte er
den Beruf, um nach wenigen Jahren zu erkennen,
daß auch sie ihm Befriedigung nicht gewähren
könne. Hebbel fühlte sich von vornherein mehr
als Dichter, Fr hat nie experimentiert, ihm war

die Wissenschaft nicht einen Augenblick Selbst-
zweck. „Als die Aufgabe meines Lebens be-
trachte ich“, so schrieb er an Amalie Schoppe,
„die Symbolisierung meines Innern, soweit es
sich in bedeutenden Momenten fixiert, durch
Schrift und Wort; alles andere ohne Unterschied
habe ich aufgegeben und auch dies halt ich nur
fest, weil ich mich selbst in meinen Klagen
rechtfertigen will. Was meine Studien anlangt,
so werde ich mich wohl nicht weiter darüber
auslassen dürfen; ich beziehe sie ausschließlich
auf mich selbst, treibe sie nur privatim und
ohne die geringste Rücksicht auf irgend eine
Stellung im Leben, auf die ich Verzicht leiste,
weil ich auf vieles andere Verzicht leisten kann.“
Während Kleist unter seiner Vielseitigkeit litt,
bis ihn, der auch das Letzte erkennen wollte,
Kants Philosophie für immer zerbrach, legte
Hebbel, verständig und praktisch wie ein vor-
sichtig rechnender Landwirt, mit eisernem
Fleiße, ohne jedes Dilettieren den Grund zu
einer philosophisch und ästhetisch gefestigten
Weltanschauung. Was Kleist unter wildesten
Seelenqualen aufgab, um langsam aber sicher
zur Vernichtung hinabzusteigen, das benutzte
Hebbel dazu, die Höhen seiner Kunst und seines
Wollens zu erklimmen.

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