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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0298

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KLEIST UND HEBBEL.

Lensing sprechen dafür eine beredte Sprache,
aber zur letzten Selbstentäußerung konnte seine
stark ausgeprägte Eigenart so wenig gelangen,
wie die Herrennatur Kleists.

Es gab eine ästhetische Betrachtungsweise,
welche den einzelnen Menschen gewissermaßen
als Inkarnation einer künstlerischen Idee, die
er auszuleben und auszuschaffen hatte, ansah.
Bei Hebbel und Kleist, die beide zum Drama-
tiker geboren wurden, scheint es, als konnte
sie recht haben, als verlaufe ihr Lebens-
und Schaffensweg eben in der Richtung auf
diese künstlerische Idee, in
einem gewissen Parallelismus,
allerdings mit dem Unter-
schiede, daß Kleist das er-
sehnte Ziel nur schimmernd
winken sah, während Hebbel
es erreichte oder ihm wenig-
stens näher kam. Kleist hat
von seinen zahllosen Reisen,
die ihn bald hierhin, bald dort-
hin auf seiner irren Jagd nach
dem Glücke trieben, nicht im
entferntesten so viel gehabt als
Hebbel. Während jener reiste,
um den Dämon in seinem
Innern zur Ruhe zu bringen,
immer nur in Gedanken mit
seiner großen Mission beschäf-
tigt, trug dieser in Kopen-
hagen, Paris und Italien emsig
Bausteine zusammen, ohne
auch nur einen Augenblick
über dem Einzelnen sein letztes
Ziel, die Symbolisierung seines
Innern, zu vergessen. Dem
widerspricht nicht Kleists
„Bilderjagd“, die Anlage seines
„Ideenmagazins“, auch nicht
die Befruchtung, die seiner
Phantasie in der Berührung
mit der Natur zuteil wurde;
denn alles dies führte nicht
zur Fixierung einer Weltan-
schauung, welche Hebbel in
aller Misere des Daseins Rich-
tung und Wege wies. Der
Parallelismus ihres äußeren Lebens in jener
Reisezeit geht so weit, daß sie beide die ver-
schiedenartigsten Lebensgefahren zu bestehen
hatten, ja daß die Anregung zu dichterischen
Schöpfungen aus gleichen Situationen heraus-
geboren von den gleichen Gegenständen aus-
ging. Kleist war während seines Aufenthaltes
in Frankreich mehrere Male in Gefahr, als
Spion erschossen zu werden, da er nie die
nötigen Ausweispapiere mit sich führte, und
Hebbel entging mit genauer Not während des
Hamburger Brandes von 1842 dem Tode. Man
hielt den blonden schmächtigen Mann für einen

der Engländer, denen man das Auskommen des
Feuers zuschrieb.

Der „zerbrochene Krug“ verdankt seine Ent-
stehung einer Wette zwischen H. Zschokke,
Ludwig Wieland, dem Sohne des Dichters und
Kleist, und wurde angeregt durch einen Kupfer-
stich wahrscheinlich von Le Veau nach Debu-
courts Gemälde: Le Juge ou la cruche cassee.
Über Hebbels „Judith“ existiert eine literarische
Anekdote, nach welcher Hebbel die „Judith“ in-
folge einer Wette mit Ludmilla Assing oder
einigen Freunden in vierzehn Tagen vollendet
haben soll, und zwar, um den
Beweis zu liefern, daß Gutz-
kows „König Saul“ unschwer
zu übertreffen sei. Sicher ist,
daß ein Gemälde auch hier
anregend gewirkt hat, denn
wie er in dem Vorwort zum
Manuskriptdruck der „Judith“
von 1840 berichtet, war es die
Judith des Giulio Romano in
der Münchener Galerie, die ihm
an einem trüben Novembertage
die alte Fabel des Stückes
wieder lebendig machte.

Mit dem fast organischen
Werden und Wachsen Goethes
läßt sich Kleists und Hebbels
Leben nicht vergleichen. Und
doch vollzog sichHebbelsDasein
noch geradlinig im Vergleich
zu den wirren Verschlingungen
der Kleistschen Lebensbahn.
Hebbel besaß eine wunderbare
Sicherheit des Gefühls, die ihn
immer wieder von den Klippen,
an denen er hätte zerschellen
können, zurückriß in das ruhige
Fahrwasser. Sein Blick für
das Praktische, seine ererbte
Bauernklugheit ließ ihn stets
das feste Land wiedergewinnen.
Kleists Natur war an sich
nicht minder auf das Gerad-
linige, Einfache angelegt, und
Goethes bekannte Worte, er
gehe auf Verwirrung des Ge-
fühls aus, besitzen nur sehr teilweise Geltung.
Aber Kleist fehlte die Ruhe, die innere Gelassen-
heit. Sein heißes Blut trieb ihn, die sichere
Fahrstraße zu verlassen und auf Seitenwegen
seinem Ziele, der harmonischen Ausbildung des
gesamten Menschen, näherzukommen. Daß ihn
diese Seitenpfade ins Irre führen könnten, daß
sich, in eine andere Perspektive gerückt, auch
sein Ziel verschieben müßte, übersah er völlig.
Und er konnte und wollte es nicht begreifen,
daß eine Verwirrung des eigenen Gefühls heil-
sam und notwendig sei, daß das Geradlinige
nicht im Wege, wohl aber im Wesen des

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