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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0301

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Henrik Nordenberg. Am alten Herde.

liehe Gewitter und wütete wie ein Tyrann,
und von Osten her stieg die Sonne herauf,
ruhig und schweigend wie ein Held. Und
seine Blitze warf ihm das Ungewitter zitternd
zu und schalt ihn laut mit der Stimme des
Donners; er aber schwieg, der göttliche Stern,
und stieg herauf und blickte mit Hoheit herab
auf den unruhigen Nebel unter seinen Füßen
und sah sich tröstend um nach den anderen
Sonnen, die ihn umgaben, als ob er seine
Freunde beruhigen wollte. — Und einen letzten
fürchterlichen Donnerschlag schleuderte ihm das
Ungewitter entgegen, als ob es seinen ganzen
Vorrat von Galle und Geifer in einem Funken
ausspeien wollte, — aber die Sonne wankte
nicht in ihrer Bahn und nahte sich unerschrocken
und bestieg den Thron des Himmels — — —
und blaß, wie vor Schreck, entfärbte sich die
Nacht des Gewölks und zerstob wie dünner
Rauch und sank unter den Horizont, wenige
schwache Flüche murmelnd.“ Er wurde zum
Poeten, indem er das grandiose Bild im Spiegel
seiner Seele fing und es zurückstrahlte, weil
der Spiegel eben zurückstrahlen muß. Hebbel
empfand von vornherein nicht so naiv. Ihm

sagte die Natur nicht so viel, vielleicht weil er
von Kind auf mit ihr verwachsen war, weil
seine Sinne ihr gegenüber gleichgültig geworden
waren durch den alltäglichen Verkehr. Das
soll nicht heißen, daß er die Natur nicht achtete,
aber seine durchaus auf die Erkenntnis des
Wesentlichen, des Innern gerichtete Art brauchte
stärkere Reize, als die äußere Natur sie ihm
bot. Er konnte nur an der Hand der Dichtung
selbst zum Dichter werden. Von Uhland lernte
er, „daß der Dichter nicht in die Natur hinein,
sondern aus ihr heraus dichten müsse“. So
stand Kleist der Natur gewissermaßen als
Empiriker gegenüber, wo Hebbel Metaphysiker
war. Der eine dichtete in sich hinein, was er
an künstlerischen Erkenntnissen aus ihr ge-
wonnen zu haben glaubte, der andere empfand
sie nur als breites, sicheres Fundament, von
dem aus er ins Weite bauen könnte.

Literarischen Lumpensammlern müßte es
eine Freude sein, aus Kleists und Hebbels
Werken die „Abhängigkeit“ des einen vom
andern oder beider von einem dritten „nach-
zuweisen“. Ihre Stellung zu E. Th. A. HofTmann,
Hebbels Novellistik u. a. m. bieten willkommenen

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