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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Hackemann, August: Kleist und Hebbel
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0302

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KLEIST UND HEBBEL.

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Anlaß, den Satz, daß der Dichter aus sich
selbst heraus schaffen könne, ad absurdum zu
führen. Wenn hier darauf verzichtet wird, so
geschieht dies nur, um dem Wesentlichen in
ihrem Schaffen nahe zu kommen. Als Lyriker
steht Hebbel ungleich höher als Kleist. Er ist
verwandt mit den größten Lyrikern aller Zeiten,
mit Goethe und mit Heine. Wie jenen beiden
ist es ihm vollständig gleichgültig, was eine
Empfindung in ihm auslöst, was ihn innerlich
bewegt, wenn er nur überhaupt empfinden,
bewegt sein, lyrisch schaffen kann. Am Stoff-
lichen hängt seine Kunst durchaus nicht. Aller
Art sind die Anregungen, die ihn zum Liede
treiben, jedes seelische Erlebnis kann sich- in
ihm zum Gedichte auswachsen. Und immer
ist er plastisch, trotz tiefster Reflexionen nie
abstrakt und kalt, wie etwa Platen. Ganz anders
steht es da um Kleist. Sein lyrischer Horizont
ist eng; das Was, der Stoff macht bei ihm alles.
Und dabei bleibt seine Sprache hart und schwer.
Das Ringen mit dem Ausdruck, dem wir so
köstlich unmittelbare Bilder verdanken, das ihn
aber auch nicht vor schiefen Wortprägungen,
ja grammatischen Fehlern hat bewahren können,
tritt hier am allerstärksten bei seinem Schaffen
in die Erscheinung. Trotzdem möchten wir
seine eherne Lyrik nicht vermissen; so stahl-
harte Töne hat selbst Hebbel nicht auf seiner
Leier, und insofern bedeutet sie eine wertvolle
Spielart lyrischer Begabung und Kunst.

Bei weitem näher kommen die beiden ein-
ander im Epischen. Hier hat sicherlich Hebbel
von Kleist viel gelernt. Beiden gemeinsam war
die Freude am breiten, behaglichen Ausmalen
von Situationen, wenn auch in der denkbar
kürzesten und prägnantesten Form. Das Nieder-
ländische, Genrehafte lag ihnen gleich gut, da-
für sprechen die herrlichen Schilderungen in
Kleists Novellen, wie in Hebbels Epos „Meine
Kindheit“. Bis zu der epigrammatisch kurzen
und pointierten, dabei aber durchaus bildmäßigen
Schreibweise, in der etwa Kleists bekannte
„Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege“
geschrieben ist, hat sich Hebbel nie verstiegen,
aber seine Novelle „Der Schneidermeister
Nepomuk Schlägel auf der Freudenjagd“ be-
weist, daß er auch hierin sich wohl hätte
neben sein Vorbild stellen können. Sicherlich
ruht ihre eigenste, innerste Verwandtschaft auf
dramatischem Gebiete. Kleist selbst hat es
einmal ausgesprochen, daß er in der Tragödie
eine Vereinigung des griechischen Geistes mit
der Moderne, d. h. für ihn mit Shakespeare,
Goethe und Schiller anstrebe, und J. Collin
kommt in seinem Aufsatze: „Die Weltanschau-
ung der Romantik und Friedrich Hebbel“ zu
der Überzeugung, „daß Hebbel aus dem grie-
chischen Drama und dem Shakespeare ein
Mittleres gewonnen und die einander wider-
streitenden Anschauungen der Klassiker und

der Romantiker zu vereinigen gesucht habe“.
Beide lehnen also von vornherein jedes Epigonen-
tum, jede Abhängigkeit ab, sie wollen etwas
durchaus Neues, Wertvolles, Niedagewesenes
begründen. Kleist versucht dies mehr unbewußt,
Hebbel ist sich seiner Absicht vollkommen klar,
wenn er in seinen Dramen „den Welt- und
Menschenzustand in seinem Verhältnis zu der
Natur und dem Sittengesetz“ verkörpern will.
Mit dieser Absicht, grundverschiedene Elemente
zusammenschweißen zu wollen, verbinden sie,
trotz ihrer Freude am behaglichen Ausmalen
im Stile der Niederländer, den Drang nach einer
großen, geschlossenen Kunstform. Sie wollen
ihre Kräfte nicht verzetteln, ihr Wunsch, das
Charakteristische nach Form und Inhalt bis
ins kleinste zu treffen, zwingt sie zur großen
Menschheitstragödie hin, an der der eine trotz
heißesten Bemühens immer wieder scheitert.
Ihre Sucht, immer nur den schwersten drama-
tischen Konflikten nachzuspüren, treibt sie an
Aufgaben heran, für die ihrer Zeit noch jedes
Verständnis fehlte. Kleists Helden lassen sich
ihr Gefühl verwirren; da, wo sie stark und
trotzig hätten aufs Ziel losgehen können, er-
scheinen sie von des Gedankens Blässe an-
gekränkelt. Darum muß Alkmene, als sie
zwischen dem Gatten und dessen Doppelgänger
steht und sich, auf ihr Gefühl bauend, ent-
scheiden soll, den Falschen wählen und so in
eine furchtbare seelische Verwickelung geraten;
darum muß Penthesilea den Mann, den sie wie
den Sonnengott anbetet, den sie aber trotzdem
nach Brauch und Sitte ihres Landes glaubt zur
Liebe zwingen zu dürfen, mit tödlichstem Hasse
vernichten, als sie ihr ehrliches, gerades Gefühl
nicht verstanden sieht, als der Mann, seinem
Wesen getreu, sie verschmäht. Wie anders
verhält sich da Hebbel. Wo Kleists Gefühls-
verwirrung einsetzt, da leuchtet bei Hebbel die
Selbstkorrektur, da zerstört sich die in ihrer
tiefsten Seele beleidigte künstlerische und sitt-
liche Welt von innen heraus. So geht das
Haus des Tischlermeisters Anton zugrunde, so
vollzieht Rhodope an ihrem beleidigten Leibe
die letzte befreiende Sühne. Und doch, obwohl
Kleists Veranlagung viel mehr nach der Seite
der modernen Nervendramatik lag, während
Hebbels Begabung durchaus auf die große,
tiefe Welttragödie zielte, haben sie beide so
viel verwandte Züge in ihrer Auffassung des
Tragischen, daß es begreiflich erscheint, warum
Kleist immer wieder, wie die Motte ins
Licht, in diese großen Weltprobleme taumelte.
Das Tragische beruht in der Unerfüllbarkeit
der sittlichen Weltordnung, in dem Kampfe
zwischen Pflicht und Gesetz. Das war
Kleist unbewußt genau so klar, wie Hebbel
es bewußt ausgesprochen hat. Darum wird
bei beiden jedes Übermaß von Schönheit
und Sittsamkeit tragisch. Alkmene und Käth-

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