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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichten in Hinterwinkel, [1]: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0304

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WELTGESCHICHTE IN HINTERWINKEL.

sehr undeutliche Vorstellungen. Bei unserm
Schulmeister Langbein hatten wir darüber
nichts erfahren. Auch in meinen lateinischen
Stunden beim Pfarrer war er nicht vorgekommen.
Nur vom Vater wußte ich, daß man damit ein
deutsches Land und Volk bezeichnete. Auch
hatte mir der Vater früher, in der Kinderzeit,
allerlei Geschichten von einem berühmten König
der Preußen erzählt, den man den Alten Fritz
oder auch den Großen Kurfürsten nannte, und
den mein Vater sehr bewunderte, weil er einen
ehemaligen Schneidergesellen zum General
hatte. So wenigstens erzählte es mein Vater.
Nicht in Büchern hatte er es gelesen, wie
überhaupt das Lesen von Gedrucktem nicht
seine Sache war; aber er hatte es von den
Preußen selbst gehört. Und den Alten Fritz
und seinen Schneidergeneral hatte er mit eige-
nen Augen gesehen, nämlich wie sie in Kupfer
abgegossen sind in der großen Stadt Berlin,
der Hauptstadt der Preußen, wo mein Vater
im Anfang der fünfziger Jahre sieben Wochen
in Arbeit gestanden hatte.

Unterdessen kamen über die Brücke andere
Männer mit ihren Frauen und Töchtern. Sie
kamen von der Heumahd und trugen Sensen
und Heugabeln auf ihren Schultern. Der Gerber
rief ihnen schon von weitem zu. Und diesmal
verstand ich das Wort „Krieg“.

Die Ankömmlinge stutzten.

Ich aber schnellte vom Tisch empor, und
ehe man drei zählen konnte, stand ich drüben
im Haufen der Bauern, die sich bald durch
Neuankommende noch vermehrten.

Ein tolles Durcheinanderreden schlug da an
mein Ohr.

„Jesses, wenn nur die Russen nicht kom-
men!“

„Die Preußen sind auch nicht weit davon
her, die werden uns schön kahl fressen.“

„Sie sollens bleiben lassen; wir jagen sie
hin, wo sie hergekommen sind.“

„Aber die Preußen mit dem Zündnadel-
gewehr, wenn die uns nur nicht heimleuchten.“
„Was will Preußen gegen Österreich, gegen
Österreich und Bayern und Württemberg —
und Hessen und Sachsen und Hannover.
Preußen muß verlieren. Und wenn es schlimm
geht, ist auch noch der Napoleon da. Und sind
die Franzosen da. Die lassen uns nicht von
den Preußen einsacken.“

„Jesses, die Franzosen. Wollen denn die
Franzosen kommen? Von denen erzählt man
sich gar nichts Gutes.“

„Lieber Franzosen als Preußen!“

„Wir brauchen die einen nicht und brauchen
die andern nicht, sie können beide daheim
bleiben.“

„Ihr müßt es ihnen halt nur sagen, Blessen-
vogt.“

„Was wollen denn die hungrigen Preußen?“

„Sattessen wollen sie sich bei uns; habt
ihrs noch nicht gemerkt? Und unsern Wein
wollen sie trinken.“

„Schleswig-Holstein wollen sie in die Tasche
stecken, die Langfinger, und das will Österreich
nicht leiden.“

„Was ist denn das, Schleswig-Holstein?“

„Schleswig - Holstein meerumschlungen —
Schleswig-Holstein stammverwandt!“

„Was geht uns Schleswig-Holstein an?“

„Was uns das angeht? Wenn man dem
Teufel den Finger gibt, nimmt er die ganze
Hand. Zuerst gehts an Schleswig-Holstein und
dann an uns. Österreich soll aus Deutschland
hinausgeworfen werden, und uns macht man
dann nach und nach preußisch. Wenn euch
das nichts angeht!“

„Wenn nur die Franzosen nicht kommen.“

„Unser König ist ein Freund Napoleons, die
Franzosen tun uns nichts, die hauen nur die
Preußen.“

„Wenn nur mein Jörgmichel nicht grad bei
den Soldaten wär.“

„Ja müssen denn unsre Soldaten auch in den
Krieg? Großer Gott, da schießen die Preußen
meinen Anton tot.“

„Jesses, und mein Bernerd, der bei den
Dragonern in Ludwigsburg steht.“

Mehrere Weiber brachen in lautes Heulen aus.

Der Polizeidiener Gartumb näherte sich der
Gruppe. Alle sahen sich mit erschrockenen
Gesichtern um.

Der Mann der öffentlichen Ordnung machte
ein furchtbar ernstes Gesicht. Mit militärisch
straffer Haltung blieb er vor dem Volkshaufen
stehn. Von mehreren Zetteln in seiner Hand
brachte er einen seiner Brille näher, und indem
er fast die Stimme eines Feldherrn annahm,
las er: „Lienhard Reichenbühler“.

Damit streckte er den Zettel einem jungen
Burschen entgegen, der einen Blick darauf warf
und erblaßte.

Lienhard war ein zurückgezogener Mensch,
ein wenig Mutterkind, nicht ganz und gar Bauer;
er betrieb neben der Landwirtschaft ein kleines
Töpfergeschäft, er war eine Art Künstler.

„Johann Peter Mutsch“ las der Kriegsbote
unterdessen weiter.

Der Hannpeter nahm die Nachricht anders
auf. „Hurra!“ rief er, „hätt nit glaubt, daß’s
Ernst is; nun aber nix als drauf los, und mach
mir kein so Gsicht, Linerd, im Krieg gehts
lustig zu.“

„Holla, du nimmsts Maul groß voll, du Tag-
dieb, du Nichtsnutzer,“ rief der Blessenvogt,
sein Dienstherr, „aber wer soll denn mein Heu
machen und meine Ernt schneiden?“

„Macht Euch keine Sorg, wir reiten mit den
Gäulen drüber, dann ist sie schon gschnitten,“
rief der Knecht übermütig. „Jedenfalls gräm ich
mich nicht, daß ich sie nicht zu schneiden

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