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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichten in Hinterwinkel, [1]: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0305

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WELTGESCHICHTE IN HINTER WINKEL.

brauch. Und Euer hartbacken schimmelig Brot,
Blessenvogt, gönn ich Euch auch. Allzuweit
nach Preußen ’nein, wo der Pumpernickel
wächst, kommen wir Schwaben doch nicht.“

Das Durcheinanderschreien hatte aufgehört.
Seitdem der Krieg in so bestimmten Zeichen
an die Leute herangetreten war, wurde es ihnen
unheimlich zumute.

Ziemlich kleinlaut ging alles auseinander.

Am andern Tag hielten die Einberufenen
im „Goldenen Ochsen“ einen Abschiedstrunk.
Ich mußte natürlich dabei sein. Auch der
Pfarrer Barthelmayer war erschienen. Er hielt
eine Ansprache an die neuen Krieger. Von
ihm hörte ich zum erstenmal das Wort Bruder-
krieg. Aber unsere Soldaten durften mit Gott-
vertrauen in den Kampf ziehen, ihre Sache war
eine heilige Sache; sie verteidigten nicht nur
ihren König und ihr Vaterland, sie retteten
auch ihre heilige Religion.

Am besten ließ sich der Hannpeter den Ab-
schiedstrunk schmecken. Er gab deutlich zu
erkennen, daß es ihm ziemlich gleichgültig sei,
was er verteidige, wenn er nur gegen Sichel
und Sense den Säbel Umtauschen durfte.

Sein Wesen steckte die andern an. Und
als sie dann aufbrachen und, von der Schul-
jugend begleitet, zum Dorf hinauszogen, just an
unserm Häuschen vorbei, über die hohe stein-
gewölbte Haselbachbrücke, da sangen sie mit
lauten Stimmen:

Morgenrot, Morgenrot,

Leuchtest mir zum frühen Tod.

Auch der Lienhard sang frohgemut mit.
Ich lehnte am Brückengeländer und winkte ihm
zu. Er tat mir so leid, weil ich seine Mutter
unter einer benachbarten Haustür stehn und
laut schluchzen sah.

Da dachte ich nicht, daß ich allein ihn
Wiedersehen würde, und in welchen entsetz-
lichen Augenblicken.

Das schöne Morgenrotlied war zu Ende, und
ich hörte von ferne den Hannpeter mit macht-
voller Stimme einen andern, derberen Gesang
anstimmen, der seinem Geschmack mehr zu-
sagte:

Und es kann ja nicht immer so bleiben
Hier unter dem wechselnden Mond,

Und der Krieg muss den Frieden vertreiben,

Und im Kriege wirds keiner verschont . . .

So brüllten sie, und die einfache Melodie
mußte sich in ihren Kehlen mit tausend will-
kürlichen und abenteuerlichen Schnörkeln ver-
zieren lassen.

Ich dachte immer noch an den bleichen
Lienhard. Er war, wiewohl älter, eine Art
Freund von mir. Ich hatte ihn oft in seiner
Töpferwerkstatt besucht. Mit Erstaunen hatte

ich dann immer der Drehscheibe zugeschaut,
die so schnell lief, daß das Auge ihr nicht
folgen konnte. Und wie ein Wunder war es
mir stets erschienen, wenn bei so schwindliger
Drehung, unter der Hand des Töpfers, der
feuchte Tonklumpen auf der Scheibe seine
Gestalt veränderte, wenn er in die Höhe wuchs,
sich aushöhlte, sich bald bauchig weitete, bald
halsartig einschnürte, wenn seine Form und
Bildung immer deutlicher wurde, bis die
Scheibe Stillstand und das fertige Gefäß
nur mit einem Draht vom Scheibenrund ab-
geschnitten zu werden brauchte. Ich konnte
nie begreifen, wie es möglich sei, so etwas zu
lernen.

Die zur Fahne Gerufenen waren längst über
alle Berge, ich dachte noch immer an den
Künstler Lienhard Reichenbühler.

Begierig war ich, was mein Vater über den
Krieg sagen würde.

Beim Abendessen sollte ichs erfahren. Der
Meister verwunderte sich nicht über den Mut
Preußens. Gute Soldaten habe Preußen, und
gute Generäle, das müsse ihnen der Neid lassen.
Und wenn der Alte Fritz noch lebte, und sein
General Derfflinger, der ehemalige Schneider-
gesell, wer weiß. Aber auch so . . .

„Was du für scheckiges Zeug redst; man
meint, du wärst ein Preußenfreund,“ rief Nepo-
muk Rothermund der Pate. „Dummheiten! Sind
wir nichts? Denk doch einmal: Österreich mit
Ungarn, dann Baden, Württemberg und Bayern,
dann Hessen, die drei Hessen, die Darm-
hessen, die Kurhessen und die blinden Hessen,
dann Sachsen und Hannover . . . Die Preußen
sind nicht recht im Kopf, sonst würden sie
daheim bleiben. Oder sie sind ausgehungert
wie die Kirchenmäuse . . .“

Ich hätte gar zu gern erfahren, was Schles-
wig-Holstein sei. Das seltsame Wort, das der
Gerber Appel so begeisterungsvoll ausgesprochen
hatte, reizte mich durch seinen fremdartigen
Klang. Mein Vater wollte mir eben antworten,
als der Nachbar Gerber mit lautem

Schleswig-Holstein meerumschlungen,
Schleswig-Holstein stammverwandt,

Wanke nicht, mein Vaterland!

die Tür aufriß und, selber leicht wankend, in
die Stube hereinstürmte. Die abermalige ge-
heimnisvolle Deklamation erhöhte noch mehr
meine Neugierde.

* *

*

Der Tag war ein Samstag. Am andern
Morgen, mitten im Gottesdienst, schlugen zum
drittenmal die seltsamen Reime an mein Ohr:

Schleswig-Holstein meerumschlungen,
Schleswig-Holstein stammverwandt.

Der Pfarrer Barthelmayer rief sie von der
Kanzel herunter. Und lange sprach er von

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