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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 6
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Rüttenauer, Benno: Weltgeschichten in Hinterwinkel, [1]: aus den Denkwürdigkeiten eines schwäbischen Ziegenhirten
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0311

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WELTGESCHICHTE IN HINTER WINKEL.

Aber andere Laute trafen unser Ohr: Mark
und Bein erschütterndes Winseln und Wimmern,
dumpfes Stöhnen, wilde Schmerzensschreie.
Mir stand das Haar zu Berge. Eine Granate
hatte zwei preußische Soldaten gräßlich ver-
stümmelt; sie hatte dem einen den Leib auf-
gerissen und dem andern Arm und Schulterblatt
abgeschlagen. Wir sahen sie auf eine Bahre
legen und davontragen . . .

VIERTES KAPITEL

worin kuriose Reden gehalten und Tote begraben werden.

Eines von den brennenden Häusern war
das improvisierte Feldlazarett. Entsetzliches
Jammergetön durchschnitt von dorther die Luft.
Man sah Verwundete aus den Flammen heraus-
schleppen, der großen Mehrzahl nach Württem-
berger.

Die Preußen hatten sie zuschanden ge-
schossen und retteten sie nun mit eigener
Lebensgefahr aus den Flammen. Andere Sol-
daten, den Fluß durchwatend, schafften Pa-
tronen ans jenseitige Ufer. Dort, hinter einer
Kapelle und an den Gartenzäunen und Straßen-
hecken entlang lagen ihre Kameraden. Sie
rissen sich um die Mordgeschosse wie Ver-
hungernde um Brot.

Und wieder fielen Schüsse. Und ich sah
die württembergischen Truppen in großer Zahl
aus einem Seitentälchen hervorrücken.

„Die Dickköpfe haben noch nicht genug!“
hörte ich die hohe und schneidende Stimme
eines preußischen Obersten rufen.

Dann erschollen von allen Seiten Kommando-
rufe, und aus den preußischen Zündnadel-
gewehren brach ein so massenhaftes Schnell-
feuer los und mit solchem Geknatter, daß die
Luft erzitterte. Ganze Reihen meiner Lands-
leute stürzten. Sie schlugen platt auf die Straße
hin. Es war zum Erbarmen.

Aber todesmutig warfen sie sich auf den
Feind. Ein Mordschauspiel tat sich vor mir
auf, schauervoll. ..

Und dann geschah ein Klirren über mir,
ein Krachen und Pfeifen, dann ein Knistern
und Prasseln . . . Und wie wir in die Höhe
sehn, steht das aufgebalkte Korn über unsern
Köpfen in lichterlohem Brand. Erstickender
Rauch erfüllt die Scheuer, und Funken fallen
ins Heu.

Wir sprangen auf die Tenne hinunter und
taumelten hinaus ins Freie. Ich hatte den Kopf
ganz verloren. Besinnungslos eilte ich durch
die Straße. Granatstücke und Ziegelsteine fielen
vor mir auf den Boden, wie Äpfel im herbst-
lichen Sturmwind.

Plötzlich tut sich eine Haustür auf. Ein
Arm greift heraus und zieht mich hinein.
Man zerrt mich durch einen dunklen Gang und

eine steinerne Treppe hinunter. Und da stehe
ich vor hellem Lampenlicht, in einem wohl-
versehenen Keller, unter Menschen jedes Ge-
schlechts und Alters.

* *

*

Ich befand mich in dem Keller des Bäcker-
hauses, wo Lienhard Reichenbühler in Quartier
gelegen hatte.

Das ganze Haus hatte sich in dem unter-
irdischen Raume zusammengeflüchtet. Außer
den zahlreichen Leuten des Bäckers befand sich
hier die Familie eines Gymnasialprofessors, der
im zweiten Stock zur Miete wohnte. Die Weiber
und Kinder heulten oder beteten; die Männer
wechselten Reden, wie sie die Gelegenheit gab.

Mich empfing man in einer Weise, die mich
sehr überraschte. Die dicke Bäckersfrau unter-
brach ihre Jammertöne und Stoßgebete, und
fuhr mich an, ob wir Schwaben denn toll ge-
worden wären, und ob das etwa ein neuer
Schwabenstreich sein solle, die befreundete
Stadt niederzuschießen, für nichts und wieder
nichts, eine ganze Bürgerschaft unglücklich zu
machen und das Kind in der Wiege zu töten.
Ich solle ihr aus den Augen gehen, ich solle
mich schämen, wir wären tausendmal garstiger
als die Preußen. Wenn sie das gewußt hätte!
Drei Tage lang hatte man diese Suppen-
schwaben gefüttert und ihnen die besten Bissen
zugesteckt, und zum Dank dafür schossen sie
einem das Dach überm Kopf zusammen.
Tölpel warens. Sie sollten doch auf die Pickel-
hauben zielen, aber Dächer, freilich, die waren
leichter zu treffen. Man hätte ja auf die Preußen
schießen können, ehe sie in die Stadt gekommen
waren. Wenns Kerle wären, diese Knöpfle-
Schwaben, hätten sie die Preußen gar nicht ins
Land gelassen; sie hätten nur die Augen offen
halten dürfen, die Schlafmützen. Wenn sie
aber nichts tun wollten, als badischen Landes-
kindern ihr Eigentum verderben, hätten sie zum
badischen Ländle drauß bleiben können.

Noch lange ergoß sich, wie eine losgelassene
Schleuse, der Strom ihrer zornigen Rede über
mich, der ich nicht wußte, ob sie recht oder
unrecht hatte. Stumm, in peinlicher Verlegen-
heit, stand ich vor ihr. Erst vor wenigen
Stunden hatte ich an ihrem Tisch zu Mittag
gegessen und sie war so freundlich gegen mich
gewesen.

Der Bäcker stimmte seiner Frau nicht bei.

Die Stadt werde noch lange nicht zusammen-
geschossen. Wenn auch ein paar Ziegel hin-
gingen. So genau könne mans im Kriege nicht
nehmen. Ein wenig vorsichtiger könnten sie
ja schießen, aber schimpfen solle man über
die Württemberger nicht. Wenigstens fürchteten
sie sich nicht. Und den Preußen hätten sie
heute Respekt eingeflößt. Auf so hartnäckigen
Widerstand seien diese im ganzen Kriege nicht

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