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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 11.1906

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Heft 4
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Hamann, Richard: Der Impressionismus in Leben und Kunst, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26233#0207

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DER IMPRESSIONISMUS IN LEBEN UND KUNST.

einem Mangel, als in der Reife musikalischer
Erziehung zu begründen, indem an Stelle der
Auffassung von Zusammenhängen die Aufregung
schnellen Wechsels ersetzend eintreten muh.

Da es sich in der Musik nicht um Auf-
fassung einer Wirklichkeit handelt, so treten
die beiden anderen Momente des Impressionis-
mus, die Momentaufnahme und die skizzierende
Andeutung, naturgemäß zurück, oder man müßte
in der Programmusik eine Befriedigung des
Bedürfnisses sehen, an Stelle der Erfassung
eines großen Zusammenhangs sich mit der
Deutung einzelner, bei dem Fortgang der Musik
schnell zu verstehender Momente zu begnügen,
einen Längsschnitt gleichsam in lauter inter-
essante Querschnitte aufzulösen. Die Musik
Richard Strauß’ ist voll von solchen Scherzen
und Pointen (Don Quijote, Eulenspiegel).
Der Reiz der bloßen Andeutung wäre in der
Musik an sich schon enthalten, da sie ein un-
gewohntes Mittel der Verständigung und des
sprachlichen Ausdrucks ist.

In der Handhabung der eigentlichen ge-
sprochenen oder geschriebenen Sprache läßt
sich die Rauhigkeit konstatieren in den Mitteln,
durch die ein Satz über seine inhaltliche Be-
deutung hinaus reich und schillernd gemacht
wird. Etwas davon besorgt zunächst der
Schwulst, der heute durchaus in Mode ist,
nämlich jedem Worte, abgesehen von seiner
Bedeutung für den ganzen Satz, noch einen
eigenen, möglichst starken Gefühlston zu geben,
so daß die Worte nicht nur nach ihrer logischen
Bedeutung, sondern nach ihrer eigentümlichen
Färbung gewählt werden. Ein Beispiel eines
Schriftstellers, Rudolf Klein, aus der Cha-
rakteristik Beardsleys mag das illustrieren:
Nacht ist es; ein Heer furchtbarer, halb ent-
blößter Vampyr-Weiber lauscht mit wiehern-
den Leichenschänderlippen in satyri-
astischen Krämpfen halb irrsinnig ver-
zückt der Tristan-Musik: The Wagnerites. Es
hat etwas von Wagners ewiger Melodie, wie
hier ein nichtssagender Satz in seinem Gefühls-
tonus sich in jedem Wort und möglichst sich
steigernd wiederholt (Prybyzewski: Vigilien).
Bei Hofmannsthal ist oft jedes Wort ein Kleinod,
wie denn die impressionistische Lyrik im
wesentlichen Kultur des einzelnen Wortes ist,
Wortkunst (Programm der Blätter für die Kunst).
Das Hymnische des Zarathustrastiles Nietzsches
ist dem durchaus verwandt, und instinktiv
wendet sich der Blick zu dem alttestament-
lichen Psalmenstil, der bloßen Wiederholung
in der Variierung und Sättigung einzelner Worte.
Oft werden wir diese Sprechweise noch zu
massiv, noch nicht zugespitzt genug empfinden,
um sie impressionistisch zu nennen, eher möchte
man sie als barock, vorimpressionistisch (2. Schle-
sische Dichterschule) bezeichnen. Feiner ist
es, wenn man durch Satzstellung, Interjek-
tionen, durch Unterstreichungen und Abbrevia-

turen, durch die Art der Interpunktion —
Gedankenstriche, Ausrufungszeichen, Frage-
zeichen — alle seelischen Begleitmomente, alle
momentan auftauchenden Bedenken und Gefühle,
alles Anhalten, Abwarten, plötzliche Vorwärts-
eilen, Horchen, Zustimmen, alles Herzklopfen
und Atemholen mit in den Satz hineinbringt.
Das Impressionistisch-Lebensvolle des Nietzsche-
schen Stiles hat oft darin seine Wurzel. Eine
gewisse Virtuosität haben zwei impressio-
nistische Kritiker, Alfred Kerr und Emil Heil-
but, darin erlangt. Bei Nietzsche findet sich
auch sehr häufig das feinste Mittel, die Ver-
doppelung des Wortes bei einer im Ganzen
einheitlichen Verwendung, indem man mit dem
gegenwärtigen Wortgebrauch zugleich den ur-
sprünglichen Wortsinn verbindet, die Schlechten
im Sinne von „die Schlichten“. Nietzsche
charakterisiert treffend dieses Brechen und Rauh-
machen der Worte, indem er von den 50 Gelbs
und Brauns seiner Palette redet.

Das Andeutungsvolle des Stiles, das Aus-
weichen vor aller direkten Verständlichkeit ist
das eigentlich treibende Motiv der symbolisti-
schen Dichtung geworden. Mallarme: Nommer
un objet, c’est supprimer les trois quarts de la
jouissance du poeme qui est faite du bonheur
de deviner peu ä peu; le suggerer voilä le
reve. Alles Wörtliche ist zu vermeiden. Wäh-
rend manche Philosophen an der Aufgabe ver-
zweifeln möchten, ihre Gedanken zu klären, sich
deutlich mitzuteilen, bedurfte Nietzsche des Zara-
thustra-Symboles, seine Gedanken in eine ah-
nungsvolle Ferne zurückzuschieben. Am meisten
kommt dieses Stilprinzip dort zum Ausdruck,
wo das Symbol nicht zugleich auch inhaltlich
bedeutsam sich gibt, als schönere, reichere,
fremde Welt, sondern nur als zurückhaltender
Ausdruck für das Nächste, Alltägliche. Das ist
die Sprache des alten Ibsen (Baumeister Sol-
neß und spätere Dichtungen).

In der Philosophie tritt an die Stelle des
Systematischen das Geistreiche, der Ästhetizis-
mus des Denkens. Der Impressionismus ver-
zichtet keineswegs auf das Gedankliche über-
haupt. Keine Kultur vielmehr pflegt so reich
zu sein an einer intellektualistischen Durch-
dringung des Lebens mit den Reizen des Schlag-
wortes, des Witzes, des Bonmots. Aber da es
ein Denken ohne Zweck ist, keinen Welt-
begriff hervorbringend, und ohne Bedürfnis
nach Zusammenhang und Totalität, so tritt an
die Stelle der Form die Formulierung (Nietz-
sche: Zola oder die Lust zu stinken etc.). Das
Wesen dieser Formulierung besteht aber ein-
mal in dem Zusammendrängen eines reichen
Erfahrungskomplexes in einen Satz oder in
ein Wort, und sodann in dem Hinausgehen
über die bloße beschreibende Bedeutung dieses
Satzes oder Wortes, indem es eine Neben-
bedeutung, einen Nebensinn, kurz eine Ver-
doppelung erhält. So treffen in den Schlag-

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