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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 7.1916-1917

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Fünftes Heft (August 1916)
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Walden, Herwarth: Peter Baum
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Schreyer, Lothar: Das Bühnenkunstwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.37112#0056

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Peter Baum
Peter Baum, der Freund jedes Menschen und
ein Mensch jedem Freunde, ist gefaben. Sein Leben
war seine Dichtung: gottnah, erdfern. Ein Riesen-
körper mit einer Riesenseete. Und deshaib war
sie sanft wie ein Streicheiti von Kinderhänden. Er
suchte Gott und die Träume und die Kunst. Ihn
stieß das Leben, weit es nicht sanft ist. er fiet
dem Tode, weit er zu hart ist.
Nun suchen ihn Gott. Und die Träume.
Peter Baum wurde am 30. September 1869 ge-
boren. Von seinen zahlreichen Schulen war die
wichtigste Heideiberg im fünfzehnten Jahr seines
Lebens. Sein damaliges Ideal: Wanderprediger.
Dafür wurde er vorgebildet. Mit siebenundzwan-
zig Jahren wurde er in Leipzig Verieger. Der Ver-
such mißglückte, ln dieser Zeit erlebte er seinen
Zusammenprall mit der „Welt" wie irgend ein
Heiliger. Von 1898 an hörte er an der Berliner
Universität. Es entstand ein kleines Epos „Der
Geisterseher" und die Gedichte „Gott. — Und die
Träume".
Der Gedichtband stammt aus der Leipziger
Zeit. Die Brüder Hart haben in ihren Besprechun-
gen öfters erwähnt, daß Peter Baum sich des Künst-
lers Peter Hille angenommen habe. Seitdem geht
Peter Baum als Anhänger Hilles durch die Kri-
tiken und Nachrufe. Es ist bequem, aus zwei
Künstlern, mit denen man nichts anfangen kann,
einen zu machen.
Peter Baum konnte für sein Grundthema: das
religiöse Kind, von niemandem borgen. Dieses
Thema sonderte ihn von allen ab und machte die
Selbstanalyse zu seiner Leidenschaft. Seine Kind-
heit war für ihn lebendigste Gegenwart.
Die letzten Schützengrabenverse sind formal
auch wieder ganz in der Leipziger Art. ^Assoziativ
werden die damaligen religiösen Stimmungen
wieder lebendig.
1902 schrieb Peter Baum den Roman „Spuk".
Es folgten der Novelienband „Im alten Schloß" und
der Rokoko-Roman „Kammermusik".
Allmählich rückt das religiöse Erlebnis in eine
künstlerische Ferne. Die Kritiker schreiben „Psy-
chologie des Rokoko" — die Peter Baum höchst
gleichgültig war.
Am 5. Juni 1916 ist Peter Baum gefallen, nach-
dem er den Krieg als gemeiner Infanterist in seiner
härtesten Form kennen gelernt hat.
Das schreibt der Freund, der ihn am tiefsten
kannte.
*
Die Nachrufe der Presse werden stets von
Leuten geschrieben, die den Ruf nicht hörten. Jeder
Nachrufer fühlt sich als Zeitgeist, weil die Zeit noch
lebt, die ihn nicht richtet. Der Nachrufer ist
aber stets nur Nachrichter. Ein Werkzeug, aber
kein Werk. Der Herr von der Vossischen Zeitung
hat Angst, daß Peter Baum „vielleicht kaum
Bleibendes gegeben hat". Bleibendes gibt man
nämlich nach der Vossischen Zeitung nur dann,
wenn Gegebenes bleibt: „Um auf ein größeres
Publikum zu wirken, dafür fehlt es seinen Erzäh-
lungen an stoffliche? Substanz, seinen Versen an
formalem Glanz." Die stoffliche Substanz gibt mit
dem formalen Glanz ein ganz nettes Gedicht, das
die Vossische Zeitung sogar honoriert. Ehre, wem
Honorar gebührt. Auch die Breslauer Zeitung ist
um die Ewigkeit besorgt. „Ein Auganblickchen
Wehmut bei den Zeitungslesern. Das ist die Ernte
von Peter Baums mit wachem Aug' durchträum-
ten Lebenstagen. Mehr nicht. Dann braust die
Weltstadt über seinen Namen hinweg, den bisher

nur Wenige kannten und später niemand mehr
kennen wird." Wenn die Zeitungsleser ernten
wollen, was die Zeitungsschreiber säen, muß jedes
Korn zur Träne werden. Durchwachte Lebens-
nächte sind kürzer als durchträumte Lebens-
tage. Die Weltstadt braust nicht und einen
Sturm hält sie nicht aus. Und das bißchen
Wind, das die Schreiber ihren Lesern vormachen,
wirft keinen Baum um. Noch besorgter ist die
Berliner Zeitung am Mittag: „.. .Denn Peter Baum
war unbekannt. Er soll auch nicht posthum zum
großen Genie oder zu einer verlorenen Zukunfts-
hoffnung ausgeschrieen werden, denn Peter Baum
fing schon an, recht grau zu sein, und war in sich
abgeschlossen. Er war ein bißchen oder viel
Bohemien, aber noch vom alten Schlage, paßte
nicht mehr recht in eine Zeit, deren Literaten ein-
ander gegenseitig und syndikalistisch in die Oef-
fentlichkeit helfen." Peter Baum war zwar gar
kein Bohemien, aber Böhmen liegt den Herren aus
Oesterreich recht nahe. Er hatte freilich nichts mit
den Literaten zu tun, die sich gegenseitig Hebe-
ammen-Dienste leisten, denn er war kein Literat.
Und was wir an Zukunft verlieren, können wir an
der Berliner Zeitung am Mittag nicht gewinnen,
auch wenn sie zehn Pfennig kostet. Jedenfalls ist
es besser, in sich abgeschlossen zu sein, als den
Anschluß an die Presse zu gewinnen.
Peter Baum suchte diesen Anschluß nicht.
Aber er suchte Gott und die Träume.

Herwarth Waiden


Das Bühnenkunstwerk:

Lothar Schreyer
Es tut not, das Theater von heute zu ver-
gessen.
Das Theater ist kein Unterhaltungsmittel. Das
Theater ist kein Bildungsmittel. Kunst ist Kunst.
Es tut not, dem Theater die Kunst zu geben.
Es tut not, das Theater der Kunst zu geben.
Es kommt nicht darauf an, eine Dichtung dar-
zustellen.
Es kommt nicht darauf an, Darsteller zu fin-
den.
Es kommt nicht darauf an, eine Wirklichkeit
oder Unwirklichkeit darzustellen.
Aber es kommt darauf an, eine Vision auszu-
drücken.
Aber es kommt darauf an, sie mit künstleri-
schen Mitteln auszudrücken.
Aber es kommt darauf an, die Vision als Ge-
stalt und Einheit auszudrücken.
Eine Bühnenkunst tut not.
* *
Das Bühnenkunstwerk ist aus dem Willen der
Zeit geboren.
Der Wille der Zeit ist organisierte Macht.
Die Macht drängt ins Endlose, die Organisation
Ins Endliche. Die Macht drängt ins Endlose, in-
dem sie sich das Endliche untertan macht, es über-
windet. Die Kunst wird organisierter Machtaus-
druck. Der organisierte Machtausdruok wird
Kunst.
Der Gesamtausdruck des Kunstwerkes ist eine
Unendlichkeit, ein Machtwille. Der Einzelaus-
druck der künstlerischen Elemente des Kunst-
werkes ist eine Endlichkeit, ein Organisations-
Wille.
Organisierte Endlichkeit wirkt in der Kunst
Harmonie. Organisierter Machtwille wirkt in der
Kunst Rhythmus.

Das Kunstwerk ist in seiner Gesamtheit kein
harmonisches mehr, sondern ein rhythmisches.
Das Kunstwerk ist kein harmonisches mehr,
es ist keine gefesselte Kraft mehr, es ist keine
vollendete Endlichkeit.
Das Kunstwerk ist ein rhythmisches, es ist
eine ungehemmte Kraft, es ist eine Unendlichkeit,
eine Nie-Vollendung.
Das rhythmische Kunstwerk hat die Harmonie
überwunden. Es sieht die Welt durch die Unend-
lichkeit.
Das harmonische Kunstwerk hat sich den
Rhythmus untertan gemacht. Es sieht wohl auch
die Unendlichkeit, aber es sieht die Unendlichkeit
durch die Welt.
Das harmonische Kunstwerk ist „schön". Auch
das rhythmische Kunstwerk ist schön. Aber seine
Schönheit ist eine aharmonische.
Für die aharmonische Schönheit ist der Gegen-
stand des Kunstwerkes belanglos. Das rhythmi-
sche Kunstwerk kann auf den Gegenstand ver-
zichten. Das harmonische Kunstwerk braucht
einen Vorwand zur Gestaltung seiner Vision. Denn
seine Vision wandelt eine Naturerscheinung oder
Kulturerscheinung zur Harmonie. Der Rhythmus
müht sich nicht, eine Vollkommenheit zu gestalten.
Die Gestalt allein ist sein Sinn. Die Gestalt allein
ist die Macht, die ungehemmt die Vision verkündet.
Der Sturm der Macht muß das Theater von
heute stürzen, um die Kunststätte zu bereiten.
Die rhythmische Schönheit schafft das Bühnen-
kunstwerk.
* *
*
Das Bühnenkunstwerk ist ein selbständiges
Kunstwerk.
Das Bühnenkunstwerk ist künstlerische
Schöpfung. Es ist keine Nachahmung der Natur-
gestalt oder Kulturgestalt. Es ist die Gestalt, die
der Bühnenkünstler seiner Vision gibt. Es ist
"Kunstgestalt.
Das Bühnenkunstwerk ist nicht dramatische
Dichtung, nicht schauspielerische Schöpfung, nicht
ein Anordnen der in einer Dichtung mittelbar und
unmittelbar enthaltenen tatsächlichen Verhältnisse.
Es ist keine Nachschöpfung der Dichtung, kein
Werk der bildenden Künste oder des Kunstge-
werbes, keine Verbindung verschiedener in Raum
und Zeit wirkender Künste.
Das Bühnenkunstwerk ist eine künstlerische
Einheit. Es ist durch Intuition empfangen, in Kon-
zentration gereift, als Organismus geboren. Es ist
gebildet aus den künstlerischen Ausdrucksmitteln
Form, Farbe, Bewegung und Ton. Es ist ein selb-
ständiges Kunstwerk, wirkend in Raum und Zeit.
Die Bühnenkunst ist eine selbständige Kunst.
* *
*
Die Gestalt des Bühnenwerkes ist Kunstgestalt.
Die Gestalt ist nur abhängig von dem Künstler,
dem die Offenbarung wurde. Der Künstler ge-
staltet aus Notwendigkeit. Einen Vorwand der
Gestaltung kennt er nicht. Er bildet nicht die un-
greifbare, unbegreifbare Vision. Er verkündet sie.
Er verkündet sie mit Zeichen, denen die Macht
eigen ist, Gefühle auszudrücken. Diese Zeichen
sind die künstlerischen Mittel.
Die bühnenkünstlerischen Mittel sind aus den
Grundformen, Grundfarben, Grundbewegungen
und Grundtönen gestaltet.
Wie die Gestaltung vor sich geht, weiß nie-
mand. Es ist das Geheimnis der Weltschöpfung
und der Geburt.
Die Grundformen sind die mathematischen
Körper und Flächen.
Die Grundfarben sind schwarz, blau, grün, rot,
gelb, weiß.

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