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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Berlewi, Henryk: Mechano-Faktur
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0177

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

Mittel zur Vereinfachung jeglicher Wirrnisse, durch das man das Ziel bei größter Ökonomie
der Mittel erreichen kann. Doch muß man in diesem Falle auch die technischen Mittel
der Malerei entsprechend ändern, — sie den Aufgaben des Schemas anpassen. Die
alte Maltechnik, die bis auf den heutigen Tag noch vegetiert, die alle Merkmale der
handwerklichen Virtuosität, des Zufälligen, besitzt, die von den jeweiligen Stimmungen
und Launen des Malers abhängig ist, entsprach vollständig den Voraussetzungen
der impressionistisch-naturalistischen individualistisch-subjektivistischen Auffassung von
Kunst. Die Aufgaben der Kunst kann man etwa so definieren: Brechen mit jeder
Imitation der Gegenstände (wenn sie auch noch so frei ist), Autonomie der Form,
Disziplin, Klarheit, die einem jeden die Intention des Künstlers verständlich macht,
Schematisierung, Geometrisierung, Präzision, die einem jeden das Ordnen der vom
Werke empfangenen Eindrücke erleichtert. Dieser Aufgabe entspricht] die alte
Technik der Malerei nicht. Noch hilfloser wird diese handwerkliche Technik, sobald
es sich um Schaffung eines neuen schematischen fakturellen Systems handelt. Und
in diesem Falle kann nur die mechanistische Technik angewandt werden, die von
der industriellen Technik herkommt, unabhängig von den Launen des Individuums ist
und sich auf die exakte Funktion der Maschine stützt. Auf den Produktions-
prinzipien der Maschine muß also die heutige Malerei, die heutige Kunst basiert
werden. Mit Hilfe der Mechanisierung der Faktur, der Mechanisierung der
malerischen Ausdrucksmittel, wird ein ganz neues Gestaltungssystem begründet.
Das betrifft nicht nur die Malerei, sondern jegliches Schaffen.
Das bedeutet aber nicht die Automatisierung des Schaffungsprozesses selbst. Im
Gegenteil. Durch die Mechanisierung der Mittel wird eine größere Freiheit des
Schaffens erreicht, eine größere Inventions-Möglichkeit.
Das alte Handwerksystem der Malerei mit seinem Ballast an naturalistisch-akademischen
Vorschriften hemmte die Freiheit der Invention. Es verschlang ein Maximum von
Schaffensenergie und vergeudete sie an unwesentliche Dinge, an Virtuosität.
Die Kunst muß mit allen Angewohnheiten der parfümierten, perversen, überempfind-
lichen, hysterischen, romantischen, boudoirmäßigen, individualistischen Kunst von gestern
brechen. Sie muß eine neue Formsprache schaffen, die für alle zugänglich ist und
im Einklang mit dem Rhythmus des Lebens steht.

Henryk Berlewi
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