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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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Gaspar, Andreas: Die Bewegung der ungarischen Aktivisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0187

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DER STURM/DRITTES VIERTELJAHRHEFT

psychische Agitation, die repräsentative Äusserung des konstruktiven Menschen
und die Erziehung anderer zum Selbstbewußtsein und zu einer künftigen Handlung.
Die Aktivisten fühlen, daß der Konstruktivismus eine Grundlage sei, auf der man
weiterbauen könne. Sie wollen das Gefühl der Sicherheit, das neue Gleichgewicht
ausdrücken. Sie könnten sich als aktive Konstruktivisten bezeichnen und tun es nur
deshalb nicht, weil dann eine Verwechslung mit dem heute als Schule auftretenden
Konstruktivismus unvermeidlich wäre. Und sie, die heute zu den radikalsten Künstlern
aller Länder gehören, wollen keine Schule mehr. Sie haben das Element des Bauens
mit den Konstruktivisten gemein, ohne aber einer Maschinenromantik verfallen zu
sein. Für sie sind Kunst und Leben Wechselbegriffe, weil beide den Ausdruck des
Menschen bedeuten, der sich instinktiv ausdrücken will. Doch verwahren sie sich
dagegen, die Kunst als Praktikum aufzufassen. Der Künstler ist kein Mechaniker,
kein Maschinenbauer. Der Künstler ist derjenige, der baut. Und die Welt möge
zusehen, wie sie das vom Künstler Erbaute praktisch ausbeuten kann. Eine praktische
Kunst ist unmöglich, denn der Ausdruck des Menschen (was die Kunst einmal ist),
wird durch alle von außen hinzugetretenen Ziele beeinträchtigt und beschränkt. Der
Ausdruck darf kein anderes Ziel haben, als den Ausdruck selbst. Nur das fertige
Kunstwerk ist es, was von Anderen als praktisch zweckmäßig gewertet und in die
Entwickelungslinie eingestellt werden kann.
Hat diese Kunst etwas mit der l’art pour l’art der vergangenen Epochen zu tun?
Gewiß nicht, denn die aktivistische Kunst ist ein höchstpotenzierter Ausdruck des
Lebens, des im Künstler wirkenden Lebens, wogegen jede l’art pour l’art ein passives
Hineinleben des Künstlers in fertig vorgefundene Lebens- und Kunstformen bedeutet.
Die zweite Frage aber lautet: Ist diese Kunst sozial? — Die Antwort auf diese
Frage ist vielleicht die wichtigste. Sie soll daher prägnant gefaßt werden. Die
Kunst ist ein adäquater Ausdruck des Menschen, mithin muß die
Kunst des sozialen Menschen notgedrungen sozial sein.
Die Aktivisten stellten in Ungarn ein auch der Zahl nach beträchtliches Lager dar.
Dieses Lager wurde seit der Revolution durch wiederholte Austritte vermindert. Es
wäre ein äußerst bequemer Standpunkt, diese Tatsache einfach zu verschweigen oder
mit der Bemerkung abzutun, daß es auch im Lager der Radikalen eine Anzahl Künstler
gab, die den eingeschlagenen Weg nicht weiter zu gehen vermochten und nach jahre-
langem Bemühen vorzogen, das permanente Suchen abzuschwören. Aber die Gründe,
die das Ausscheiden der meisten ehemaligen Aktivisten bedingten, sind so typisch
und von so großem theoretischen Interesse, daß wir nicht umhin können, ihrer mit

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