DER STURM
HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN
15. JAHRGANG z MONATSBERICHT / SEPTEMBER 1924
Städtebildchen
I Jena
Johann der Gutmütige steht auf dem Markt-
platz zu Jena. Er ist geb. und gest. und hat
zwischendurch die Universität gegründet. Aus
diesem Grunde hat ihn der Künstler mit einem
Dolch außerhalb des Gewandes verplastikt. Die
Herren, die sich mit dem Lebenswerk dieses Gut-
mütigen vergnügen, stoßen sich deshalb noch
heute gegenseitig den Dolch in die edleren
Organe. Nicht, ohne den sehr geehrten Gegner
durch Überreichung einer Besuchskarte davon in
Kenntnis gesetzt zu haben. Für das Gebäude,
das zur Vorbereitung dieses Aktes dient, haben
Zeiß selige Erben ein Bild von Herrn Hodler
bestellt. Hodler ist der Künstler, der die Natur
nicht mehr genau nachmachte und der deshalb
zu den Dekadenzerscheinungen zu rechnen ist.
Daß gerade die Hersteller von photographischen
und optischen Apparaten der Natur einen solchen
Dolchstoß versetzten, spricht Bände, die auch
eifrig von Professoren geschrieben werden.
Professoren sind Herren im reiferen Lebensalter
ohne Hüte mit Huthalter. Der Huthalter soll
beweisen, daß die Herren sich zu den gehobenen
Ständen rechnen, die dank ihrer Bildung sich
das Recht, einschließlich des juristischen Rechtes,
und den Besitz eines Hutes gesichert haben.
Abgesehen von der Freude an der Natur be-
schäftigen sich die Professoren mit unsinnlichen
Dingen, wie mit den Verordnungen der Reichs-
regierung, der jeweiligen Reichsregierung, mit
den Verordnungen vergangener Regierungen
aller Zeiten und aller Völker, mit der Existenz
Gottes, mit dem Liebesleben Goethes, mit alt-
philologischen Übungen in neuphilologischen
Sprachen und mit dem Untergang des Oberlehrers
Spengler. Die Studenten bequatschen die An-
gelegenheiten dann unter sich. Soweit es die
Wirkung der Dolchstöße zuläßt, trinken sie Bier.
Hierdurch wird die Eigenart der Deutschen zur
monumentalen Körperbildung erreicht, so daß
dem Plastiker fast gar nichts mehr zu tun übrig
bleibt. Er hat nur noch den Dolch nachzubilden.
Jena riecht nach Landwirtschaft, eine Folge der
Rostbratwürstchen. Durch Aufgießen schmutzigen
Wassers wird erreicht, daß diese Würstchen sich
nicht verbrühen und andererseits sich des be-
kannten Wohlgeschmacks erfreuen. Außerdem
wird in Jena von jedem gesungen, dem der
Gesang nicht gegeben ist. Die wilderen Ele-
mente dieser Stadt treffen sich abends in der
Paradiesdiele. Sie liegt nicht, wie ähnliche
Institute in Berlin, im ersten Stock, sondern auf
der platten Erde. Selbstverständlich im Charakter
eines Korridors. Abgesehen von den Vertretern
der Presse, sind dort alle Menschen gleich.
Eine Hausgehilfin ist zur Zeit dort gerade im
Begriff, den Bubikopf einzuführen, ohne des-
wegen das Recht auf Haferlschuhe aufzugeben.
Wo sie doch Gerhart Hauptmann, der bekannte
Stammgast des Hotels Adlon, auf dem Potsdamer
Platz trägt. Die Paradieskapelle versucht ohne
Grazie eine Jazzband zu ironisieren. Sie spielt
grundsätzlich Potpourris, damit jeder zu seinem
Recht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch kommt.
In früheren Zeiten haben Luther, Schiller und
Bismarck die Stadt bevölkert. Insbesondere litt
Schiller offenbar an einer fast krankhaft zu
nennenden Umzugsmanie, so daß kaum ein
Haus Jenas ohne eine bronzene Notiz von dem
Zugang und Abgang dieses Teils der Bevölke-
rung verschont geblieben ist. Jena hat eine
Straßenbahn, die die beiden Bahnhöfe dieser
Stadt vermittelst einer sinnvollen Verwendung
der Elektrizität verbindet. Der zweite Bahnhof
dient nämlich ausschließlich dem Verkehr nach
Weimar, einer Stadt, zu der man nicht so ohne
weiteres hinfahren soll. Sonst ist das Geistes-
leben in Jena auf der bewährten alten Höhe,
die dort von der Höhe kommt und Fuchsberg
genannt wird.
HERAUSGEBER: HERWARTH WALDEN
15. JAHRGANG z MONATSBERICHT / SEPTEMBER 1924
Städtebildchen
I Jena
Johann der Gutmütige steht auf dem Markt-
platz zu Jena. Er ist geb. und gest. und hat
zwischendurch die Universität gegründet. Aus
diesem Grunde hat ihn der Künstler mit einem
Dolch außerhalb des Gewandes verplastikt. Die
Herren, die sich mit dem Lebenswerk dieses Gut-
mütigen vergnügen, stoßen sich deshalb noch
heute gegenseitig den Dolch in die edleren
Organe. Nicht, ohne den sehr geehrten Gegner
durch Überreichung einer Besuchskarte davon in
Kenntnis gesetzt zu haben. Für das Gebäude,
das zur Vorbereitung dieses Aktes dient, haben
Zeiß selige Erben ein Bild von Herrn Hodler
bestellt. Hodler ist der Künstler, der die Natur
nicht mehr genau nachmachte und der deshalb
zu den Dekadenzerscheinungen zu rechnen ist.
Daß gerade die Hersteller von photographischen
und optischen Apparaten der Natur einen solchen
Dolchstoß versetzten, spricht Bände, die auch
eifrig von Professoren geschrieben werden.
Professoren sind Herren im reiferen Lebensalter
ohne Hüte mit Huthalter. Der Huthalter soll
beweisen, daß die Herren sich zu den gehobenen
Ständen rechnen, die dank ihrer Bildung sich
das Recht, einschließlich des juristischen Rechtes,
und den Besitz eines Hutes gesichert haben.
Abgesehen von der Freude an der Natur be-
schäftigen sich die Professoren mit unsinnlichen
Dingen, wie mit den Verordnungen der Reichs-
regierung, der jeweiligen Reichsregierung, mit
den Verordnungen vergangener Regierungen
aller Zeiten und aller Völker, mit der Existenz
Gottes, mit dem Liebesleben Goethes, mit alt-
philologischen Übungen in neuphilologischen
Sprachen und mit dem Untergang des Oberlehrers
Spengler. Die Studenten bequatschen die An-
gelegenheiten dann unter sich. Soweit es die
Wirkung der Dolchstöße zuläßt, trinken sie Bier.
Hierdurch wird die Eigenart der Deutschen zur
monumentalen Körperbildung erreicht, so daß
dem Plastiker fast gar nichts mehr zu tun übrig
bleibt. Er hat nur noch den Dolch nachzubilden.
Jena riecht nach Landwirtschaft, eine Folge der
Rostbratwürstchen. Durch Aufgießen schmutzigen
Wassers wird erreicht, daß diese Würstchen sich
nicht verbrühen und andererseits sich des be-
kannten Wohlgeschmacks erfreuen. Außerdem
wird in Jena von jedem gesungen, dem der
Gesang nicht gegeben ist. Die wilderen Ele-
mente dieser Stadt treffen sich abends in der
Paradiesdiele. Sie liegt nicht, wie ähnliche
Institute in Berlin, im ersten Stock, sondern auf
der platten Erde. Selbstverständlich im Charakter
eines Korridors. Abgesehen von den Vertretern
der Presse, sind dort alle Menschen gleich.
Eine Hausgehilfin ist zur Zeit dort gerade im
Begriff, den Bubikopf einzuführen, ohne des-
wegen das Recht auf Haferlschuhe aufzugeben.
Wo sie doch Gerhart Hauptmann, der bekannte
Stammgast des Hotels Adlon, auf dem Potsdamer
Platz trägt. Die Paradieskapelle versucht ohne
Grazie eine Jazzband zu ironisieren. Sie spielt
grundsätzlich Potpourris, damit jeder zu seinem
Recht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch kommt.
In früheren Zeiten haben Luther, Schiller und
Bismarck die Stadt bevölkert. Insbesondere litt
Schiller offenbar an einer fast krankhaft zu
nennenden Umzugsmanie, so daß kaum ein
Haus Jenas ohne eine bronzene Notiz von dem
Zugang und Abgang dieses Teils der Bevölke-
rung verschont geblieben ist. Jena hat eine
Straßenbahn, die die beiden Bahnhöfe dieser
Stadt vermittelst einer sinnvollen Verwendung
der Elektrizität verbindet. Der zweite Bahnhof
dient nämlich ausschließlich dem Verkehr nach
Weimar, einer Stadt, zu der man nicht so ohne
weiteres hinfahren soll. Sonst ist das Geistes-
leben in Jena auf der bewährten alten Höhe,
die dort von der Höhe kommt und Fuchsberg
genannt wird.