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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0200

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II Weimar
* I
„Die Stadt Weimar hat zur Zeit 28 500 Einwohner,
worunter sich cirka 570 Katholiken und vielleicht
180 Israeliten befinden.“ Diese Angabe verdanke
ich Woerls Reisebüchern. Auf der letzten Seite des
Führers für Weimar durch und durch sind Post-
kartenverse sozusagen als Anhang beigegeben,
für Leute, die sich ohne Schiller und Goethe
nicht lassen können. Es sind laut Angabe des
Verlags sogenannte „Originalverse“. Um diesem
Städtebildchen die mir versagte aber doch nötige
Poesie anzukreiden, sei hier zur klassischen Ver-
wendung die Originaldichtung Nummer 1 der
breiteren Öffentlichkeit zugängig gemacht:
Gegrüßt sei von geweihter Stätte mir!
Auf großer Geister Spuren wandl’ ich hier;
In Stadt und Park, wohin das Auge schaut,
Erinn’rung grüßt uns hier, lieb und vertraut.
Wem aber etwa Woerl nicht genügt, kann auch
das Originalgedicht Nummer 2 von Goethe per-
sönlich für diesen Zweck gebrauchen:
Ihr seid mir hold, ihr gönnt mir diese Träume
Sie schmeicheln mir und locken alte Reime
Mir wieder selbst, von allen Menschen fern
Wie bad’ ich mich in euren Düften gern.
Zur Zeit findet in Weimar eine Tierausstellung
statt, die bestbekannte landwirtschaftliche Woche.
Man hat es den Landwirten sehr übel genommen,
daß sie ihre Produktion in der unmittelbaren
Nähe der Produktion Goethes produziert haben.
Goethe persönlich dachte hierin viel freund-
williger und hat dieser landwirtschaftlichen An-
gelegenheit bereits vorher in herzlicher Weise
die beiden folgenden Originalverse für Ansichts-
karten zur Verfügung gestellt:
Der Landmann leichtem Sand den Samen an-
vertraut
Und seinen Kohl dem frechen Wilde baut.
Abgesehen von diesem Kohl gibt es in Weimar
selbst zahlreiche Plastiken. Jeder tausendste
Einwohner dieser Stadt erhält ein Denkmal.
Der berühmte Kunstkritiker Lübke hat die end-
gültige Kunstformel für sämtliche dort geschaf-
fenen und noch zu schaffenden Denkmäler
geschaffen: „Geistvoll energische Charakteristik,
tiefe Auffassung und Wiedergabe der ganzen
Persönlichkeit, in welcher man gleichsam den
Widerhall ihres eigenen Wesens empfindet, adeln

dieses Denkmal.“ Das ist ein Ruf wie Widerhall
auf der es sich lohnt, Plastiker zu werden.
Weimar hat außerdem eine Straßenbahn, die
nicht fährt. Alle Wege führen zwar nach Weimar,
aber wenn man dort ist, will man dort bleiben.
Hier hat nicht in jedem Haus Schiller, hier hat
noch außerdem in jedem Haus Goethe gewohnt.
Deswegen ist jedes Haus mit zwei bronzenen
Notizen versehen. In einem sehr repräsentativen
Hause wohnte etwas abseits ein gewisser Nietzsche.
In meinem Woerl findet sich über diesen pp.
Nietzsche folgende Notiz: „Wenn man bedenkt,
daß Nietzsche nur etwa fünfzehn Jahre lang mit
völlig freiem Geist produktiv tätig war, so ist
es wahrhaft zu bewundern, daß in dieser kurzen
Zeit ein so großer literarischer Reichtum ge-
schaffen worden ist.“ Dieser Herr Nietzsche
hat trotzdem kein besonderes Lokalinteresse
erregt. Weimar hatte früher Großherzöge, die
mit den Dichtern gingen, während die feineren
Könige bekanntlich mit den teureren Sängern
gingen. Nach dieser großen herzoglichen Zeit
hatte man eine kleine proletarische Regierung,
der die jetzige Rechtsregierung aus ästhetischen
Gründen etwas am Zeuge flicken will. Diese
Regierung pavt außerdem. Paven ist kein
Schimpfwort. Es ist eben Paven. Die aller-
höchste Reichsregierung, die über der Arm-
regierung der Länder steht, hat auch etwas
geschaffen. Nämlich die Personalabbauverord-
nung, Pav genannt. Wer nicht paßt, wird gepavt.
Oder in Regierungsdeutsch: es werden Spar-
maßnahmen getroffen. Die Weimarische Regie-
rung, vom klassischen Wortgeist besessen, will
aus Sparsamkeitsgründen zunächst das Bauhaus
paven. Man findet es nämlich sehr billig, daß
man durch Ankauf von nur zwei Buchstaben
den Titel Bauhaus in Abbauhaus umgestalten
kann. Unter diesem Namen soll die klassische
Akademie ihre Existenz wieder ableugnen.
Weimars Reichtum ist seiner Ansichtskarten-
industrie begründet. Endlich besitzt Weimar
ein Theater, das ohne jede Verfassung ist.
Herwarth Walden

Sonderbar
Der Hammer ist und bleibt bewiesen.
Herzliche Grüße von Franz zu Franz.

Rudolf Bliimner
 
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