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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 15.1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.47214#0201

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Zirkus
Drei geharkte Sandkreise unter einem Zelt.
Zehntausend Menschen umsitzen sie. Zehntausend
Menschen umlagern es. In den Gesichtern innen
Spannung. In den Gesichtern außen Sehnsucht.
Der Riesenzirkus Krone, Schönhauser Allee.
Herr Krone, oder vielmehr Herr Direktor Krone,
hat ein Programmheft herausgegeben, in dem
sich ein Feuilletonist über das Wesen des Zirkus
und über das Wesen des Herrn Direktors äußert.
Frau Direktor Krone ist in dem feierlichen
Moment abgebildet, wo ihr das italienische
Offizierkorps huldigt. Herr Direktor ver-
abschiedet das italienische Königspaar in Turin.
Das ist im Bilde festgehalten. Außerdem läßt
Herr Direktor mitteilen, daß er den „deutschen
Zirkus“ geschaffen hat, „er wollte die amerika-
nische Großzügigkeit mit der deutschen Reellität
harmonisch verbinden, deutscher Geist sollte aus
allem heraussprechen, und dies ist ihm auch in
glänzender Weise gelungen. Der Zirkus sollte
nicht nur eine Unterhaltungsstätte für die breite
Masse werden, nein, er sollte auch eine Kultur-
stätte sein. Er sollte ethischen und kulturellen
Zwecken dienen, der breiten Masse die Kennt-
nisse fremder Völker und Tiere vermitteln“.
Der Zirkus ist besser als sein kulturelles Pro-
gramm.
Körper spielen und bilden körperliche Formen.
Kein Raum schränkt sie ein. Kein Schwer-
gewicht zieht sie zur Erde. Die Zeit ist rhyth-
misch aufgeteilt. Jede Sekunde eine Leistung.
Jede Leistung in einer Sekunde. Über den
Kreisen zwischen Himmel und Erde Bewegung.
Gestaltete Bewegung. Also Kunst. Der deutsche
Geist hat zum Glück für die Kunst das Zelt
verlassen und hält sich höchstens noch in einigen
Zuschauern zum dauernden Schaden ihrer Ge-
sundheit auf.
Die Kulturstätte einschließlich der ethischen
Forderung wird durch Kamele, Tiger, Elefanten,
Pferde und ungarische Ochsen bevölkert. Die
Kamele sehen sich höchst überlegen um. Und
denken, so dumme Menschen. Wollen aus uns
sogar noch eine Kulturstätte machen. Die Kamele
sind sehr groß und daher auch überlegen. Auch
große Menschen sind überlegen. Sie wurden
deshalb früher stets zu den höchsten Ämtern
zugelassen. Eben wegen der Überlegenheit.
Die ungarischen Ochsen sehen sich das Publikum
zwar auch überlegen, aber etwas gutmütiger an.
Sie stehen offenbar dem menschlichen und ins-
besondere dem deutschen Geist ochsig näher.

Sie lassen sich alles gefallen. Die Reflektoren
wirken auf ihr reflektorisches Bewußtsein. Warum
sollen sie schließlich nicht solche Ochsen sein,
um im Kreis herumzulaufen? Da es ihnen gut
steht und man sie von allen Seiten betrachten
kann. Es macht noch ganz anderen Ochsen
Freude, von allen Seiten betrachtet zu werden.
Die Tiger haben persönlich weniger Spaß.
Immerhin wird durch die Höhe der menschlichen
Kultur erreicht, daß sie schön tun. Sie machen
es nicht gern, aber was soll man schließlich
machen. Das Schöntun gehört zum Fortschritt,
also zur Kultur, schafft Beziehungen und Ver-
bindungen. In den Momenten, wo ihnen das
Schöntun gegen die Natur geht, wird das üb-
liche Mittel angewandt. Ein Herr Mensch schießt.
Zunächst probeweise nur in die Luft. Hierauf
ziehen es auch die Tiere vor, schön zu tun.
Während die Kamele eine verzweifelnde Ähn-
lichkeit mit intellektuellen Führern der mensch-
lichen Gesellschaft physiognomisch haben, legen
die Elefanten ihr Antlitz in metaphysische Falten.
Sie sind so unglaublich groß, daß sie es sich
wirklich nicht leisten brauchen, dem Direktor
das ethische Vergnügen zu stören. Auch sie
tun schön, aber nur, weil es ihnen so komisch
vorkommt, daß man sich ihnen überlegen fühlt.
Sie haben auch die Genugtuung, den Herrn
Direktor auf einem Rüssel in die Höhe zu heben,
daß er allen Zuschauern sehr klein vorkommt.
Sie haben allerdings von ihm verschiedene
menschliche Eigenschaften erlernt, auf die sie
nicht gefaßt waren. Sie lernen zum Beispiel
kriechen. Sie kriechen voreinander. Sie kriechen
untereinander. Kulturstätte. Sie machen Musik
mit den Füßen. Hohe Kunst. Alle Tiere be-
wegen sich in geradezu vollendeter Ordnung.
Die Elefanten, die Kamele, die Ochsen. Staats-
bewußtsein. Das Publikum freut sich, daß die
Tiere das auch alles so brav gelernt haben.
Ganz wie unsereins. Tiere gehören zweifellos
zu den wirtschaftlich Schwachen. Sie arbeiten
ohne Lohn und sind mit etwas Kost und viel
Prügel sehr zufrieden. Die Zuschauer verlangen
für ihre Beschäftigung sogar Lohn. Besonders
übel wird es ihnen genommen, daß sie es auch
für Beschäftigungslosigkeit verlangen. Wo es
doch eigentlich ein Vergnügen ist, sich zu be-
schäftigen und sich nicht zu beschäftigen. Aller-
dings hat man nicht die Musik dazu, wie die
fremden Völker und die fremden Tiere.
Die Pferde sind unruhiger. Ihnen ist wahr-
scheinlich die ethische Forderung eingebläut
worden. Sie haben Gesinnung, auch wenn sie
 
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