Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

DOI Artikel:
Haupt, Richard: Der Hauptaltar zu Witting
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0034

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
35

1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 2.

86

Es war dem Künstler nicht möglich, den
Herrn nach den Worten der goldenen Legende
darzustellen, wie er Marien den Heimgang an-
kündigt, „begleitet von den Chören der Engel,
der Versammlung der Patriarchen, der Schaar
der Märtyrer, dem Heere der Bekenner, und
der Jungfrauen." Aber den Gekreuzigten selbst,
zu den Himmeln erhöht' über die anbetende
Welt, und umgeben von jenen Schaaren, ein-
geschlossen von einem Rosenkranz, der mit
den am Kreuzesstamme angebrachten Rosen
zusammen soviel Blüthen zählt, als Maria
Lebensjahre waren, zeigt die Mitte des Ganzen.
Die besondere Umschliefsung der eigentlichen
Darstellung und ihre Erhebung auf ein prächtig
geschmücktes Postament, unterhalb dessen die
Vertreter der Welt anbeten, während der Kranz
oben von zwei palmenschwingenden Engeln
umschwebt ist, hebt sie augenscheinlich noch
absichtlich aus dem Reiche des Sinnlichen
heraus, läfst uns fühlen, dafs hier für die An-
schauung zusammengedrängt ist, was die Him-
mel nicht fassen. Die Vierzahl der Rosen um
das Haupt Christi dürfte das Weltall bedeuten
sollen.

Die Zahl der Engel (von denen zwei un-
geflügelte die Krone über dem Haupte Gottes
halten) ist zehn — plenitudo sapientiae. Dafs
eine Taube ausgefallen sei, ist nicht ausge-
schlossen aber nicht wahrscheinlich. Neben
Gott Vater erblicken wir die Jungfrau mit dem
Kinde als Himmelskönigin. — Unter dem Kreuze
folgen Patriarchen und Propheten (David, Elias,
Moses, Abraham, Johannes der T.), Apostel und
Evangelisten (Petrus johannes, Philippus? Paulus,
Markus); Märtyrer aus verschiedenen Ständen,
anscheinend absichtlich sämmtlich aus der Zahl
der Vierzehn gewählt, wobei aber der Künstler
recht geflissentlich die Figuren originell ge-
staltet (Bischof, Christophorus, Georg, Marga-

wahrscheinlichere Erklärungen zu geben. Erschwert
wird die Aufgabe leider dadurch noch, dafs die Bilder
der Aufsenseiten der Flügel verschwunden sind. Es
war schon vor der letzten Restauration nichts mehr
davon zu sehen. Ob aufserdem noch Aufsenflüge]
vorhanden waren, die dann nur Gemälde gezeigt haben
können, steht dahin. Es ist eher wahrscheinlich als
nicht, obwohl, nach eingezogener Nachricht, jetzt
keinerlei Spur der Scharniere zu finden und auch
früher nicht beobachtet worden ist.

[Eine zusammenfassende Behandlung der Rosen-
kranz-Altäre, welche in Aussicht genommen ist, bietet
vielleicht Gelegenheit zu einem solchen Versuche.]

D. H.

retha, Cyriacus mit einer Besessenen vor sich),
Kirchenlehrer und Bekenner (Hieronymus, Gre-
gorys, Mamertus? Wendelin? Eduard? Bern-
hard?), Jungfrauen, Wittwen aus der Sippe
Maria. — Die Auflösung wird hier dadurch
erschwert, dafs sich der Künstler nicht auf die
in diesen Gegenden allgemeiner bekannten Hei-
ligen beschränkt hat. In den unten knienden
Figuren bietet er rein typische Gestalten: Papst,
Kardinal, Bischof, Weltgeistlichen, Mönch, Nonne
— Kaiser, König, Edelmann, Edelfrau, Bürger,
Bürgerfrau. — Die Anbetung durch diese Ver-
treter der Stände findet sich im Schleswigischen
auch auf dem kleinen Marien-Altar zu Aven-
toft; doch ist hier die Schnitzarbeit weit besser.
Die Figuren, deren einige verloren sind, knieen
dort zu Füfsen der auf dem halben Monde
stehenden Maria. Ein Rosenkranz ist vielleicht
zu Grunde gegangen. Siehe »Schlesw.-Holst.
Baudenkmäler« II, 640 mit Abb. der Anbetenden,
III. 88. 210.

Während die Reliefs der Flügel, in denen
der Künstler wohl auf sich selbst angewiesen
war, nicht das mindeste Lob verdienen, viel-
mehr in ihren kurzen, plumpen Figuren, den
klumpig gearbeiteten Händen und Füfsen, der
ungewöhnlich grob- und grofsfaltigen Gewan-
dung einen Tiefstand gothischer Skulptur des
XVI. Jahrh. bezeichnen, finden sich in der Mitte
viele feine anmuthige Züge, durchgebildete Ge-
stalten, und besonders trefflich behandelte Ge-
sichter. Mehrere Hände an dem Werke anzu-
nehmen, liegt daher nahe; doch wird das Ganze
aus derselben Werkstatt stammen. Das Orna-
ment ist durchaus gleichartig; es zeugt von
vollendeter Beherrschung der Formen und freier
Verfügung darüber, ist aber weder fein noch
reich noch kühn. Im Zwischenfries des süd-
lichen Flügels athmet nichts mehr vom Geiste
der Gothik; man könnte ihn auch in der Früh-
renaissance finden.

Der Altar war 1678 oder 1682 neu ange-
malt;2) doch waren die alten Farben geschont.
Im Jahre 1894 ist er in der weitbekannten
Schnitzschule Heinr. Sauermanns zu Flensburg
nach der ursprünglichen Färbung und Vergol-
dung neu hergestellt worden; auch die Grun-
dirung ist damals erneuert, anscheinend etwas

2) Vermuthlich damals hat man auch die hohe
Staffel untergesetzt, auf der das Ganze jetzt steht.
Ihre glatte Vorderfläche ist recht hübsch mit Blumen
bemalt und trägt den Spruch: „Pasce Pastor gregim."
 
Annotationen