131
1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 5.
132
der Spätzeit des Mittelalters die Verordnung
des Rothenburger Spitals charakteristisch: „Es
soll in dem huse, in dem hofe und überall
in dem spital sein ein vollkumen wandelung und
ein clösterlich Zucht."3) Zum Verständnifs der
Spitalbauten ist es wichtig, dafs wir diesen Satz
im Auge behalten.
Am Ausgange des Mittelalters erfreuten sich
die meisten Städte Deutschlands der Wohlthat
einer Spitalstiftung. So kommt es, dafs die
moderne Kunsttopographie an zahlreichen Orten
gothische Spitalkapellen und Spitalkirchen ver-
zeichnet.
Die grofse Verbreitung der Spitäler und die
hohe Bedeutung, welche sie in wirthschaftlicher
und religiöser Beziehung hatten, machen es er-
klärlich, dafs die mittelalterliche Baukunst hier
ein Gebiet fand, auf dem sie mit Rücksicht
auf den besonderen Zweck in eigenartiger Weise
sich bethätigen konnte. Freilich bildete sich
in den Spitalanlagen nicht wie bei den Kloster,
bauten ein Schema aus, das mit mehr oder
minder grofsen Variationen wiederholt worden
wäre. Es lassen sich vielmehr die verschie-
densten Typen beobachten. Gerade in dieser
Verschiedenartigkeit aber gründet der Reiz, den
das Studium mittelalterlicher Spitalbauten ge-
währt.
Bekannt ist, dafs die mittelalterlichen Spi-
täler die Anlage am Eingange der Stadt und
am fliefsenden Wasser sowie die Verbindung
mit einer Kapelle gemein haben.4) Die beiden
ersten Eigenthümlichkeiten beruhen auf hy-
gienischen Gründen. Was die Lage am Ein-
gang der Stadt anbelangt, so variirt dieselbe,
je nachdem das Spital innerhalb oder aufser-
halb des Thores liegt. Aufserhalb des Thores
liegen z. B. das hl. Geistspital in München
(1204 gegründet, erst nachträglich bei Erwei-
terung der Stadt in den Mauerring mit einbe-
zogen), das Katharinenspital in Regensburg,
die Spitäler in Burghausen, Neuötting. Inner-
halb des Thores, unmittelbar an der Stadt-
mauer, liegt z. B. das Spital in Erding, 1444
erbaut. Die Verbindung der Spitäler mit einer
Kapelle oder Kirche ist durch den kirchlichen
Charakter dieser Stiftungen bedingt. Sie ist
schon in den Krankenhäusern der Klöster vor-
gezeichnet und sie erhielt sich auch, als die
3) Uhlhorn a. a. O. II, 232.
4) H. Otte, »Handbuch d. kirchl. Kunstarchäo-
logie« I5, 120.
Spitäler in städtische Verwaltung übergingen. Die
Bulle Innocenz III vom Jahre 1204 setzt aus-
drücklich fest, dafs die Spitalbrüder in allen
ihren Häusern ein Oratorium und ein Cöme-
terium haben dürfen. Wenn in der gleichen
Bulle bestimmt wird, dafs das grofse Spital
Santa Maria in Sassia in Rom mindestens vier
Priester haben solle, so wirkte dieses Statut
bei den gröfseren hl. Geistspitälern wohl auf
die Anzahl der Altäre ein. Im hl. Geistspital
in Tonnerre betrug diese nach der Gründungs-
urkunde von 1293 vier.6) Die Kirchen und
Kapellen waren gewöhnlich dem hl. Geiste ge-
weiht, weil die katholische Lehre die guten
Werke mit diesem in Verbindung bringt und
weil insbesondere die Stiftung von Spitälern im
XIII. Jahrh. vielfach im Zusammenhang mit
dem Orden vom hl. Geist erfolgt. Von an-
deren Patrozinien findet sich häufig der hl. La-
zarus, öfters auch die hl. Katharina. Unter
dem Schutze der letzteren standen namentlich
die Häuser für obdachlose Mädchen und Frauen.6)
Von ihr hat das grofse und alte Spital in Re-
gensburg seinen Namen. Und bei einer Ka-
tharinenkapelle wurde 1204 das Spital in München
gegründet. In den baltischen Ländern sind die
Leprosenhäuser aufserhalb der Stadt sehr häufig
dem hl. Georg, öfters auch der hl. Gertrud
geweiht.7)
Die Art nun, wie die Kapelle mit dem
Wohnräume der Armen und Kranken verbun-
den wurde, war mannigfaltig; in ihr beruht we-
sentlich die grofse Verschiedenheit der Spital,
anlagen. Einige Beispiele mögen dies veran-
schaulichen.
Im Krankenhaus Tortoir bei Laon aus dem
XIV. Jahrh. ist die Kapelle durch den Hof
vom grofsen Saal getrennt.8) Das Hospital in
Angers, welches 1153 gestiftet wurde und noch
seine reichen Baüformen des XII. Jahrh.
bewahrt, zeigt einen rechteckigen Saal von drei-
schiffiger Hallenanlage. An die eine Schmal-
seite des Saales, welche in der Achse den Ein-
gang enthält, stöfst eine quadratische Kapelle,
so zwar, dafs die Kapelle mit der einen Hälfte
5) Viollet-le-Duc, »Dictionnaire de l'architec-
ture« IV, 109.
(i) Verdier et Cattois, »Architecture civile et
domestique« IT, 146.
7) Adler »Mittelalterliche Backsleinbauwerke des
preufsischen Staates« II, 90, 129.
8) Verdier et CatloisII, 107. Mit Abbildung.
1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST
Nr. 5.
132
der Spätzeit des Mittelalters die Verordnung
des Rothenburger Spitals charakteristisch: „Es
soll in dem huse, in dem hofe und überall
in dem spital sein ein vollkumen wandelung und
ein clösterlich Zucht."3) Zum Verständnifs der
Spitalbauten ist es wichtig, dafs wir diesen Satz
im Auge behalten.
Am Ausgange des Mittelalters erfreuten sich
die meisten Städte Deutschlands der Wohlthat
einer Spitalstiftung. So kommt es, dafs die
moderne Kunsttopographie an zahlreichen Orten
gothische Spitalkapellen und Spitalkirchen ver-
zeichnet.
Die grofse Verbreitung der Spitäler und die
hohe Bedeutung, welche sie in wirthschaftlicher
und religiöser Beziehung hatten, machen es er-
klärlich, dafs die mittelalterliche Baukunst hier
ein Gebiet fand, auf dem sie mit Rücksicht
auf den besonderen Zweck in eigenartiger Weise
sich bethätigen konnte. Freilich bildete sich
in den Spitalanlagen nicht wie bei den Kloster,
bauten ein Schema aus, das mit mehr oder
minder grofsen Variationen wiederholt worden
wäre. Es lassen sich vielmehr die verschie-
densten Typen beobachten. Gerade in dieser
Verschiedenartigkeit aber gründet der Reiz, den
das Studium mittelalterlicher Spitalbauten ge-
währt.
Bekannt ist, dafs die mittelalterlichen Spi-
täler die Anlage am Eingange der Stadt und
am fliefsenden Wasser sowie die Verbindung
mit einer Kapelle gemein haben.4) Die beiden
ersten Eigenthümlichkeiten beruhen auf hy-
gienischen Gründen. Was die Lage am Ein-
gang der Stadt anbelangt, so variirt dieselbe,
je nachdem das Spital innerhalb oder aufser-
halb des Thores liegt. Aufserhalb des Thores
liegen z. B. das hl. Geistspital in München
(1204 gegründet, erst nachträglich bei Erwei-
terung der Stadt in den Mauerring mit einbe-
zogen), das Katharinenspital in Regensburg,
die Spitäler in Burghausen, Neuötting. Inner-
halb des Thores, unmittelbar an der Stadt-
mauer, liegt z. B. das Spital in Erding, 1444
erbaut. Die Verbindung der Spitäler mit einer
Kapelle oder Kirche ist durch den kirchlichen
Charakter dieser Stiftungen bedingt. Sie ist
schon in den Krankenhäusern der Klöster vor-
gezeichnet und sie erhielt sich auch, als die
3) Uhlhorn a. a. O. II, 232.
4) H. Otte, »Handbuch d. kirchl. Kunstarchäo-
logie« I5, 120.
Spitäler in städtische Verwaltung übergingen. Die
Bulle Innocenz III vom Jahre 1204 setzt aus-
drücklich fest, dafs die Spitalbrüder in allen
ihren Häusern ein Oratorium und ein Cöme-
terium haben dürfen. Wenn in der gleichen
Bulle bestimmt wird, dafs das grofse Spital
Santa Maria in Sassia in Rom mindestens vier
Priester haben solle, so wirkte dieses Statut
bei den gröfseren hl. Geistspitälern wohl auf
die Anzahl der Altäre ein. Im hl. Geistspital
in Tonnerre betrug diese nach der Gründungs-
urkunde von 1293 vier.6) Die Kirchen und
Kapellen waren gewöhnlich dem hl. Geiste ge-
weiht, weil die katholische Lehre die guten
Werke mit diesem in Verbindung bringt und
weil insbesondere die Stiftung von Spitälern im
XIII. Jahrh. vielfach im Zusammenhang mit
dem Orden vom hl. Geist erfolgt. Von an-
deren Patrozinien findet sich häufig der hl. La-
zarus, öfters auch die hl. Katharina. Unter
dem Schutze der letzteren standen namentlich
die Häuser für obdachlose Mädchen und Frauen.6)
Von ihr hat das grofse und alte Spital in Re-
gensburg seinen Namen. Und bei einer Ka-
tharinenkapelle wurde 1204 das Spital in München
gegründet. In den baltischen Ländern sind die
Leprosenhäuser aufserhalb der Stadt sehr häufig
dem hl. Georg, öfters auch der hl. Gertrud
geweiht.7)
Die Art nun, wie die Kapelle mit dem
Wohnräume der Armen und Kranken verbun-
den wurde, war mannigfaltig; in ihr beruht we-
sentlich die grofse Verschiedenheit der Spital,
anlagen. Einige Beispiele mögen dies veran-
schaulichen.
Im Krankenhaus Tortoir bei Laon aus dem
XIV. Jahrh. ist die Kapelle durch den Hof
vom grofsen Saal getrennt.8) Das Hospital in
Angers, welches 1153 gestiftet wurde und noch
seine reichen Baüformen des XII. Jahrh.
bewahrt, zeigt einen rechteckigen Saal von drei-
schiffiger Hallenanlage. An die eine Schmal-
seite des Saales, welche in der Achse den Ein-
gang enthält, stöfst eine quadratische Kapelle,
so zwar, dafs die Kapelle mit der einen Hälfte
5) Viollet-le-Duc, »Dictionnaire de l'architec-
ture« IV, 109.
(i) Verdier et Cattois, »Architecture civile et
domestique« IT, 146.
7) Adler »Mittelalterliche Backsleinbauwerke des
preufsischen Staates« II, 90, 129.
8) Verdier et CatloisII, 107. Mit Abbildung.