181
1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
182
Bildhauer behandeln, dessen Werk durch ein
Aufeinanderthürmen von vier Kronen kaum
gewonnen oder bei einer Anordnung auf dem
Kopfe und um denselben etwas von der Zu-
gehörigkeit der vier gleichen Abzeichen zu der-
selben Gestalt eingebüfst hätte. Die Einzel-
aufzählung der Farben der Augenbinde bestätigt
auch die Abhängigkeit der Angaben des Dichters
von den Eindrücken eines Gemäldes, da er
selbst bei einer bemalten Statue kaum auf
solche für den Gesammteindruck mehr gleich-
gültige Nebensächlichkeiten geachtet hätte, die
ihm gerade auf einem Wandgemälde doppelt
auffallen mufsten, in welchem die Farbenunter-
schiede doch einen anderen Werth erlangten.
Da unter den Prager Oertlichkeiten seit der
Mitte des XIII. Jahrh. kaum eine zweite wieder
soviel Wandgemälde kirchlichen Charakters ent-
hielt als die Veitskirche und der an sie an-
stofsende Kreuzgang, darf man jene oder diesen
als die Stätte betrachten, deren Wandschmuck
auch ein auffallendes Bild der Synagoge, der
Personifikation des Judenthumes, bot.
Die Wechselbeziehung, welche die mittel-
alterliche Kunst gerade bei dieser Gestalt dem
Christenthume und der dasselbe verkörpernden
Kirche gegenüber zu betonen pflegte, berechtigt
vollauf zu dem Schlüsse, dafs auf dem die
Synagoge bietenden Prager Wandbilde gleich-
zeitig eine Personifikation der Kirche sich be-
fand, die Barthel Regenbogen als für seinen be-
sonderen Zweck belanglos nicht weiter erwähnt.
Wichtig ist sein Hinweis, dafs er diese Art der
Synagogendarstellung in Prag „am ersten fant".
Es war ihm also auch anderswo, jedoch in
Böhmens Hauptstadt zuerst begegnet. Diese
Hervorhebung lehrt, dafs die Darstellungsweise
mit den drei Farben der zusammengenähten
Augenbinde und mit den vier Kronen, auf
welche es Barthel Regenbogen nach dem ganzen
Zusammenhange besonders ankam, verbreiteter
war, als das derzeit zur Verfügung stehende
Vergleichsmaterial annehmen läfst, und nicht
etwas ganz Originelles, nirgends Wiederkehren-
des bot; weil sie ihn besonders interessirte,
und schon längere Zeit Gegenstand seines
Suchens gewesen war, mochte er sich wohl
den Ort besonders gemerkt haben, an dem
ihm endlich das Entsprechende offenbar ganz
unerwartet aufstiefs.
Vielleicht darf man es sogar versuchen fest-
zustellen, warum Barthel Regenbogen, der die
von ihm beschriebene Darstellung der Synagoge
an mehreren Orten gesehen hatte, gerade die
einst in Prag befindliche besonders hervorhebt.
Es braucht nicht die Stärke des ersten Ein-
druckes dieser Art gewesen zu sein, welche
im Vergleiche zu späteren, schon weniger
fesselnden Eindrücken diese Form der Mit-
theilung bestimmte. Denn es scheint eine ge-
wisse persönliche Rücksichtnahme gar nicht
ausgeschlossen.
Barthel Regenbogen wendet sich in seinem
„Rat von dem boume und dem bilde" wieder-
holt an Herrn „Frouwenlop". Heinrich Frauenlob
war aber am Hofe Wenzels II. wohlbekannt
und beliebt, wohnte den grofsen Krönungsfest-
lichkeiten im Jahre 1297 in Prag bei und wurde
durch Gunstbeweise des Königs ausgezeichnet,
den er nach dem Tode noch im Liede feierte.
Er hatte gewifs während seines Prager Aufent-
haltes Gelegenheit gehabt, aus eigener Wahr-
nehmung den Prager Dom und den Domkreuz-
gang genau kennen zu lernen und auffallende
Einzelheiten ihrer Ausschmückung näher zu
betrachten. In den an ihn gerichteten Dar-
legungen Barthel Regenbogens mufste die An-
schaulichkeit des Bildes, um dessen Erläuterung
es sich handelte, gerade durch einen Hinweis
auf ein Prager Denkmal, dessen Bekanntschaft
er bei Heinrich Frauenlob als durch seine Be-
ziehungen zu Prag gegeben voraussetzen durfte,
aufserordentlich gewinnen; denn Frauenlob
konnte damit die Schilderung an wirklich
Vorhandenes, von ihm Gesehenes anknüpfen.
Trifft diese Annahme das Richtige, so spräche
es dafür, dafs die Synagogendarstellung in dem
damaligen Prager Denkmälerbestande doch zu
den allgemeiner auffallenden Kunstwerken zählte,
deren Beachtung man bei jedem gebildeteren
Pragbesucher nach den Begriffen jener Tage
als selbstverständlich betrachten konnte. Gerade
aus der näheren Erwägung der persönlichen
Momente ergibt sich zugleich die Gewifsheit,
dafs das von Barthel Regenbogen beschriebene
Synagogenbild in Prag während der zweiten
Hälfte oder gegen das Ende des XIII. Jahrh.
schon vorhanden war.
Die Zuverlässigkeit der Angaben Barthel
Regenbogens unterliegt gar keinem Zweifel.
Die Gestalt mit dem in der Mitte zerbrochenen
Speere, mit den Gesetzestafeln und mit dem
die Augen verbindenden Tuche, die als Syna-
goge von „wisen liuten" bezeichnet wurde,
1899.
ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 6.
182
Bildhauer behandeln, dessen Werk durch ein
Aufeinanderthürmen von vier Kronen kaum
gewonnen oder bei einer Anordnung auf dem
Kopfe und um denselben etwas von der Zu-
gehörigkeit der vier gleichen Abzeichen zu der-
selben Gestalt eingebüfst hätte. Die Einzel-
aufzählung der Farben der Augenbinde bestätigt
auch die Abhängigkeit der Angaben des Dichters
von den Eindrücken eines Gemäldes, da er
selbst bei einer bemalten Statue kaum auf
solche für den Gesammteindruck mehr gleich-
gültige Nebensächlichkeiten geachtet hätte, die
ihm gerade auf einem Wandgemälde doppelt
auffallen mufsten, in welchem die Farbenunter-
schiede doch einen anderen Werth erlangten.
Da unter den Prager Oertlichkeiten seit der
Mitte des XIII. Jahrh. kaum eine zweite wieder
soviel Wandgemälde kirchlichen Charakters ent-
hielt als die Veitskirche und der an sie an-
stofsende Kreuzgang, darf man jene oder diesen
als die Stätte betrachten, deren Wandschmuck
auch ein auffallendes Bild der Synagoge, der
Personifikation des Judenthumes, bot.
Die Wechselbeziehung, welche die mittel-
alterliche Kunst gerade bei dieser Gestalt dem
Christenthume und der dasselbe verkörpernden
Kirche gegenüber zu betonen pflegte, berechtigt
vollauf zu dem Schlüsse, dafs auf dem die
Synagoge bietenden Prager Wandbilde gleich-
zeitig eine Personifikation der Kirche sich be-
fand, die Barthel Regenbogen als für seinen be-
sonderen Zweck belanglos nicht weiter erwähnt.
Wichtig ist sein Hinweis, dafs er diese Art der
Synagogendarstellung in Prag „am ersten fant".
Es war ihm also auch anderswo, jedoch in
Böhmens Hauptstadt zuerst begegnet. Diese
Hervorhebung lehrt, dafs die Darstellungsweise
mit den drei Farben der zusammengenähten
Augenbinde und mit den vier Kronen, auf
welche es Barthel Regenbogen nach dem ganzen
Zusammenhange besonders ankam, verbreiteter
war, als das derzeit zur Verfügung stehende
Vergleichsmaterial annehmen läfst, und nicht
etwas ganz Originelles, nirgends Wiederkehren-
des bot; weil sie ihn besonders interessirte,
und schon längere Zeit Gegenstand seines
Suchens gewesen war, mochte er sich wohl
den Ort besonders gemerkt haben, an dem
ihm endlich das Entsprechende offenbar ganz
unerwartet aufstiefs.
Vielleicht darf man es sogar versuchen fest-
zustellen, warum Barthel Regenbogen, der die
von ihm beschriebene Darstellung der Synagoge
an mehreren Orten gesehen hatte, gerade die
einst in Prag befindliche besonders hervorhebt.
Es braucht nicht die Stärke des ersten Ein-
druckes dieser Art gewesen zu sein, welche
im Vergleiche zu späteren, schon weniger
fesselnden Eindrücken diese Form der Mit-
theilung bestimmte. Denn es scheint eine ge-
wisse persönliche Rücksichtnahme gar nicht
ausgeschlossen.
Barthel Regenbogen wendet sich in seinem
„Rat von dem boume und dem bilde" wieder-
holt an Herrn „Frouwenlop". Heinrich Frauenlob
war aber am Hofe Wenzels II. wohlbekannt
und beliebt, wohnte den grofsen Krönungsfest-
lichkeiten im Jahre 1297 in Prag bei und wurde
durch Gunstbeweise des Königs ausgezeichnet,
den er nach dem Tode noch im Liede feierte.
Er hatte gewifs während seines Prager Aufent-
haltes Gelegenheit gehabt, aus eigener Wahr-
nehmung den Prager Dom und den Domkreuz-
gang genau kennen zu lernen und auffallende
Einzelheiten ihrer Ausschmückung näher zu
betrachten. In den an ihn gerichteten Dar-
legungen Barthel Regenbogens mufste die An-
schaulichkeit des Bildes, um dessen Erläuterung
es sich handelte, gerade durch einen Hinweis
auf ein Prager Denkmal, dessen Bekanntschaft
er bei Heinrich Frauenlob als durch seine Be-
ziehungen zu Prag gegeben voraussetzen durfte,
aufserordentlich gewinnen; denn Frauenlob
konnte damit die Schilderung an wirklich
Vorhandenes, von ihm Gesehenes anknüpfen.
Trifft diese Annahme das Richtige, so spräche
es dafür, dafs die Synagogendarstellung in dem
damaligen Prager Denkmälerbestande doch zu
den allgemeiner auffallenden Kunstwerken zählte,
deren Beachtung man bei jedem gebildeteren
Pragbesucher nach den Begriffen jener Tage
als selbstverständlich betrachten konnte. Gerade
aus der näheren Erwägung der persönlichen
Momente ergibt sich zugleich die Gewifsheit,
dafs das von Barthel Regenbogen beschriebene
Synagogenbild in Prag während der zweiten
Hälfte oder gegen das Ende des XIII. Jahrh.
schon vorhanden war.
Die Zuverlässigkeit der Angaben Barthel
Regenbogens unterliegt gar keinem Zweifel.
Die Gestalt mit dem in der Mitte zerbrochenen
Speere, mit den Gesetzestafeln und mit dem
die Augen verbindenden Tuche, die als Syna-
goge von „wisen liuten" bezeichnet wurde,