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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Beissel, Stephan: Die Kirche U L. Frau zu Trier
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0154

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233

1«99.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 8.

234

Da nun in dem Briete 1243 ausdrücklich
bezeugt ist, man habe „begonnen" diese Marien-
kirche neu zu errichten, kann schwerlich 1227
ihr Gründungsjahr sein. Brower, aus dem man
dies schliefsen wollte, schreibt freilich zum
Jahre 1227: Die Kirche der Gottesgebärerin be-
gann damals allmälig.zu wachsen." Wie beweist
er dies? Er führt die bereits erwähnte Urkunde
des Erzbischofes Theodorich von Trier an, wo-
durch dieser am 14. September 1227 frühere
Stiftungen seines Kaplans Kuno zum Besten eines
Praebendaten der Marienkirche bestätigt.3) In
derselben ist aber weder Rede vom Abbruch der
alten Kirche noch von einem Neubau. Wäre kurz
vor oder um 1227 der Neubau in Angriff genom-
men worden, so würde er das wohl gesagt oder
angedeutet haben. Eine Vollendung um 1250
wäre beim langsamen Baubetrieb des Mittel-
alters selbst dann auffallend, wenn die Funda-
mente vor 1227 gelegt worden wären. Erzählt
doch eine beachtenswerthe Legende über den
Bau der Kirche St. Yved zu Braine, welche
der Trierer Liebfrauenkirche als Vorbild gedient
haben soll, Folgendes:

„Zur Zeit, als die edele Frau Agnes, Gräfin
von Dreux und Braine, das Werk der genannten
Kirche errichten und aufbauen liefs, befanden
sich zwölf Steinmetzen dort, deren Einblick
und Kenntnisse diejenigen aller andern Arbeiter
sowohl im Aushauen der Bildwerke und der
kostbaren Werksteine jener Kirche, als auch in
der Bauführung weit übertrafen. Obgleich man
nun während der Förderung und Weiterführung
des erwähnten Werkes bei allen Arbeiten Tag
um Tag beständig dreizehn Meister fand, so
stellten sich doch am Abende bei Löhnung und
Auszahlung der betreffenden Arbeiter immer
nur jene genannten zwölf Meister ein. Darum
darf man wohl glauben und meinen, dafs dort

Trier ist, gehört, vor übergrofsem Alter eingestürzt
ist," u.s.w. Bock (»Liebfrauenkirche«, S. 12) über-
setzt also unrichtig:

,,Da die gröfsere Kirche der allerseligsten
Jungfrau zu Trier, die das Haupt, die Mutter und
Vorsteherin aller Kirchen der Trierer Erzdiözese ist,
in Folge ihres Alters von selbst zusammengestürzt
ist.',' Der Ablafsbrief des päpstlichen Stuhles ist leider
noch unbekannt.

:)) Die Urkunde Kunos bei Goerz »Regesten« II,
484 n. 1817, im »Miltelrh. Urkundenbuche« III, 252,
vgl. Brower »Antiquitates« II, 126. Im Jahre 1233
wurde ein Urtheil verkündet in claustro majoris ecclesiae
Trevirensis ante ostium beatae Mariae. Goerz »Re-
gesten« II, 549 n. 2082.

ein Wunder geschehen sei, und dafs unser
Herrgott die Anzahl auf dreizehn vermehrte.
Der ganze Bau, wie man ihn heute schauen
kann, wurde gemacht und vollendet in sieben
Jahren und sieben Tagen, wie man in den alten
Chroniken findet, welche die Gründung der
Kirche beschreiben."

Prioux4) findet in dieser Erzählung eine legen-
darische Ausschmückung der Thatsache, dafs
St. Yved rasch seine Mauern aufsteigen sah.
Aber es wurde nicht in „sieben Jahren und
sieben Tagen vollendet". 1187 ward das Ost-
chor mit dem Kreuzschiff fertig gestellt. Bei
der Weihe 1216 war der Bau noch nicht voll-
ständig abgeschlossen. Freilich ist St. Yved
mit einer Länge von 80 und einer Breite von
35 m gröfser als die Trierer Liebfrauenkirche,
die an 55 m lang und 45 m breit ist. An St. Yved
baute man 1180 bis nach 1216. Eine Bauzeit
von 1227 bis 1244 würde also immerhin zu
Trier verhältnifsmäfsig aufserordentlich kurz
sein. Sicher wissen wir nur, dafs man 1243
mit dem Ausbau beschäftigt war. Unsicher ist,
ob man 1227 entweder bereits begonnen oder
den Plan zum Neubau gefafst hatte. Das 1212 bis
1227 errichtete Oktogon von St. Gereon zu
Köln ist weit alterthümlicher als der Trierer
Bau, St. Cunibert in Köln, das noch sehr spröde
gegen gothische Formen sich verhält, ward
erst 1247 eingeweiht durch Konrad von Hostaden,
der jenen Ablafsbrief erliefs und 1248 seinen
Dom zu Köln begann.

Der Grundrifs der Trierer Kirche ist über-
aus reich entwickelt und gehört jedenfalls kaum
mehr in die Zeit der Frühgothik. Wie ist
dieser Grundrifs unter der Hand des
Baumeisters entstanden? Fast in allen
seinen Theilen durch des Zirkels Mafs und
Gerechtigkeit. Ein Blick auf das in Abbildung 1
gegebene Schema beweist dies. Der Architekt
ging aus vom Quadrat, in das er ein Achteck
einzeichnete. In das Achteck legte er ein
Kreuz, für dessen Breite er ein Viertel jeder
Seite des Achteckes bestimmte. Wie er weiter
konstruirte, ergibt sich aus dem Schema, in
dem die dicken Striche die Aufsenmauern, die
dünnem die Gewölberippen, die unterbrochenen
Hülfslinien anzeigen. Sein Bau erhielt 4 grofse
und 8 kleine Säulen, jede seiner 8 Kapellen
endet mit 4 Seiten des Achteckes. Der Altar

4) »Monographie de l'abbaye St. Yved de Braine«
p. 12 s.
 
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