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1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
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Die Zeitdifferenz schien sogar gegen diese An-
nahme zu sprechen.
In neuerer Zeit hat dann Alfred von Wurz-
bach6) die kühne Hypothese aufgestellt, dafs
jene Kölner Gemälde von dem grofsen ober-
deutschen Meister Martin Schongauer (f 2. Febr.
1491) herrühren. Diese übergrofse Ehre trug
dem Anonymus unverdient manche Herab-
setzung und geringschätzigen Seitenblick ein.
Mit dem grofsen Vorläufer Albrecht Dürer's
ist allerdings der Maler des Bartholomäus-
altares absolut nicht zu vergleichen. Ihm fehlt
der frische überquellende Born der Erfindung,
die Ursprünglichkeit und die überzeugende
Kraft der Charakteristik, die Mannigfaltigkeit
der Stimmungen und der innige Contakt mit
dem wirklichen schlichten Leben. Die Kunst
des Kölner Malers ist die des feinfühligen
fleifsigen Epigonen, undenkbar ohne das Vor-
bild grofser Meister, deren Kompositionen seine
Phantasie erst befruchten, in deren naive Em-
pfindungswelt er sein kränkliches Naturell müh-
sam zu transponiren sucht. Der Bartholomäus-
meister war nicht selbst ein Bahnbrecher, son-
dern nur deren Nachahmer. Figuren und
Szenen aus bekannten Gemälden und Stichen
schweben ihm vor Augen, wenn er dieselben
religiösen Gegenständebehandelt; Reminiszenzen
an berühmte Schöpfungen erwachen in ihm,
sobald er eine grössere Anzahl Gestalten zu
bewegten Gruppen vereinigen möchte.
Oberrheinische und niederländische Einflüsse
berühren sich in seinen Bildern, sie bestimmen
gemeinsam seine Formenauffassung, seine Typen,
seine Motive. Dem grofsen Martin Schon-
gauer verdankt er weit mehr als etliche ge-
legentliche Anregungen. Wie dieser ging aber
auch der Kölner bei den scharfgezeichneten
charaktervollen Kompositionen des Roger van
der Weyden in die Schule. Die Einzelformen
und die überladene Gewandbehandlung sind
ursprünglich dem Werk des Elsässers entlehnt
und dies Vorbild bleibt immer noch kenntlich,
wenn auch der süfsliche barocke Geschmack des
Anonymus und seine tüftelnde Hand es ummo-
delt. Einigejder frühesten Gemälde zeigen auch in
der Farbengebung den Anschlufs an Schongauer.
Unter den kölnischen Malern steht ihm der
längst verstorbene Stephan Lochner relativ am
8) Vergl. Dr. Alfred von Warzbach »Martin
Schongauer Eine kritische Untersuchung seines Lebens
und seiner Werke« Wien. Manz 1880.
nächsten. Eine gemeinsame Herkunft vom
Oberrhein könnte manche Anklänge erklären.
Vielleicht hat ihn auch ein Landsmann im
weiteren Sinne in die Sphäre des fascinirenden
niederländischen Realismus eingeführt. Der
Anblick der subtilen Reize vlämischer Tafel-
bilder weckte vornehmlich die eigenthümliche
Begabung des Bartholomäusmeisters. Als ein
eifriger Schüler Roger's resp. dessen Nachfolger
verfeinerte er allmählich seine malerischeTechnik,
versuchte er sich an der naturalistischen Durch-
bildung eines jeden Details, verlieh er seinen
Gemälden jene Zartheit des Tons und der
Stimmung, die vor allem auch seinen lichten
landschaftlichen Fernen zu gute kam.
Diese mannigfachen Phasen einer lang-
jährigen künstlerischen Thätigkeit sollen nun an
Beispielen erläutert werden. Manches Räthsel
wird ungelöst bleiben, da wir bisher nicht
einmal im Stande waren, so nahe an den Meister
des hl. Bartholomäus heranzutreten, um den
Schleier seiner Anonymität zu heben.
Unter der Benennung „Brabanter Schule"
besitzt das Fürstlich Hohenzollern'sche Museum
zu Sigmaringen ein Triptychon Nr. 140,7) das
ich mit Bestimmtheit als ein frühes Jugendwerk
des Bartholomäusmeisters in Anspruch nehme.
(Vergl. Lichtdrucktafel VI.) Ludwig Scheibler
notirte vor diesem Altärchen „zwischen Weyden
und Memling stehend". Neuerdings ist sogar
die Autorschaft des jungen Hans Memling
vermuthet worden. Niederländische Technik
verschmilzt in dem Madonnenbildchen mit
inniger deutscher Empfindung. Diese hold-
selige Jungfrau in der Rosenlaube, die so
schüchtern und demüthig auf das Christkind in
ihren Armen herabblickt, stammt aus dem lieb-
lichen Kreis der Paradiesesbildchen Stephan
Lochner's. Doch die Zeichnung, die Formen
sind hier andere geworden. Eine gewisse
Aengstlichkeit und Unsicherheit verräth zwar
noch den Anfänger. Sogleich fällt das Mifs-
verhältnifs zwischen dem schmächtigen Leib
und dem schweren hohen Schädel störend auf.
Die Bildung der kahlen Stirn, die hohen
7) Fürstl. Hohenzollern'sches Museum zu Sig-
maringen Nr. 140. Holz. h. 0,84 >», br. 1,37 m.
Das Triptychon stammt aus der Kölner Sammlung
Weyer 1862. Auktionskatalog Nr. 2267s. — Die Vor-
lage zu dem beigefügten Lichtdruck verdanken wir
der Munifizenz Sr. Kgl. Hoheit des Fürsten von
Hohenzollern.
1899. — ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 9.
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Die Zeitdifferenz schien sogar gegen diese An-
nahme zu sprechen.
In neuerer Zeit hat dann Alfred von Wurz-
bach6) die kühne Hypothese aufgestellt, dafs
jene Kölner Gemälde von dem grofsen ober-
deutschen Meister Martin Schongauer (f 2. Febr.
1491) herrühren. Diese übergrofse Ehre trug
dem Anonymus unverdient manche Herab-
setzung und geringschätzigen Seitenblick ein.
Mit dem grofsen Vorläufer Albrecht Dürer's
ist allerdings der Maler des Bartholomäus-
altares absolut nicht zu vergleichen. Ihm fehlt
der frische überquellende Born der Erfindung,
die Ursprünglichkeit und die überzeugende
Kraft der Charakteristik, die Mannigfaltigkeit
der Stimmungen und der innige Contakt mit
dem wirklichen schlichten Leben. Die Kunst
des Kölner Malers ist die des feinfühligen
fleifsigen Epigonen, undenkbar ohne das Vor-
bild grofser Meister, deren Kompositionen seine
Phantasie erst befruchten, in deren naive Em-
pfindungswelt er sein kränkliches Naturell müh-
sam zu transponiren sucht. Der Bartholomäus-
meister war nicht selbst ein Bahnbrecher, son-
dern nur deren Nachahmer. Figuren und
Szenen aus bekannten Gemälden und Stichen
schweben ihm vor Augen, wenn er dieselben
religiösen Gegenständebehandelt; Reminiszenzen
an berühmte Schöpfungen erwachen in ihm,
sobald er eine grössere Anzahl Gestalten zu
bewegten Gruppen vereinigen möchte.
Oberrheinische und niederländische Einflüsse
berühren sich in seinen Bildern, sie bestimmen
gemeinsam seine Formenauffassung, seine Typen,
seine Motive. Dem grofsen Martin Schon-
gauer verdankt er weit mehr als etliche ge-
legentliche Anregungen. Wie dieser ging aber
auch der Kölner bei den scharfgezeichneten
charaktervollen Kompositionen des Roger van
der Weyden in die Schule. Die Einzelformen
und die überladene Gewandbehandlung sind
ursprünglich dem Werk des Elsässers entlehnt
und dies Vorbild bleibt immer noch kenntlich,
wenn auch der süfsliche barocke Geschmack des
Anonymus und seine tüftelnde Hand es ummo-
delt. Einigejder frühesten Gemälde zeigen auch in
der Farbengebung den Anschlufs an Schongauer.
Unter den kölnischen Malern steht ihm der
längst verstorbene Stephan Lochner relativ am
8) Vergl. Dr. Alfred von Warzbach »Martin
Schongauer Eine kritische Untersuchung seines Lebens
und seiner Werke« Wien. Manz 1880.
nächsten. Eine gemeinsame Herkunft vom
Oberrhein könnte manche Anklänge erklären.
Vielleicht hat ihn auch ein Landsmann im
weiteren Sinne in die Sphäre des fascinirenden
niederländischen Realismus eingeführt. Der
Anblick der subtilen Reize vlämischer Tafel-
bilder weckte vornehmlich die eigenthümliche
Begabung des Bartholomäusmeisters. Als ein
eifriger Schüler Roger's resp. dessen Nachfolger
verfeinerte er allmählich seine malerischeTechnik,
versuchte er sich an der naturalistischen Durch-
bildung eines jeden Details, verlieh er seinen
Gemälden jene Zartheit des Tons und der
Stimmung, die vor allem auch seinen lichten
landschaftlichen Fernen zu gute kam.
Diese mannigfachen Phasen einer lang-
jährigen künstlerischen Thätigkeit sollen nun an
Beispielen erläutert werden. Manches Räthsel
wird ungelöst bleiben, da wir bisher nicht
einmal im Stande waren, so nahe an den Meister
des hl. Bartholomäus heranzutreten, um den
Schleier seiner Anonymität zu heben.
Unter der Benennung „Brabanter Schule"
besitzt das Fürstlich Hohenzollern'sche Museum
zu Sigmaringen ein Triptychon Nr. 140,7) das
ich mit Bestimmtheit als ein frühes Jugendwerk
des Bartholomäusmeisters in Anspruch nehme.
(Vergl. Lichtdrucktafel VI.) Ludwig Scheibler
notirte vor diesem Altärchen „zwischen Weyden
und Memling stehend". Neuerdings ist sogar
die Autorschaft des jungen Hans Memling
vermuthet worden. Niederländische Technik
verschmilzt in dem Madonnenbildchen mit
inniger deutscher Empfindung. Diese hold-
selige Jungfrau in der Rosenlaube, die so
schüchtern und demüthig auf das Christkind in
ihren Armen herabblickt, stammt aus dem lieb-
lichen Kreis der Paradiesesbildchen Stephan
Lochner's. Doch die Zeichnung, die Formen
sind hier andere geworden. Eine gewisse
Aengstlichkeit und Unsicherheit verräth zwar
noch den Anfänger. Sogleich fällt das Mifs-
verhältnifs zwischen dem schmächtigen Leib
und dem schweren hohen Schädel störend auf.
Die Bildung der kahlen Stirn, die hohen
7) Fürstl. Hohenzollern'sches Museum zu Sig-
maringen Nr. 140. Holz. h. 0,84 >», br. 1,37 m.
Das Triptychon stammt aus der Kölner Sammlung
Weyer 1862. Auktionskatalog Nr. 2267s. — Die Vor-
lage zu dem beigefügten Lichtdruck verdanken wir
der Munifizenz Sr. Kgl. Hoheit des Fürsten von
Hohenzollern.