Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

DOI article:
Graeven, Hans: Ein Elfenbeindiptychon aus der byzantinischen Kunst
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0132

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
197

1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 7.

198



schieden gestaltet. Bei manchen Exemplaren
fehlen die Rosetten an den drei oberen Kreuz-
armen, dagegen ruht hier die untere Rosette
auf einigen Stufen. Die Stufen sind wieder
eine späte unorganische Zuthat, denn das Vor-
bild für unsere Kreuze waren metallene Enkol-
pien, nicht aber Standkreuze.7) Es liefse sich
eine interessante Untersuchung über diesen
Gegenstand führen, wozu mir aber noch das
Material fehlt. Um dies zu beschaffen, müfste
man Gelegenheit haben, die zahlreichen Dip-
tychonplatten und Triptychonflügel, die in Buch-
deckel eingelassen sind, herauszunehmen und
die Rückseiten zu studiren. Wir würden dabei
manches Resultat gewinnen für die Entwicke-
lungsgeschichte der byzantinischen Skulptur und
manche verborgenen Zusammenhänge entdecken;
auch in unserem Falle gibt die Form des Kreuzes
eine sichere Gewähr für die Zusammengehörig-
keit der Dresdener Platte mit derjenigen, die
auf Tafel IV 3 daneben gestellt ist.

Das Relief mit der Kreuzigung und der
Kreuzabnahme befindet sich im Provinzialmu-
seum zu Hannover, eingelassen in den Deckel
eines Reliquiars, das ehemals dem Michaels-
kloster in Lüneburg gehört hatte und mit den
übrigen Resten des dortigen Kirchenschatzes
in's Weifenmuseum gelangt war. Die Platte hat
genau dieselbe Gröfse wie die Dresdener
(22,6 x 12,2 cm) und während diese zwei Char-
nireinschnitte an der linken Seite hat, weist
jene zwei gleichartige Einschnitte an korrespon-
direnden Stellen der rechten Seite auf. Auch
die hannoversche Tafel ist in zwei Felder ge-
theilt und die Trennungsleiste zeigt dasselbe
Ornament wie auf der Dresdener Tafel. Die
Darstellungen, Kreuzigung und Kreuzabnahme,
bilden eine passende Ergänzung zur Höllenfahrt
und Gartenszene. Der Stil der Reliefs ist
beiderwärts der gleiche.

Diese Beobachtungen führten mich, sobald
ich im Vorjahre die Dresdener Platte kennen
gelernt hatte, zu der Vermuthung, dafs die

sind mir bisher folgende Beispiele bekannt geworden:
ein unedirtes Triptychon und ein ebenfalls unedirter
Triptychonflttgel in Berlin, zwei Triptychonflügel der
Sammlung Stroganoff (Graeven a. a. O. Nr. 72, 73),
ein Triplychon im Free Public Museum zu Liverpool
(Graeven »Elfenbeinwerke. Aus Sammlungen in Eng-
land« Nr. 11, 12).

7) Es ist wahrscheinlich, dafs die Stufen einge-
führt worden sind in Anlehnung an die Kreuze der
Anm. 4 erwähnten Münzbilder.

beiden Platten ursprünglich ein Diptychon ge-
bildet hätten, und ich beschlofs bei der hanno-
verschen Museumsverwaltung zu beantragen, dafs
sie ihr Relief einmal aus seiner Umrahmung
herauslösen liefse. Als ich heuer in meine
Vaterstadt zurückkehrte, stellte sich heraus,
dafs die gewünschte Operation überflüssig war,
da man sie vor Jahren bereits ausgeführt hatte
und bei dieser Gelegenheit einen Abgufs der
Rückseite des Reliefs angefertigt hatte. Er zeigt
dasselbe Kreuz, dieselbe Inschrift wie die Dres-
dener Platte.

Die verschiedenen Schicksale der Platten
haben einen Unterschied in ihrer Färbung be-
wirkt: die Dresdener ist bräunlich, die hanno-
versche schneeweifs. Der Erhaltungszustand
der letzteren ist fast ebenso gut wie bei der
Dresdener Tafel, nur in dem unteren Relief
sind die Mittelstücke der Zange abgebrochen,
die zum Ausziehen der Nägel dient. Der
damit beschäftigte bärtige Mann ist Nikodemos.
Die evangelischen Berichte lassen diesen Jünger
Christi zwar erst nach der Grablegung auftreten
und schreiben die Kreuzabnahme und Bestat-
tung dem Joseph von Arimathia allein zu, aber
die Legende schildert, wie die beiden gemein-
sam den Leichnam vom Kreuz nehmen. Nach-
dem die Nägel aus den Händen entfernt sind,
umfafst Joseph den zusammenbrechenden Körper,
während Nikodemos sich daran macht, die
Füfse zu befreien von den Nägeln. Diese Be-
tonung des Entnagelns in der Legende hat
der byzantinischen Kunst Anlafs gegeben, diese
ganze Szene als änoxadri'kuHsis zu bezeichnen,
wie es z. B. auf unserem Relief geschehen ist.
Die Gruppe rechts von dem Kreuze ist ein
kleines Meisterwerk. Welche Wahrheit und zu-
gleich welche Dezenz in der Darstellung des
Leichnams! Die Unterschenkel ragen starr am
Kreuzesschaft auf, im Kniegelenk ist der Körper
umgeknickt, aber Joseph hat ihn mit starken
Armen umschlungen und stützt ihn mit dem
hochgesetzten linken Knie. Die Arme, die mit
gespreizten Fingern schlaff herabhängen würden
von dem todten Körper, hat die Mutter er-
griffen und sie an den Körper gedrückt, auch
dieser Zug des Bildwerks ist in Uebereinstim-
mung mit der Legende. Durch die Art und
Weise, wie Maria den Sohn gefafst hat, wird
zugleich erreicht, dafs sein Haupt an ihrer
Brust ruht, dafs ihre thränenfeuchte Wange die
Locken des Geschiedenen berührt. Das Haupt
 
Annotationen