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Zeitschrift für christliche Kunst — 12.1899

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Graeven, Hans: Ein altchristlicher Silberkasten
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https://doi.org/10.11588/diglit.3944#0016

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1899.

ZEITSCHRIFT FÜR CHRISTLICHE KUNST — Nr. 1.

Gerade der Umstand, dafs der Silberkasten,
abgesehen von dem Enkolpion nur Stoffreste
enthielt,12) macht es zur Gewifsheit, dafs wir
hier eben dasjenige vor uns haben, was Am-
brosius der Ueberlieferung nach als Reli-
quien aus Rom erhalten hat. Carlo Borromeo
hat demnach mit Recht die oben erwähnte
Inschrift „Reliquiae SS. Apostolorum" im
Kasten anbringen lassen. Zweifelhaft mufs es
bleiben, ob der Kasten als die Pyxis aufzu-
fassen ist, iii der die Brandea von Rom ge-
kommen waren, oder ob diese erst in Mailand
in unseren Kasten gelegt wurden.

Dafs der Silberkasten mindestens gleich-
altrig ist mit der Kirche San Nazaro, lehren
Stil und Typen seiner Bildwerke, die auf das
IV. Jahrhundert weisen und sich dem Besten,
was uns von Schöpfungen altchristlicher Kunst
erhalten ist, würdig an die Seite stellen. Zum
Schmuck der Seitenwände sind drei alttesta-
mentliche Szenen gewählt, denen sich die
Magieranbetung anreiht, erst der Deckel zeigt
den erwachsenen Christus.

Der Erlöser sitzt mit der Linken ein Buch
auf's Knie stützend, die Rechte im Redegestus
erhebend als Lehrer unter den ihn umstehen-
den Jüngern. Er ist unbärtig, jugendlich, aber
er hat nicht den anmuthigen Typus mit lang-
lockigem Haar, den ihm die Sarkophage
gröfstentheils geben, sein Kopf unterscheidet
sich nicht von den meisten der übrigen un-
bärtigen Personen, bei allen erinnern die glatt-
strähnigen Haare, die breiten Gesichtsformen
an die Porträts aus der Zeit Constantins und
seiner Nachfolger. Sowohl der Herr als auch
die Apostel sind in Tunica und Pallium ge-
kleidet, die sich frühzeitig als Tracht der hei-
ligen Personen festgesetzt haben. An der Tunica
sind die üblichen Clavi, zwei von den Schul-
tern abwärts laufende Streifen, durch punktirte
Linien eingezeichnet, besonders deutlich an
dem bärtigen Apostel links. An seinem Gegen-
über lassen sich die Sandalenbänder beobachten,
während es unsicher ist, ob sie an den Füfsen
der übrigen wegen der beschädigten Ober-
fläche des Reliefs nicht mehr erkennbar sind,
oder ob sie vom Künstler nicht angegeben
sind, der die unwesentlichen Dinge vielfach

12) Nach Pozzis' Angabe fanden sich - auch zu-
sammengeballte Haare; gewils wurden von ihm Fasern
der jetzt so viel mehr zersetzten Stoffe fälschlich als
Haare angesehen.

ignorirt hat. Daraus erklärt es sich auch, dafs
die Zahl der Jünger nur elf beträgt; falsch
wäre es deshalb an die Erscheinung des Auf-
erstandenen -unter den Elfen zu denken. Der
Künstler wollte, wie es in vielen anderen alt-
christlichen Werken geschieht, die Lehrthätig-
keit des Herrn im allgemeinen vor Augen
führen, zugleich aber hat er seine Wunder-
thätigkeit angedeutet im unteren The.il des
Reliefs, da bei der gröfseren Höhe des Deckels
die Figuren nicht wie an den Seiten den ganzen
Raum ausfüllten. Wegen der Beziehung zur
Eucharistie war es beliebt die Wunder der Brod-
vermehrung und der Verwandlung des Wassers
in Wein zu vereinigen, einer derartigen Dar-
stellung hat der Silberarbeiter die Brodkörbe
und die Krüge entnommen.

Die Apostel sind untereinander wenig diffe-
renzirt, die Unbärtigkeit der Mehrzahl ent-
spricht der durchgehenden Vorliebe für jugend-
liche Gestalten. Eine Benennung der einzelnen
Jünger ist unmöglich; nach Analogie ähnlicher
Darstellungen könnte man versucht sein, in
den Figuren des Vordergrundes Petrus und
"Paulus zu sehen, aber mit den früh ausgebil-
deten Porträts der Apostelfürsten haben die
beiden nichts gemein. Ein Apostelkopf wie
der des links stehenden, hat unter den bisher
bekannten altchristlichen Werken überhaupt
nicht seinesgleichen, der flotte langgewellte
Bart gemahnte einen trefflichen Kunstkenner,
dem ich die Photographie vorlegte, sofort an
den Barocco, doch die antiken profanen Silber-
werke bieten ebenfalls Parallelen für solche
Bartbehandlung,18) und sie war dem christ-
lichen Künstler daher geläufig. .

Zwischen den Brodkörben und Krügen sind
zwei Bügel aufgenietet, die auf die Vorder-
seite des Kastens überfallen und mit ihren
Oesen in ein Schlofs eingriffen. Da die Löthung
der Zeit nicht widerstanden hat, fand sich das
Schlofs auf dem Boden der Graniturne. Eben-
so wie dieses haben sich auch die Hespen ge-
löst, die dereinst den Deckel an der Rück-
seite befestigten und ihre Ansatzspuren hinter-
lassen haben. Der äufsere Zwang, für das
Schlofs einen Platz auszusparen, hat seinen
Einflufs geübt auf die Vertheilung der Bild-
werke. Wir würden die einzige neutestament-

13i Vergl. z.B. den Kentauren des Pariser Bechers
bei Babelon »Cabinet des Antiques ä la Bibliotheque
Nationale« Taf. 14,
 
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