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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 18.1907

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Wustmann, Gustav: Zu der zeitgenössischen Notiz über Dürer
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https://doi.org/10.11588/diglit.5912#0210

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Querstraße 13

Neue Folge. XVIII. Jahrgang 1906/1907 Nr. 25. 10. Mai.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »KunstgewerbeblatU monatlich dreimal, in c"en Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfaßt 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst« erhalten die Kunstchronik kostenfrei. — Für Zeichnungen, Manuskripte usw., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und
Verlagshandlung keine Gewähr. Alle Briefschaften und Sendungen sind zu richten an E. A. Seemann, Leipzig, Querstraße 13. Anzeigen 30 Pf. für
die dreispaltige Petitzeile, nehmen außer der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasenstein & Vogler, Rud. Mosse usw. an.

ZU DER ZEITGENÖSSISCHEN NOTIZ ÜBER
DÜRER

Der Verfasser des Aufsatzes »Eine zeitgenössische
Notiz über Dürer« in Nr. 24 der Kunstchronik trägt
in die Worte des Nürnberger Humanisten Venatorius,
wie mir scheint, eine Schwierigkeit hinein, die gar
nicht darin liegt, und mißversteht infolgedessen ihren
einfachen Sinn. Die Leipziger Stadtbibliothek besitzt
die Basler Ausgabe von Leon Battista Albertis Buch
De pictura von 1540 auch. Leider fehlt in unserm
Exemplar die »Vor- bezw. Nachrede« von Venatorius.
Ich muß mich daher an den Text halten, wie er in
der Kunstchronik mitgeteilt ist, obwohl er mir etwas
verdächtig erscheint1).

Die Stelle lautet — es hilft nichts, ich muß sie
noch einmal ganz hersetzen —: In memoriam venit
mihi Albertus Durerus civis meus, pictorum seculi sui
facile princeps, qui rcpÖTurax aut sxtutoc, ut Oraeci
vocant, formans aliis doctissimis quibusque satis-
faciebat Semper: at quod conatus fuisset, tarnen pro
concepti prius a sese in mente ccp^sTUJtou magnificentia
satis fecisse sibi nunquam. Nos, quod hic scribimus,
ita loquentem cum multis aliis et bonis et doctis viris
audivimus. Vidimus illum ipsum Durerum sculptori-
bus praescribere lineamenta quaedam, quae ipse deinde
penicillo adjutus difficulter assequebatur. Non raro
enim quae animo concipimus, majora sunt, quam ut
ea manus mortalis in oculos humanos pro dignitate
transfundere possit.

Die Wörter TcpoTUJcov und sxtutcv waren dem
Nürnberger Humanisten unzweifelhaft aus der be-
kannten Stelle bei Plinius geläufig (XXXV, 43), wo
erzählt wird, wie der sikyonische Töpfer Butades den
Schattenriß des Geliebten seiner Tochter mit Ton
ausgefüllt und so das erste Reliefbildnis geschaffen
habe. Was sich Plinius an dieser Stelle unter jipoTüirov

1) Schon der Titel des Buches scheint in dem
Züricher Exemplar einen starken Druckfehler zu haben.
In dem Leipziger Exemplar lautet er richtig: De Pictura
praestantissima et nunquam satis laudata arte libri tres
absolutissimi Leonis Baptistae de Albertis viri in omni
scientiarum genere et praecipue mathematicarum discipli-
narum doctissimi. Jam primum in lucem editi. Basileae
Anno M. D. XL. Mense Augusto. Oder sollten in dem-
selben Monat bei demselben Drucker zwei verschiedne
Ausgaben erschienen sein?

und sxtutov gedacht hat, kann niemand sagen. Die
Archäologen haben meist Flachrelief und Hochrelief
darunter verstanden. Hier kommt es nur darauf an,
was sich der Humanist darunter gedacht hat, und
dieser hat sich, wie das aut zeigt, das er in dem Sinne
von seu gebraucht, nicht zweierlei darunter gedacht,
sondern beide Wörter sind ihm Synonyma, die er
gemeinschaftlich dem dritten Worte ap^sirraov gegen-
überstellt. 'Ap)(st7uotv war den Humanisten ein ganz
geläufiges Wort, es entspricht in jeder Beziehung
unserm »Urbild« oder »Original«, im künstlerischen
Sinne im Gegensatz zur Nachbildung, im diploma-
tischen Sinne im Gegensatz zur Abschrift usw. Über
den Sinn der ersten Hälfte der Stelle kann also kein
Zweifel sein.

Nun aber die zweite Hälfte. In dieser will der
Verfasser eine Anspielung sehen auf eine bestimmte
künstlerische Tätigkeit Dürers, und um dahinterzu-
kommen, was für eine Tätigkeit wohl gemeint sei,
erörtert er ausführlich die Frage, was hier unter
sculptor und penicillus zu verstehen sei. Nun würde,
wenn die Erklärung des Verfassers richtig wäre, der
Satz Vidimus — assequebatur vollständig aus dem
Zusammenhange herausfallen, und schon deshalb ist
seine Erklärung sehr unwahrscheinlich. Sie enthält
aber auch, ganz abgesehen von sculptor und peni-
cillus, ein starkes sprachliches Mißverständnis. Die
Worte difficulter assequebatur, die der Verfasser über-
setzt: »höchst genau überging« (!), können im klas-
sischen wie im Humanistenlatein, innerhalb wie außer-
halb des Zusammenhanges, nie etwas andres be-
deuten als: »mit Mühe erreichte«. Ich glaube, jeder
Sekundaner eines Leipziger Gymnasiums würde, wenn
man ihn fragte: Was heißt auf deutsch: Difficulter te
assecutus sum? ohne Besinnen antworten: Mit Mühe
und Not habe ich dich eingeholt. Der Satz enthält
also nur einen Beleg zu der Äußerung Dürers, über
die in dem vorhergehenden Satze berichtet ist, und
hängt aufs engste mit dem vorhergehenden Satze zu-
sammen. Der Sinn ist, daß der Künstler bisweilen
mit den wenigen Strichen eines ersten Entwurfs seine
Idee großartiger verkörpert habe als mit einem aus-
geführten Gemälde, und die ganze Stelle ist zu über-
setzen wie folgt: »Da muß ich an meinen Lands-
mann Albrecht Dürer denken, wohl den größten
Maler seiner Zeit, der, wenn er xpoxuxx oder Ixxuxa,
wie es die Griechen nennen [Bilder], schuf, zwar jeder-
 
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