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VERONESESTUDIEN
VERONESESTUDIEN
Von Dr. BERNHARD PATZAK (Graz)
I.
PAOLO VERONESES FRESKEN IN DER
VILLA »DA MULA« IN ROMANZIOL
Lange Zeit bezogen sich die kunstgeschicht-
lichen Urteile über Paolo Veroneses
im höchsten Sinne dekorative Malerei ledig-
lich auf des Meisters Schöpfungen im Be-
reiche der Öltechnik. Kunstschriftstellern wie
H. Reinhardt,1) Ch. Yriarte2 3 4 5) und besonders
A. Woltmann,3) W. Lübke4) und H. Jani-
tschek5) gebührt das Verdienst, die Anteil-
nahme der Forschung auch auf Veroneses
Tätigkeit als Freskomaler, auf sein Spezial-
gebiet, gelenkt zu haben, auf dem der Schlüssel
zum Verständnis paolesker Eigenart überhaupt
zu finden ist. Denn seine kecke Pinselführung,
bei der jeder Strich sozusagen »sitzt«, die
freie, aber gesetzmäßige Großzügigkeit seiner
D Zeitschrift für bild. Kunst, Leipzig 1866, Bd. I,
Seite 61: Die Villa Maser bei Treviso. Ein Asyl Paolos
Veronese.
2) La vie d’un Patricien de Venise au seizieme siede,
Paris 1874, Chap. VII, La villa Barbaro.
3) Deutsche Rundschau, I. Jahrg., 12. Heft.
4) Kunsthistorische Studien, Stuttgart 1869, S. 345 ff.
5) Zeitschrift für bild. Kunst, Leipzig 1877, Bd. XII,
Seite 358; und vgl. Dohmes Kunst und Künstler, Bd. III.
BARCELONA SAMMLUNG GÜELL Y BACIGALUPI
Römische Bronze (vgl. S. 6J
Kompositionen, seine leichtflüssige, dem küh-
len Silberton des Tageslichtes genäherte Far-
benvertreibung — alles Vorzüge, die wir auf
seinen Ölgemälden, wie z. B. auf dem be-
rühmten Gastmahl des Levi, bewundern —
entspringen seiner schon von Verona her ge-
wohnten Meisterschaft im Freskomalen.
Jene genannten Kunsthistoriker haben die
Bilderschätze der Villa Barbaro (jetzt Giaco-
melli) in Maser (Provinz Treviso), ferner die
Reste der Soranzafresken (bei Castelfranco
veneto) und die noch leidlich erhaltenen der
Palladiovilla Emo zu Fanzolor) (bei Castel-
franco) in Deutschland bekannt gemacht. Sie
folgten bei ihren Studien mehr oder weniger
den Hinweisen des um die Geschichte der
venezianischen Malerei verdienten Carlo Ri-
dolfi.2) Ein anderer Lokalschriftsteller der
»Terra ferma«, Lorenzo Crico, 3) ergänzte
Ridolhs Angaben um ein Beträchtliches. Da
er jedoch für seine heimatliche Kunst bis zur
Überschwenglichkeit begeistert ist, so werden
allerdings in manchen Fällen seine Mittei-
lungen über Villenmalereien in den vene-
zianischen Provinzen mit Vorsicht aufzu-
nehmen sein, und man wird vermittels der
stilkritischen Vergleichung eingehend prüfen
müssen, ob es sich wirklich um echte pao-
leske Schöpfungen oder um Werke von unter-
geordneter Schülerhand handelt. Aus einer
solchen Untersuchung aber würde sich, das
kann ich schon heute auf Grund eigener an
Ort und Stelle gewonnener Anschauung be-
haupten, zur Genüge nachweisen lassen, daß
diese in venezianischen Landhäusern zer-
streuten Proben von Paolos Freskokunst durch-
aus nicht so unwichtig sind, wie sie z. B. F. H.
Meißner4) hinzustellen beliebt. Ihm sind sie
offenbar nicht durch Autopsie bekannt ge-
worden.
Dem gelehrten und kunstliebenden Kano-
nikus Crico 5) verdanke ich die Bekanntschaft
mit Villenfresken, die, wie ich darzulegen
hoffe, zum größten Teil wichtige Beiträge
zum Schaffensbilde des Freskomalers Paolo
Veronese sind. Jene Farbengedichte zieren
x) Eine neue Studie über Fanzolo, die wenig zu
Janitscheks Ergebnissen hinzufügt, aber reich illustriert
ist, findet sich im: Emporium, Rivista mensile illustrata
d’arte, letteratura, scienze e rarietä, Bergamo, Januar
1900, Vol. XI, Nr. 61, Seite 25—43: »La villa di un
Patrizio veneto von Pompeo Molmenti.
2) C. Ridolfi, Le meraviglie dell’ Arte ovvero le
vite dei illustri pittori Veneti. Ediz. II. a arrich. d’anno-
tazioni, 2 vol., Padova 1835-37, Bd. I, Seite 287 fr.
3) Lettere stille bi Ile arti Trivigiane del Canonico
Crico, Treviso MDCCCXXXI1I.
4) Künstler-Monographien, herausg. von H. Knack-
fuß, Bd. XXVI, Seite 84, Bielefeld und Leipzig 1897.
5) op. eit-, Seite 107.
VERONESESTUDIEN
VERONESESTUDIEN
Von Dr. BERNHARD PATZAK (Graz)
I.
PAOLO VERONESES FRESKEN IN DER
VILLA »DA MULA« IN ROMANZIOL
Lange Zeit bezogen sich die kunstgeschicht-
lichen Urteile über Paolo Veroneses
im höchsten Sinne dekorative Malerei ledig-
lich auf des Meisters Schöpfungen im Be-
reiche der Öltechnik. Kunstschriftstellern wie
H. Reinhardt,1) Ch. Yriarte2 3 4 5) und besonders
A. Woltmann,3) W. Lübke4) und H. Jani-
tschek5) gebührt das Verdienst, die Anteil-
nahme der Forschung auch auf Veroneses
Tätigkeit als Freskomaler, auf sein Spezial-
gebiet, gelenkt zu haben, auf dem der Schlüssel
zum Verständnis paolesker Eigenart überhaupt
zu finden ist. Denn seine kecke Pinselführung,
bei der jeder Strich sozusagen »sitzt«, die
freie, aber gesetzmäßige Großzügigkeit seiner
D Zeitschrift für bild. Kunst, Leipzig 1866, Bd. I,
Seite 61: Die Villa Maser bei Treviso. Ein Asyl Paolos
Veronese.
2) La vie d’un Patricien de Venise au seizieme siede,
Paris 1874, Chap. VII, La villa Barbaro.
3) Deutsche Rundschau, I. Jahrg., 12. Heft.
4) Kunsthistorische Studien, Stuttgart 1869, S. 345 ff.
5) Zeitschrift für bild. Kunst, Leipzig 1877, Bd. XII,
Seite 358; und vgl. Dohmes Kunst und Künstler, Bd. III.
BARCELONA SAMMLUNG GÜELL Y BACIGALUPI
Römische Bronze (vgl. S. 6J
Kompositionen, seine leichtflüssige, dem küh-
len Silberton des Tageslichtes genäherte Far-
benvertreibung — alles Vorzüge, die wir auf
seinen Ölgemälden, wie z. B. auf dem be-
rühmten Gastmahl des Levi, bewundern —
entspringen seiner schon von Verona her ge-
wohnten Meisterschaft im Freskomalen.
Jene genannten Kunsthistoriker haben die
Bilderschätze der Villa Barbaro (jetzt Giaco-
melli) in Maser (Provinz Treviso), ferner die
Reste der Soranzafresken (bei Castelfranco
veneto) und die noch leidlich erhaltenen der
Palladiovilla Emo zu Fanzolor) (bei Castel-
franco) in Deutschland bekannt gemacht. Sie
folgten bei ihren Studien mehr oder weniger
den Hinweisen des um die Geschichte der
venezianischen Malerei verdienten Carlo Ri-
dolfi.2) Ein anderer Lokalschriftsteller der
»Terra ferma«, Lorenzo Crico, 3) ergänzte
Ridolhs Angaben um ein Beträchtliches. Da
er jedoch für seine heimatliche Kunst bis zur
Überschwenglichkeit begeistert ist, so werden
allerdings in manchen Fällen seine Mittei-
lungen über Villenmalereien in den vene-
zianischen Provinzen mit Vorsicht aufzu-
nehmen sein, und man wird vermittels der
stilkritischen Vergleichung eingehend prüfen
müssen, ob es sich wirklich um echte pao-
leske Schöpfungen oder um Werke von unter-
geordneter Schülerhand handelt. Aus einer
solchen Untersuchung aber würde sich, das
kann ich schon heute auf Grund eigener an
Ort und Stelle gewonnener Anschauung be-
haupten, zur Genüge nachweisen lassen, daß
diese in venezianischen Landhäusern zer-
streuten Proben von Paolos Freskokunst durch-
aus nicht so unwichtig sind, wie sie z. B. F. H.
Meißner4) hinzustellen beliebt. Ihm sind sie
offenbar nicht durch Autopsie bekannt ge-
worden.
Dem gelehrten und kunstliebenden Kano-
nikus Crico 5) verdanke ich die Bekanntschaft
mit Villenfresken, die, wie ich darzulegen
hoffe, zum größten Teil wichtige Beiträge
zum Schaffensbilde des Freskomalers Paolo
Veronese sind. Jene Farbengedichte zieren
x) Eine neue Studie über Fanzolo, die wenig zu
Janitscheks Ergebnissen hinzufügt, aber reich illustriert
ist, findet sich im: Emporium, Rivista mensile illustrata
d’arte, letteratura, scienze e rarietä, Bergamo, Januar
1900, Vol. XI, Nr. 61, Seite 25—43: »La villa di un
Patrizio veneto von Pompeo Molmenti.
2) C. Ridolfi, Le meraviglie dell’ Arte ovvero le
vite dei illustri pittori Veneti. Ediz. II. a arrich. d’anno-
tazioni, 2 vol., Padova 1835-37, Bd. I, Seite 287 fr.
3) Lettere stille bi Ile arti Trivigiane del Canonico
Crico, Treviso MDCCCXXXI1I.
4) Künstler-Monographien, herausg. von H. Knack-
fuß, Bd. XXVI, Seite 84, Bielefeld und Leipzig 1897.
5) op. eit-, Seite 107.