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ZU UNSEREN BILDERN
MATTHÄUS SCHIESTL St. CHRISTOPHORUS
IX. Internationale Kunstausstellung in München iqoj
ZU UNSEREN BILDERN
Im vorigen Hefte, brachten wir. auf S. 48 eine Ab-
bildung nach einer prächtigen Porträtbüste des aus-
gezeichneten belgischen Bildhauers Jules Lagae, dessen
Werken neben würdiger künstlerischer Auffassung eine
außerordentliche Natürlichkeit eignet, wofür unsere treff-
liche Porträtbüste, die vom bayerischen Staat angekauft
wurde, einen deutlichen Beleg bildet. An der Abbildung
nun bemerkt man verschiedene Linien, welche vielleicht
den einen oder anderen Betrachter stören möchten, so
senkrecht mitten durch Stirn und Nase, dann oben über
der Stirne an den Haaren, quer über Nasenspitze und
Wangen, endlich an Bart und Ohren. Das sind keine
Fehler der Reproduktion, sondern die sogenannten
»Nähte«, welche sich bei der Herstellung des Gipsab-
gusses nach dem Tonoriginal ergaben und stehen ge-
lassen wurden. Der Werdegang der plastischen Kunst-
werke ist nämlich fast ausnahmslos folgender. Sind die
nötigen und öfters langwierigen Vorarbeiten (kleine Skizzen
in Ton, Plastilin oder Wachs, Hilfsmodelle und ähnliches,
je nach der individuellen Arbeitsgewohnheit eines Künst-
lers) geschehen, so beginnt die Ausführung des Original-
modells in einer eigenen Sorte Ton. Auf einem Eisen-
gerüst von entsprechender Größe, Form und Stärke wird
der butterig weiche Modellierten, den man während der
ganzen Arbeitsdauer weich erhalten muß, in entsprechen-
den Massen angetragen. Aus diesem Ton formt nun der
Künstler mit seinen Fingern unter mäßiger Zuhilfenahme
von sogenannten Modellierhölzern sein Werk und er
haucht ihm eine Seele ein. Nach Vollendung des Ton-
modells, welches das eigentlichste Künstlerschaffen dar-
stellt, wird der Künstler vom Handwerker, dem Gips-
formator, abgelöst, welcher das nasse Modell (der Ton
würde sonst reißen) abgießt. Zu diesem Behufe wird
das Tonmodell vollständig (Reliefs selbstverständlich nur
auf der Bildseite) in eine dicke und starke Gipsschicht
eingehüllt: es handelt sich darum, eine »Hohlform« zu
bekommen. Bei flacheren Reliefs kann die Gipsschicht
gewöhnlich in einem einzigen Stück weggenommen
werden, sobald sie genügend erhärtet und der von ihr
umfaßte Ton durch Trocknen zusammengeschrumpft ist.
Nicht so einfach geht es bei Rundfiguren, wie z. B. bei
unserer Büste S. 48; in diesen Fällen muß bei An-
bringung des Gipsmantels gesorgt werden, daß derselbe
sich beim Wegnehmen auf eine rationelle Weise in
eine größerer Anzahl Teilstücke zerlegen läßt. Der Gips-
formator bewerkstelligt dies dadurch, daß er durch Ein-
stecken von eng aneinander gereihten Stückchen Blech
in das Modell an den gewünschten Stellen gewisser-
maßen Nähte in der über das Modell zu legenden Gips-
schicht anbringt, um an diesen Nähten die Schicht zum
Zweck des Abnehmens in entsprechende Teile zerlegen
zu können. Ist das Abnehmen des Gipsmantels voll-
zogen, so ist zwar das inzwischen eingeschrumpfte Ton-
modell zerstört, aber dafür hat man aus den wieder zu-
sammengefügten Teilen des Übergusses eine genau dem
ursprünglichen Tonmodell entsprechende Hohlform er-
halten. Dieselbe wird nun mit einer starken Gipsschicht
belegt; ist diese erhärtet, so wird die Hohlform sorg-
fältig entfernt und das Tonmodell feiert seine Aufer-
stehung in einem zwar nicht edlen aber doch haltbaren
Material: der Gipsabguß ist fertig. An jenen Stellen, an
denen die Teile des Hohlmodells aneinanderstoßen, bleiben
die Spuren der Fugen in Form von erhöhten Gipsstreifen,
die man Nähte nennt und leicht entfernen kann, öfters
aber auch stehen läßt, wie Abb. S. 48 zeigt. — Die Aus-
führung in edlerem Material, wie Marmor, Holz etc. ge-
schieht mit Hilfe des Gipsmodelles ; hierüber ein andermal.
Madonna von Emanuel Dite. (Farbige Sonder-
beilage.) — Es ist ein freundlicher Spätsommernach-
mittag. Maria weilt mit dem göttlichen Kinde an einem
friedlichen Plätzchen im Freien. Dem in seligem Behagen
am Herzen der Mutter auf einem Steinblock hingestreckten
Knäblein nahen drei vom Künstler nach Alter und Ge-
mütsanlage fein charakterisierte und nach der Natur
studierte Kinder, geführt von einer mit Myrten gekrönten,
eben erblühenden Jungfrau, auf deren Antlitz und Haltung
ein Abglanz der Würde und Anmut Mariens ruht. Diese
Kindergruppe ist mit Geschmack an die vortrefflich kom-
ponierte tonangebende Gruppe (Maria mit Kind) ange-
gliedert und die Bewegung des rechten Armes Mariens
bildet für Auge und Geist das Bindeglied. Die Neben-
gruppe ordnet sich, obwohl sie aus vier Personen be-
steht, geziemend der Hauptgruppe unter. Der große und
einfache Rhythmus, der in den Linien und Bewegungen
ZU UNSEREN BILDERN
MATTHÄUS SCHIESTL St. CHRISTOPHORUS
IX. Internationale Kunstausstellung in München iqoj
ZU UNSEREN BILDERN
Im vorigen Hefte, brachten wir. auf S. 48 eine Ab-
bildung nach einer prächtigen Porträtbüste des aus-
gezeichneten belgischen Bildhauers Jules Lagae, dessen
Werken neben würdiger künstlerischer Auffassung eine
außerordentliche Natürlichkeit eignet, wofür unsere treff-
liche Porträtbüste, die vom bayerischen Staat angekauft
wurde, einen deutlichen Beleg bildet. An der Abbildung
nun bemerkt man verschiedene Linien, welche vielleicht
den einen oder anderen Betrachter stören möchten, so
senkrecht mitten durch Stirn und Nase, dann oben über
der Stirne an den Haaren, quer über Nasenspitze und
Wangen, endlich an Bart und Ohren. Das sind keine
Fehler der Reproduktion, sondern die sogenannten
»Nähte«, welche sich bei der Herstellung des Gipsab-
gusses nach dem Tonoriginal ergaben und stehen ge-
lassen wurden. Der Werdegang der plastischen Kunst-
werke ist nämlich fast ausnahmslos folgender. Sind die
nötigen und öfters langwierigen Vorarbeiten (kleine Skizzen
in Ton, Plastilin oder Wachs, Hilfsmodelle und ähnliches,
je nach der individuellen Arbeitsgewohnheit eines Künst-
lers) geschehen, so beginnt die Ausführung des Original-
modells in einer eigenen Sorte Ton. Auf einem Eisen-
gerüst von entsprechender Größe, Form und Stärke wird
der butterig weiche Modellierten, den man während der
ganzen Arbeitsdauer weich erhalten muß, in entsprechen-
den Massen angetragen. Aus diesem Ton formt nun der
Künstler mit seinen Fingern unter mäßiger Zuhilfenahme
von sogenannten Modellierhölzern sein Werk und er
haucht ihm eine Seele ein. Nach Vollendung des Ton-
modells, welches das eigentlichste Künstlerschaffen dar-
stellt, wird der Künstler vom Handwerker, dem Gips-
formator, abgelöst, welcher das nasse Modell (der Ton
würde sonst reißen) abgießt. Zu diesem Behufe wird
das Tonmodell vollständig (Reliefs selbstverständlich nur
auf der Bildseite) in eine dicke und starke Gipsschicht
eingehüllt: es handelt sich darum, eine »Hohlform« zu
bekommen. Bei flacheren Reliefs kann die Gipsschicht
gewöhnlich in einem einzigen Stück weggenommen
werden, sobald sie genügend erhärtet und der von ihr
umfaßte Ton durch Trocknen zusammengeschrumpft ist.
Nicht so einfach geht es bei Rundfiguren, wie z. B. bei
unserer Büste S. 48; in diesen Fällen muß bei An-
bringung des Gipsmantels gesorgt werden, daß derselbe
sich beim Wegnehmen auf eine rationelle Weise in
eine größerer Anzahl Teilstücke zerlegen läßt. Der Gips-
formator bewerkstelligt dies dadurch, daß er durch Ein-
stecken von eng aneinander gereihten Stückchen Blech
in das Modell an den gewünschten Stellen gewisser-
maßen Nähte in der über das Modell zu legenden Gips-
schicht anbringt, um an diesen Nähten die Schicht zum
Zweck des Abnehmens in entsprechende Teile zerlegen
zu können. Ist das Abnehmen des Gipsmantels voll-
zogen, so ist zwar das inzwischen eingeschrumpfte Ton-
modell zerstört, aber dafür hat man aus den wieder zu-
sammengefügten Teilen des Übergusses eine genau dem
ursprünglichen Tonmodell entsprechende Hohlform er-
halten. Dieselbe wird nun mit einer starken Gipsschicht
belegt; ist diese erhärtet, so wird die Hohlform sorg-
fältig entfernt und das Tonmodell feiert seine Aufer-
stehung in einem zwar nicht edlen aber doch haltbaren
Material: der Gipsabguß ist fertig. An jenen Stellen, an
denen die Teile des Hohlmodells aneinanderstoßen, bleiben
die Spuren der Fugen in Form von erhöhten Gipsstreifen,
die man Nähte nennt und leicht entfernen kann, öfters
aber auch stehen läßt, wie Abb. S. 48 zeigt. — Die Aus-
führung in edlerem Material, wie Marmor, Holz etc. ge-
schieht mit Hilfe des Gipsmodelles ; hierüber ein andermal.
Madonna von Emanuel Dite. (Farbige Sonder-
beilage.) — Es ist ein freundlicher Spätsommernach-
mittag. Maria weilt mit dem göttlichen Kinde an einem
friedlichen Plätzchen im Freien. Dem in seligem Behagen
am Herzen der Mutter auf einem Steinblock hingestreckten
Knäblein nahen drei vom Künstler nach Alter und Ge-
mütsanlage fein charakterisierte und nach der Natur
studierte Kinder, geführt von einer mit Myrten gekrönten,
eben erblühenden Jungfrau, auf deren Antlitz und Haltung
ein Abglanz der Würde und Anmut Mariens ruht. Diese
Kindergruppe ist mit Geschmack an die vortrefflich kom-
ponierte tonangebende Gruppe (Maria mit Kind) ange-
gliedert und die Bewegung des rechten Armes Mariens
bildet für Auge und Geist das Bindeglied. Die Neben-
gruppe ordnet sich, obwohl sie aus vier Personen be-
steht, geziemend der Hauptgruppe unter. Der große und
einfache Rhythmus, der in den Linien und Bewegungen