96 IX. INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG IN MÜNCHEN 1905
IX. INTERNATIONALE KUNST-
AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN 1905
Von FRANZ WOLTER
(Fortsetzung)
Je eingehender man die Wer-
ke der fremden Künstler
betrachtet, desto mehr ver-
liert man den Glauben an
eine allgemein gültige inter-
nationale Kunst. Es gibt
wohl hie und da gemeinsame
Berührungspunkte und Über-
einklänge , aber es treten
auch sofort scharfe Unter-
schiede hervor, die von tief-
innerlicher Bedeutung sind,
die vorzugsweise in der Be-
sonderheit des nationalen
Wesens beruht. Gerade in
der Betonung dieses Wesens
sehen wir, daß es die höchste
Aufgabe der Kunst ist, dem
nationalen Empfinden zu ent-
sprechen. Die Quelle aber, aus welcher diese
nationale Eigenart strömt, ist das Volkstüm-
liche, das jeder Kunst ihren inneren Wert ver-
leiht. Die Kräfte, welche die Kunst stets ver-
jüngen, werden nur im Volke der Heimat er-
zeugt und man kann kühn behaupten, daß noch
niemals ein Künstler in einer fremden Sprache
groß geworden. So sehr daher einerseits
die fremde Kunst auf die unserige fruchtbar
gewirkt haben kann, so schädlich wurde sie
anderseits, als gar zu oft und intensiv von
jugendlichen Literaten die fremde Kunst der
deutschen zum Vorbild errichtet wurde. Es
lassen sich zwischen beiden nicht einmal
Parallelen ziehen; will man heimischer und
fremder Kunst gerecht werden, so muß man
die ausgesprochenen und unausgesprochen
gebliebenen Absichten betrachten, von denen
die verschiedenen Volkscharaktere ausgehen.
Will man dann Unterschiede machen, so
kommt die deutsche Kunst, auch bei objek-
tivster Betrachtung nicht zu kurz. So braucht
man nicht lange, um zu erkennen, mit welch
souveräner Sicherheit die Franzosen zeichnen
und malen können, was einer guten Tradi-
tion zuzuschreiben ist. Sie sind auch ge-
schickter als ein Deutscher; aber wie dieser
die Natur sieht, sie durchdringt, durchdenkt
mit einem weichen und reichen Gemüt, das
geht der welschen Kunst ab, sie ist dazu viel
zu temperamentvoll, äußerlich lebendig, prik-
kelnd, reizvoll und unterhaltend; das alles ist
dem Deutschen fremder. Und doch war die
französische Kunst nicht immer so; man
denke an die gotische Epoche und an die
uns noch erinnerliche Schule von Barbizon
und Fontainebleau.
Große Anstrengungen, ihr Bestes zu bieten,
haben nicht alle Länder gemacht; wir können
einen klaren Überblick über ausländische
Kunst hier in München doch nicht erlangen,
denn es wird zu viel Handelsware geschickt,
wogegen man es den Deutschen sehr übel
nimmt, wenn sie solcherlei zur Ausstellung
senden. Gerade in dem größeren Sale der
Franzosen wimmelt es von billigen Sachen.
Und wie kommen wir Deutsche dazu, für
ausländischen Kitsch, der in mancher Hin-
sicht bei uns noch besser ist, Propaganda zu
machen? Hier, wo die einheimischen echten
Künstler noch nicht verstanden und deren
Werke nicht gekauft werden! Warum soll
denn immer deutsche Kraft und deutsche
Gutmütigkeit sich freiwillig vor den Triumph-
wagen einer im Niedergang befindlichen
Kunst und Kultur spannen, während bei uns
die Künstler die mäßigsten Preise für ihre
Werke erzielen. Die berühmten Franzosen
Raffaeli, du Gardin, Mousset, Roll,
Ghubas, Besnard, Rob. Fleury, Car-
riere, Blanche, Beraud, L’Hermitte
haben heuer nur ihre Visitkarten abgegeben.
Ein wenig besser, doch auch skizzenhaft und
sehr billig zusammengestrichen ist die Mas-
kerade von Louis Simon. Vortrefflich
dagegen ist das einfache, ausdrucksvolle Bild-
nis von Albert Laurens.Jules Lefebvre
erscheint recht flau, und Bouguerau, der
Maler des zweiten Kaiserreiches, malt noch
immer seine zuckersüßen Mädchen, das Ent-
zücken aller Gymnasiasten, und stets muß
der bekannte Amor mit schön frisiertem
Köpfchen dabei sein. Und doch, ist schließ-
lich Bouguerau um so viel schlechter als
Grenze? Nach vielem Schwarzbrot kann
man auch einmal ein Stück Kuchen genießen.
Gegen solche Kunst ist freilich die der
Schweizer herb, hart und fast grausam, aber
es steckt Kraft in der Rasse, nicht in der
ganzen zwar, denn neben der feierlichsten
Größe thront auch der fröhliche Dilettantis-
mus, entweder in buntem Bilderbogenstil oder
in einer verschwommenen Soßigkeit. Ein
Künstler, der es versteht, aus dem Vollen zu
schöpfen, der noch unverbrauchte Kraft zum
Edelsten der Kunst, der Monumentalmalerei
in sich trägt, ist Ferdinand Hodler. Sein
großes, als Wandmalerei erdachtes Werk ge-
hört eigentlich nicht auf einen modernen
Kunstmarkt. Dieser Rückzug der Krieger
von Marignan will anders betrachtet sein, in
IX. INTERNATIONALE KUNST-
AUSSTELLUNG IN MÜNCHEN 1905
Von FRANZ WOLTER
(Fortsetzung)
Je eingehender man die Wer-
ke der fremden Künstler
betrachtet, desto mehr ver-
liert man den Glauben an
eine allgemein gültige inter-
nationale Kunst. Es gibt
wohl hie und da gemeinsame
Berührungspunkte und Über-
einklänge , aber es treten
auch sofort scharfe Unter-
schiede hervor, die von tief-
innerlicher Bedeutung sind,
die vorzugsweise in der Be-
sonderheit des nationalen
Wesens beruht. Gerade in
der Betonung dieses Wesens
sehen wir, daß es die höchste
Aufgabe der Kunst ist, dem
nationalen Empfinden zu ent-
sprechen. Die Quelle aber, aus welcher diese
nationale Eigenart strömt, ist das Volkstüm-
liche, das jeder Kunst ihren inneren Wert ver-
leiht. Die Kräfte, welche die Kunst stets ver-
jüngen, werden nur im Volke der Heimat er-
zeugt und man kann kühn behaupten, daß noch
niemals ein Künstler in einer fremden Sprache
groß geworden. So sehr daher einerseits
die fremde Kunst auf die unserige fruchtbar
gewirkt haben kann, so schädlich wurde sie
anderseits, als gar zu oft und intensiv von
jugendlichen Literaten die fremde Kunst der
deutschen zum Vorbild errichtet wurde. Es
lassen sich zwischen beiden nicht einmal
Parallelen ziehen; will man heimischer und
fremder Kunst gerecht werden, so muß man
die ausgesprochenen und unausgesprochen
gebliebenen Absichten betrachten, von denen
die verschiedenen Volkscharaktere ausgehen.
Will man dann Unterschiede machen, so
kommt die deutsche Kunst, auch bei objek-
tivster Betrachtung nicht zu kurz. So braucht
man nicht lange, um zu erkennen, mit welch
souveräner Sicherheit die Franzosen zeichnen
und malen können, was einer guten Tradi-
tion zuzuschreiben ist. Sie sind auch ge-
schickter als ein Deutscher; aber wie dieser
die Natur sieht, sie durchdringt, durchdenkt
mit einem weichen und reichen Gemüt, das
geht der welschen Kunst ab, sie ist dazu viel
zu temperamentvoll, äußerlich lebendig, prik-
kelnd, reizvoll und unterhaltend; das alles ist
dem Deutschen fremder. Und doch war die
französische Kunst nicht immer so; man
denke an die gotische Epoche und an die
uns noch erinnerliche Schule von Barbizon
und Fontainebleau.
Große Anstrengungen, ihr Bestes zu bieten,
haben nicht alle Länder gemacht; wir können
einen klaren Überblick über ausländische
Kunst hier in München doch nicht erlangen,
denn es wird zu viel Handelsware geschickt,
wogegen man es den Deutschen sehr übel
nimmt, wenn sie solcherlei zur Ausstellung
senden. Gerade in dem größeren Sale der
Franzosen wimmelt es von billigen Sachen.
Und wie kommen wir Deutsche dazu, für
ausländischen Kitsch, der in mancher Hin-
sicht bei uns noch besser ist, Propaganda zu
machen? Hier, wo die einheimischen echten
Künstler noch nicht verstanden und deren
Werke nicht gekauft werden! Warum soll
denn immer deutsche Kraft und deutsche
Gutmütigkeit sich freiwillig vor den Triumph-
wagen einer im Niedergang befindlichen
Kunst und Kultur spannen, während bei uns
die Künstler die mäßigsten Preise für ihre
Werke erzielen. Die berühmten Franzosen
Raffaeli, du Gardin, Mousset, Roll,
Ghubas, Besnard, Rob. Fleury, Car-
riere, Blanche, Beraud, L’Hermitte
haben heuer nur ihre Visitkarten abgegeben.
Ein wenig besser, doch auch skizzenhaft und
sehr billig zusammengestrichen ist die Mas-
kerade von Louis Simon. Vortrefflich
dagegen ist das einfache, ausdrucksvolle Bild-
nis von Albert Laurens.Jules Lefebvre
erscheint recht flau, und Bouguerau, der
Maler des zweiten Kaiserreiches, malt noch
immer seine zuckersüßen Mädchen, das Ent-
zücken aller Gymnasiasten, und stets muß
der bekannte Amor mit schön frisiertem
Köpfchen dabei sein. Und doch, ist schließ-
lich Bouguerau um so viel schlechter als
Grenze? Nach vielem Schwarzbrot kann
man auch einmal ein Stück Kuchen genießen.
Gegen solche Kunst ist freilich die der
Schweizer herb, hart und fast grausam, aber
es steckt Kraft in der Rasse, nicht in der
ganzen zwar, denn neben der feierlichsten
Größe thront auch der fröhliche Dilettantis-
mus, entweder in buntem Bilderbogenstil oder
in einer verschwommenen Soßigkeit. Ein
Künstler, der es versteht, aus dem Vollen zu
schöpfen, der noch unverbrauchte Kraft zum
Edelsten der Kunst, der Monumentalmalerei
in sich trägt, ist Ferdinand Hodler. Sein
großes, als Wandmalerei erdachtes Werk ge-
hört eigentlich nicht auf einen modernen
Kunstmarkt. Dieser Rückzug der Krieger
von Marignan will anders betrachtet sein, in