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E2W DAS BREVIARIUM GRIMANI ^3
DAS BREVIARIUM GRIMANI
as erste Lob soll diesmal nicht dem Kunst-
werke selbst gelten noch seinen Urhebern,
wer diese auch gewesen sein mögen, sondern
der Vervielfältigung und damit gleichsam
Aufschließung des schwer zugänglichen
UnikumsI). Es gehörte kein geringer Mut
zu dem Versuche, das Breviarium Grimani
in seinem ganzen Umfange getreu und teil-
weise in den eigenen Farben wiederzugeben.
Nicht allein das finanzielle nicht zu unter-
schätzende Risiko, sondern auch die viel-
seitigen Schwierigkeiten konnten von dem Ge-
danken zurückschrecken. Alle Mitwirkenden
aber, Herausgeber, Ausführende, Verleger,
teilen mit Ehren den Ruhm des Erfolges;
und wenn die Wertschätzung des Geleisteten
den verdienten Umfang bekommt, so wird
dem künstlerischen und technischen Erfolge
auch der materielle nicht ausbleiben. Es kann
ein Zweifel darüber nicht erhoben werden,
daß die Veröffentlichung, alle Mittel der
Photographie und des Farbendruckes in be-
herrschender, umsichtiger, planvoller Weise
anwendend, nichts zu wünschen übrig läßt,
und daß der Beschauer und Benutzer, wo
das un bewaffnete Auge nicht ausreicht, getrost
zum Vergrößerungsglas greifen darf, um die
Einzelheiten zu studieren. Und das ist bei
allen bisher vorliegenden Blättern in fast
gleichem Maße der Fall; gewisse Wertunter-
schiede sind ja auch bei den Blättern des
Originals vorhanden.
Einen großen Erfolg hat das Unternehmen
schon gleich mit seinem Hervortreten gehabt,
nämlich den, daß es den Namen »Breviarium
Grimani«, der früher nur Eingeweihteren
vertraut war, in aller Mund gebracht hat.
Man muß eben von heute ab wenigstens
einigermaßen mit diesem Hauptwerke der
Buchmalerei bekannt sein. Darum schadet
es auch nichts, wenn sich manches darüber
in den verschiedenen Zeitschriften, die ja gar
verschiedene Leserkreise haben, wiederholt.
Wer die tatsächlichen Angaben zum erstenmal
liest, erfährt sie; wer sie bereits gelesen hat,
freut sich, sie schon zu kennen, oder prägt
sie sich gerne noch fester ein, und es wächst
ihm die Lust, neben den paar Schwarzdrucken,
die ihm zu Gesicht gekommen sind, auch
4 DAS BREVIARIUM GRIMANI in der Bibliothek
von San Marco in Venedig. Vollständige photo-
graphische Reproduktion, herausgegeben durch Scato
de Vries, Direktor der Universitätsbibliothek zu Leiden,
und S. Morpurgo, Direktor der Bibliothek von San
Marco. Leiden, A. W. Sijthoff, Leipzig, Karl W.
Hiersemann.
die ganze künstlerische Wiedergabe zu sehen
und mit Ruhe durchstudieren zu können,
was ja hinsichtlich des Originals auch heute
trotz vergrößerter Zugänglichkeit der Biblio-
thekenschätze nur den allerwenigsten zuteil
werden kann.
Was ist das »Breviarium Grimani«? Das
unschätzbare Werk, dunkel in seinem Ur-
sprünge, dunkel in seiner Bestimmung, hat
eine kurze Geschichte.
Es ist ein Brevier, die Sammlung der
pflichtmäßigen, täglichen frommen Lesungen
(Gebetsstunden) des katholischen Priesters.
Sein Inhalt erstreckt sich darum auf den ganzen
Jahreskreis; ihm liegt natürlich das Kirchen-
jahr zugrunde, beginnend mit dem ersten
Adventsonntage. Voraufgestellt ist dem
Brevier ein Kalender; er beginnt jedoch mit
dem i. Januar; dieser ist als ein Sonntag
gedacht und der Sonntagsbuchstabe ist A;
dem Februar sind 28 Tage gegeben.
Wann ist das Kunstwerk entstanden? Ge-
schrieben und gemalt ist es zweifellos im
15. Jahrhundert oder spätestens ganz im
Anfänge des 16. Jahrhunderts, also zu einer
Zeit, wo die Feinmalerei, die in den Klöstern
des Mittelalters durch die frommen und doch
auch oft genug recht fröhlich zufriedenen
geistlichen Maler und Malerinnen zu einer
außerordentlichen Vollkommenheit gebracht
worden war, sich über die Klostermauern
hinaus in die Welt gewagt und bereits von
dem frischen Lebensblute einer neuen Zeit
in der geistigen, künstlerischen, wirtschaft-
lichen, kurz alles umfassenden Entwicklung
der Menschheit in sich aufgenommen hatte.
So ist das Breviarium Grimani nicht nur das
kostbarste und kunstvollste aller bekannten
Breviere, sondern zugleich eines der wenigen
allerkostbarsten Bücher überhaupt, die mit
jenen feinen Handmalereien ausgestattet sind.
Warum heißt das Brevier Breviarium
Grimani? Der Kardinal Domenico Grimani
in Venedig war ein Liebhaber von Gemälden
und sonstigen Kunstwerken und kaufte (an-
geblich im Jahre 1489) das Buch von einem
Händler Messer (Herr, Monsieur) Antonio
Siciliano für seine Sammlung zum Preise von
500 Dukaten. Das Brevier ist also nicht etwa
für den Gebrauch des Kardinals angefertigt
worden.
Von wem war das Werk bestellt, oder für
wen war es bestimmt? Aus allerlei Eigen-
tümlichkeiten hat man geschlossen, es sei für
einen Angehörigen des Franziskanerordens
geschrieben; es mußte ein sehr vornehmer
sein. Und da nun Papst Sixtus IV. (della
Rovere »von der Eiche«) vor seiner Erhebung
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DAS BREVIARIUM GRIMANI
as erste Lob soll diesmal nicht dem Kunst-
werke selbst gelten noch seinen Urhebern,
wer diese auch gewesen sein mögen, sondern
der Vervielfältigung und damit gleichsam
Aufschließung des schwer zugänglichen
UnikumsI). Es gehörte kein geringer Mut
zu dem Versuche, das Breviarium Grimani
in seinem ganzen Umfange getreu und teil-
weise in den eigenen Farben wiederzugeben.
Nicht allein das finanzielle nicht zu unter-
schätzende Risiko, sondern auch die viel-
seitigen Schwierigkeiten konnten von dem Ge-
danken zurückschrecken. Alle Mitwirkenden
aber, Herausgeber, Ausführende, Verleger,
teilen mit Ehren den Ruhm des Erfolges;
und wenn die Wertschätzung des Geleisteten
den verdienten Umfang bekommt, so wird
dem künstlerischen und technischen Erfolge
auch der materielle nicht ausbleiben. Es kann
ein Zweifel darüber nicht erhoben werden,
daß die Veröffentlichung, alle Mittel der
Photographie und des Farbendruckes in be-
herrschender, umsichtiger, planvoller Weise
anwendend, nichts zu wünschen übrig läßt,
und daß der Beschauer und Benutzer, wo
das un bewaffnete Auge nicht ausreicht, getrost
zum Vergrößerungsglas greifen darf, um die
Einzelheiten zu studieren. Und das ist bei
allen bisher vorliegenden Blättern in fast
gleichem Maße der Fall; gewisse Wertunter-
schiede sind ja auch bei den Blättern des
Originals vorhanden.
Einen großen Erfolg hat das Unternehmen
schon gleich mit seinem Hervortreten gehabt,
nämlich den, daß es den Namen »Breviarium
Grimani«, der früher nur Eingeweihteren
vertraut war, in aller Mund gebracht hat.
Man muß eben von heute ab wenigstens
einigermaßen mit diesem Hauptwerke der
Buchmalerei bekannt sein. Darum schadet
es auch nichts, wenn sich manches darüber
in den verschiedenen Zeitschriften, die ja gar
verschiedene Leserkreise haben, wiederholt.
Wer die tatsächlichen Angaben zum erstenmal
liest, erfährt sie; wer sie bereits gelesen hat,
freut sich, sie schon zu kennen, oder prägt
sie sich gerne noch fester ein, und es wächst
ihm die Lust, neben den paar Schwarzdrucken,
die ihm zu Gesicht gekommen sind, auch
4 DAS BREVIARIUM GRIMANI in der Bibliothek
von San Marco in Venedig. Vollständige photo-
graphische Reproduktion, herausgegeben durch Scato
de Vries, Direktor der Universitätsbibliothek zu Leiden,
und S. Morpurgo, Direktor der Bibliothek von San
Marco. Leiden, A. W. Sijthoff, Leipzig, Karl W.
Hiersemann.
die ganze künstlerische Wiedergabe zu sehen
und mit Ruhe durchstudieren zu können,
was ja hinsichtlich des Originals auch heute
trotz vergrößerter Zugänglichkeit der Biblio-
thekenschätze nur den allerwenigsten zuteil
werden kann.
Was ist das »Breviarium Grimani«? Das
unschätzbare Werk, dunkel in seinem Ur-
sprünge, dunkel in seiner Bestimmung, hat
eine kurze Geschichte.
Es ist ein Brevier, die Sammlung der
pflichtmäßigen, täglichen frommen Lesungen
(Gebetsstunden) des katholischen Priesters.
Sein Inhalt erstreckt sich darum auf den ganzen
Jahreskreis; ihm liegt natürlich das Kirchen-
jahr zugrunde, beginnend mit dem ersten
Adventsonntage. Voraufgestellt ist dem
Brevier ein Kalender; er beginnt jedoch mit
dem i. Januar; dieser ist als ein Sonntag
gedacht und der Sonntagsbuchstabe ist A;
dem Februar sind 28 Tage gegeben.
Wann ist das Kunstwerk entstanden? Ge-
schrieben und gemalt ist es zweifellos im
15. Jahrhundert oder spätestens ganz im
Anfänge des 16. Jahrhunderts, also zu einer
Zeit, wo die Feinmalerei, die in den Klöstern
des Mittelalters durch die frommen und doch
auch oft genug recht fröhlich zufriedenen
geistlichen Maler und Malerinnen zu einer
außerordentlichen Vollkommenheit gebracht
worden war, sich über die Klostermauern
hinaus in die Welt gewagt und bereits von
dem frischen Lebensblute einer neuen Zeit
in der geistigen, künstlerischen, wirtschaft-
lichen, kurz alles umfassenden Entwicklung
der Menschheit in sich aufgenommen hatte.
So ist das Breviarium Grimani nicht nur das
kostbarste und kunstvollste aller bekannten
Breviere, sondern zugleich eines der wenigen
allerkostbarsten Bücher überhaupt, die mit
jenen feinen Handmalereien ausgestattet sind.
Warum heißt das Brevier Breviarium
Grimani? Der Kardinal Domenico Grimani
in Venedig war ein Liebhaber von Gemälden
und sonstigen Kunstwerken und kaufte (an-
geblich im Jahre 1489) das Buch von einem
Händler Messer (Herr, Monsieur) Antonio
Siciliano für seine Sammlung zum Preise von
500 Dukaten. Das Brevier ist also nicht etwa
für den Gebrauch des Kardinals angefertigt
worden.
Von wem war das Werk bestellt, oder für
wen war es bestimmt? Aus allerlei Eigen-
tümlichkeiten hat man geschlossen, es sei für
einen Angehörigen des Franziskanerordens
geschrieben; es mußte ein sehr vornehmer
sein. Und da nun Papst Sixtus IV. (della
Rovere »von der Eiche«) vor seiner Erhebung