©W ZUR SÜDDEUTSCHEN BUCHMALEREI
259
wird dann auf
Vorder- wie
Rückseite
durch einen
prachtvoll
modellierten
Pelikan un-
terbrochen,
der sich mit
dem Schna-
bel Federn
aus der Brust
reißt. Den
oberen Ab-
schluß des
Untersatzes,
der sich aus
je zwei Ein-
ziehungen
und Ausla-
dungen zu-
sammensetzt,
hat das Kreuz
erst bei seiner
letzten um-
fassenden Er-
neuerung im
Jahre 1896 er-
halten. Die
noch auf die
Gotikzurück-
verweisende
Kreuzform
STATUETTE DES HL. JAKOBUS
AUS DER KATH. PFARRKIRCHE IN NEISSE
VON M. ALISCHER
Ausstellung in Breslau igog
ist mit im Vierpaß gestalteten Enden beibe-
halten. Der oberste Vierpaß zeigt, aus den
Ecken hervortretend, vier schraubenförmige
Gebilde, welche vielleicht die Kreuznägel
darstellen sollen. Die Winkel des Kruzi-
fixus füllen rautenförmige Vorsprünge aus,
so daß das ganze Kreuz wie auf einem Kissen
ruhend erscheint. Über dem Kreuze erhebt
sich, wie schon erwähnt, ein Flammenstern,
der auf Vorder- und Rückseite mit je einem
prachtvollen Halbedelstein geschmückt ist und
von einem kleineren Pelikan überragt wird,
der auf seinem Neste sitzt. Das ganze Werk
ist in reichster Weise mit Silberfiligran-Email
bedeckt. Frei davon bleiben nur die figür-
lichen Teile und der Aufsatz oberhalb des
Kreuzes. Die zur Verwendung gekommenen
Emailfarben sind vorzugsweise hellblau, dunkel-
blau, gelegentlich rot, gelb und grün; be-
sonders die letzteren drei stimmen herrlich
zu dem goldenen Untergrund. Die Emails
sind teilweise nur gemalt, teils in gehöhter
Arbeit ausgeführt. Von besonders hervor-
ragender Schönheit ist die Emailinschrift über
dem Kruzifixus JNRJ, wie denn überhaupt
das eigentliche Kreuz am reichsten behandelt
ist. Mit dem Silberfiligrannetz ist der deko-
rative Schmuck des Werkes bei weitem nicht
erschöpft; es dient vielmehr erst einem wahren
Edelsteinteppich als Auflager, der im Verein
mit dem buntfarbigen Email in fast sinnver-
wirrender Weise die Fläche überziehend, die
Grundform des Ganzen derartig verhüllt, daß
man sich fast mühsam erst zu seinen schönen
Grundlinien durchsehen muß. In dem über-
mäßigen und vielleicht — aber dann wohl
nur auf fremden Antrieb hin — absichtlichen
Reichtum des Kreuzes an Dekoration und
Schmuck liegt unleugbar schon ein gewisser
barocker Zug. Man könnte sich also recht
wohl geneigt sehen, in Fabian Nitsch ebenso,
wie er uns bei seinen früheren Werken in
manchen Punkten als archaisierender, letzter
Ausläufer vergangener Kunstrichtungen er-
scheinen mochte, hier, wo er gleichsam die
berauschende Pracht der Jesuitenkunst zu
antizipieren strebt, einen Vorläufer und An-
kündiger kommender Stilprägung zu erkennen.
Die figürlichen Teile des Kreuzes sind recht
gut gearbeitet, namentlich die edle freie Durch-
führung der Gestalt des Gekreuzigten offen-
bart einen erfreulichen Beweis von dem
gesunden Formenverständnis des gereiften
Fabian Nitsch.1) (Schluß folgt)
ZUR SÜDDEUTSCHEN BUCH-
MALEREI DES SPÄTEREN MITTEL-
ALTERS
Von BEDA KLEINSCHMIDT O. F. M. in Haareveld
(Holland)
Jene merkwürdige Umwälzung in der Malerei,
»die zwischen 1440 und 1460 stattfand,
wie sie in so kurzer Zeit vielleicht noch nie
dagewesen war«,2) kann unmöglich richtig
gewürdigt werden, wenn man nur die Tafel-
malerei berücksichtigt, ohne auch die Minia-
turen in den Kreis seiner Beobachtungen zu
ziehen. »Der griechischen Kunst Entwicklung
mag ohne Kenntnis der Vasenmalerei immer-
hin verfolgbar sein, wer aber den kleinen,
naiven, unbeholfenen und urwüchsigen Rand-
malereien und Initialzierden der nordischen
Kunst fremd gegenübersteht, wird den großen
Umschwung, der sich im 15. Jahrhundert
vollzieht, nicht verstehen können«.3) Gewährt
z) Zu den Abb. 253, 256—59 vgl. die Rubrik »Zu
unsern Bildern.«
2) Schmidt, Wilh., Interessante Formenschnitte des
15. Jahrh., München 1886.
3) Bredt, Katalog der mittelalterlichen Miniaturen des
Germanischen Nationalmuseums. (Mit zahlreichen Abb.
u. Taf.) Nürnberg 1903, S. 4.
259
wird dann auf
Vorder- wie
Rückseite
durch einen
prachtvoll
modellierten
Pelikan un-
terbrochen,
der sich mit
dem Schna-
bel Federn
aus der Brust
reißt. Den
oberen Ab-
schluß des
Untersatzes,
der sich aus
je zwei Ein-
ziehungen
und Ausla-
dungen zu-
sammensetzt,
hat das Kreuz
erst bei seiner
letzten um-
fassenden Er-
neuerung im
Jahre 1896 er-
halten. Die
noch auf die
Gotikzurück-
verweisende
Kreuzform
STATUETTE DES HL. JAKOBUS
AUS DER KATH. PFARRKIRCHE IN NEISSE
VON M. ALISCHER
Ausstellung in Breslau igog
ist mit im Vierpaß gestalteten Enden beibe-
halten. Der oberste Vierpaß zeigt, aus den
Ecken hervortretend, vier schraubenförmige
Gebilde, welche vielleicht die Kreuznägel
darstellen sollen. Die Winkel des Kruzi-
fixus füllen rautenförmige Vorsprünge aus,
so daß das ganze Kreuz wie auf einem Kissen
ruhend erscheint. Über dem Kreuze erhebt
sich, wie schon erwähnt, ein Flammenstern,
der auf Vorder- und Rückseite mit je einem
prachtvollen Halbedelstein geschmückt ist und
von einem kleineren Pelikan überragt wird,
der auf seinem Neste sitzt. Das ganze Werk
ist in reichster Weise mit Silberfiligran-Email
bedeckt. Frei davon bleiben nur die figür-
lichen Teile und der Aufsatz oberhalb des
Kreuzes. Die zur Verwendung gekommenen
Emailfarben sind vorzugsweise hellblau, dunkel-
blau, gelegentlich rot, gelb und grün; be-
sonders die letzteren drei stimmen herrlich
zu dem goldenen Untergrund. Die Emails
sind teilweise nur gemalt, teils in gehöhter
Arbeit ausgeführt. Von besonders hervor-
ragender Schönheit ist die Emailinschrift über
dem Kruzifixus JNRJ, wie denn überhaupt
das eigentliche Kreuz am reichsten behandelt
ist. Mit dem Silberfiligrannetz ist der deko-
rative Schmuck des Werkes bei weitem nicht
erschöpft; es dient vielmehr erst einem wahren
Edelsteinteppich als Auflager, der im Verein
mit dem buntfarbigen Email in fast sinnver-
wirrender Weise die Fläche überziehend, die
Grundform des Ganzen derartig verhüllt, daß
man sich fast mühsam erst zu seinen schönen
Grundlinien durchsehen muß. In dem über-
mäßigen und vielleicht — aber dann wohl
nur auf fremden Antrieb hin — absichtlichen
Reichtum des Kreuzes an Dekoration und
Schmuck liegt unleugbar schon ein gewisser
barocker Zug. Man könnte sich also recht
wohl geneigt sehen, in Fabian Nitsch ebenso,
wie er uns bei seinen früheren Werken in
manchen Punkten als archaisierender, letzter
Ausläufer vergangener Kunstrichtungen er-
scheinen mochte, hier, wo er gleichsam die
berauschende Pracht der Jesuitenkunst zu
antizipieren strebt, einen Vorläufer und An-
kündiger kommender Stilprägung zu erkennen.
Die figürlichen Teile des Kreuzes sind recht
gut gearbeitet, namentlich die edle freie Durch-
führung der Gestalt des Gekreuzigten offen-
bart einen erfreulichen Beweis von dem
gesunden Formenverständnis des gereiften
Fabian Nitsch.1) (Schluß folgt)
ZUR SÜDDEUTSCHEN BUCH-
MALEREI DES SPÄTEREN MITTEL-
ALTERS
Von BEDA KLEINSCHMIDT O. F. M. in Haareveld
(Holland)
Jene merkwürdige Umwälzung in der Malerei,
»die zwischen 1440 und 1460 stattfand,
wie sie in so kurzer Zeit vielleicht noch nie
dagewesen war«,2) kann unmöglich richtig
gewürdigt werden, wenn man nur die Tafel-
malerei berücksichtigt, ohne auch die Minia-
turen in den Kreis seiner Beobachtungen zu
ziehen. »Der griechischen Kunst Entwicklung
mag ohne Kenntnis der Vasenmalerei immer-
hin verfolgbar sein, wer aber den kleinen,
naiven, unbeholfenen und urwüchsigen Rand-
malereien und Initialzierden der nordischen
Kunst fremd gegenübersteht, wird den großen
Umschwung, der sich im 15. Jahrhundert
vollzieht, nicht verstehen können«.3) Gewährt
z) Zu den Abb. 253, 256—59 vgl. die Rubrik »Zu
unsern Bildern.«
2) Schmidt, Wilh., Interessante Formenschnitte des
15. Jahrh., München 1886.
3) Bredt, Katalog der mittelalterlichen Miniaturen des
Germanischen Nationalmuseums. (Mit zahlreichen Abb.
u. Taf.) Nürnberg 1903, S. 4.