LEO SAMBERGER
Von Dr. MAX ETTLINGER
Daß alle Schönheit, die nicht nur die Sinne
fesseln, sondern den ganzen Menschen
ergreifen soll, sich erst in der Darstellung
seelischer Werte vollendet, diese Wahrheit
ist, so scheint es, vielen Künstlern der letzten
Epoche aus dem Bewußtsein entschwunden.
Uber der technischen Verfeinerung von Farben-
und Lichtwirkungen, über der raumgestalten-
den Durchbildung von Form und Bildmäßig-
keit kam die seelische Vertiefung selbst da zu
kurz, wo sie schon vom Gegenstand so nahe-
gelegt wird: in der modernen Porträtmalerei.
Das vom Künstler vollkommen durchlebte und
darum auch für den Beschauer zum Erlebnis
werdende Menschenbildnis nach Art eines
Dürer oder Tizian, van Dyck oder Rembrandt
suchte man lange vergeblich. Das mensch-
liche Antlitz erschien auch den Großen zu-
meist nur als eine günstige Gelegenheit, um
daran Farben, Lichter und Formen zu stu-
dieren; bis zur Menschenseele, die aus dem
Antlitz spricht, drang man selten durch. Selbst
die Bedeutung Lenbachscher Porträts liegt —
abgesehen vom Technischen — meist mehr
in dem geistigen Eigenwert der vornehmen
Modelle, als in deren vertiefter oder ver-
Die chiistliche Kunst. IT. 6. i. März 1906.
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