Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

DOI Heft:
Heft 7/8
DOI Artikel:
Friedländer, Max J.: Ein neues Madonnenbild Jan Gossaerts
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0137

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EIN NEUES MHDONNENBILD JHN GOS-
S.AERTS Mit drei Abbildungen Von MRX J. FRIEDLÄNDER
Tn das Werk Jan GoJJaerts hat man eine Madonnenkompofition aufgenommen ohne
* das Origina), atfo eine des Meifters würdige Ausführung, zu kennen — nämlich
jene übermäßig kunftvolie Erfindung, der Ernft Weiß^ den Namen „Madonna mit dem
komplizierten Kopftuch" beigelegt hat.
Der Goffaert-Biograph nennt nur wenige von den vielen ihm gewiß bekannt ge-
wordenen Wiederholungen: Exemplare im Gotifchen Haufe zu Wörliß, in der großher-
zoglichen Galerie zu Schwerin und im Hochaltäre der St. Victor-Kirche zu Xanten.
Sowohl die Antwerpener wie die Brüffeler Galerie befißen Repliken. Auch die Galerie
von Modena. Im Kunfthandel der lebten Jahrzehnte ift die Kompofition oft auf-
getaucht. Die Maße find ftets ungefähr 60 cm in der Höhe, 50 in der Breite.
Was die Erfindung betrifft, fteht Goffaerts Autorfchaft über jedem Zweifel. Ja diefe
Kompofition kann geradezu als Schulbeifpiel für des Meifters Streben und Können
gezeigt werden.
Die Wiederholungen, die ich zu prüfen Gelegenheit hatte, weichen in Nebendingen
namentlich in der Füllung des Hintergrundes ftark voneinander ab, einige von ihnen,
erfichtlich erft um 1550 entftanden, zeigen einen leeren und weichlichen Madonnenkopf,
in dem nicht viel von Goffaerts Typus gewahrt ift, in den Hauptzügen der Figuren-
gruppe aber decken fie fich fämtiich vollkommen.
Man erinnert fich vor folchen Nachahmungen der Stelle in van Manders vita Pieter
Coecks, wo von Pauweis van Aelft, einem unehelichen Sohn Pieters, erzählt wird, er
habe fich ausgezeichnet im Kopieren nach Jan Goffaert.
Der Verfuch, fich aus all den Kopien eine Vorftellung von dem verfchollenen Ori-
ginale zu bilden, gelingt nicht ganz und wird dadurch erfchwert, daß wir nicht wiffen,
ob auch nur eine der bekannt gewordenen Nachahmungen direkt von dem Urbild abftamme.
Viele der Repliken enthalten erfichtlich Züge, die mit Goffaerts Stilcharakter unver-
einbar find, und gerade in folchen Zügen weichen fie voneinander ab. So liegen
einige Male Kirfchen auf der Tifchplatte in der Antwerpener Galerie und in der ehe-
maligen Sammlung Hofchek. Solche ftillebenartigen Zutaten findet man häufig in den
Madonnenbildern des Joos van Cleve, aber nie in denen Goffaerts. Der Hintergrund
ift mit einem gerafften Vorhang belebt, mit einer Blumenvafe, einer Säule, oder ein
Stück Landfchaft blickt durch ein Fenfter herein. Alle „Bereicherungen" folcher Art,
die von Fall zu Fall und ftets variiert find, deshalb offenbar von den Kopiften her-
rühren, hätte Goffaert als ftörend empfunden.
Wir kennen ja Madonnen in Halbfigur von der Hand des Meifters in beträchtlicher
Zahl und wiffen, daß es ihm allein allein auf die Figur ankam, fehen, wie zielbewußt
er die Wirkung auf das Körperliche, das Kubifche konzentrierte, Landfchaftliches nicht
einließ und den möglidift knapp gehaltenen Grund dunkel neutral färbte. Das Fenfter
mit der Ausficht, das andere Meifter feiner Generation liebten, kommt, foweit ich fehe,
in keiner Madonnenkompofition Goffaerts vor.
Diejenigen Exemplare der „Madonna mit dem komplizierten Kopftuch", die im Typus
der Mutter und des Kindes fowie in der Formbehandlung am entfchiedenften an Gof-
faert erinnern, haben zugleich die ruhigften, relativ ruhige Gründe. Die Replik in
Schwerin hat fogar einen leeren und dunkeln Fond.

* J. Gojfaert .... 1913, S.59 u. 122,

Der Cicerone, IX. Jahrg., Heft 7/8.

10

121
 
Annotationen