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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 11/12
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Hildebrandt, Hans: Die neue TET-Fabrik
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0205

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DIE NEUE TET-FABRIK

Mit sechs Abbildungen
Von HANS HiLDEBRANDT

TDernhard Hoetger, der Bildhauer, ift auserfehen, eine der umfaffendften Fabrik-
^ anlagen unterer Tage zu bauen? Kopffchüttelnd werden viele die Nachricht
vernommen haben. Zwar mußte fie beruhigen, daß der Auftraggeber Hermann
Bahlfen in Hannover ift, der noch nie eines unkünftlerifchen Vorgehens fich
[chuldig gemacht hat. Allein: Diefes Wagnis wider[pricht doch allem Herkommen!
Freiiich nur dem Herkommen unterer Zeit. Denn es gab manche künftlerifche Kuitur,
die keine fo ftrenge Scheidewand zwifchen Baukünftler, Bildhauer und Maler aufrich-
tete, und manche der an künftlerifdier Wirkung ftärkften Bauten find von Peinlich-
keiten entworfen worden, deren meifte Werke nicht der Architektur, fondern einer ihrer
Schwefterkünfte zugehören. Allein unfere Kultur ift noch fo feft verftrickt in Spezia-
liftentum, daß fie fich nur fehr fchwer mit der Vorftellung abfinden mag, es könne
doch auch einmal ein Bildhauer fich mit Glück auf ein Gebiet wagen, das dem durch
jahrelange technifche und künftlerifche Erziehung vorgebildeten Berufsarchitekten Vor-
behalten ift. Und gewiß find die Baumeifter felbft nicht die leßten gewefen, die ge-
zweifelt haben, ob Hoetger die ihm übertragene Monumentalaufgabe zu löfen fähig ift.
Zunächft ift felbftverftändlich zuzugeben, daß jeder fertige Architekt, der eine Reihe
anftrengender und fehr eingehender Studienjahre an einer Technifchen Hochfchule hinter
fich hat, und der die theoretifchen Kenntniffe erft unter der Leitung von Fachgenoffen,
dann felbftändig an einer größeren Zahl von Bauten erproben konnte, einem Künftler,
deffen Schaffen bisher faft ganz in der Plaftik aufging, an gewiffen Einzelkenntniffen
wie an praktifcher Erfahrung überlegen ift. Obfchon was vielleicht nicht allzuviele
wiffen — die Tet-Fabrik nicht der erfte Bau Hoetgers fein wird, da diefer die Um-
wandlung eines alten friefifchen Bauernhaufes zu Fifcherhude in eine großangelegte
Heimftätte für fidi felbft bereits vollzogen hat. Aber ift denn die Kenntnis aller der
technifchen Errungenfchaften und aller der Grundfä^e baukünftlerifchen Schaffens, die
unfere Hochfchulen vermitteln, tatfächlich das Enlfcheidende über die Geftaltung eines
Bauwerks zum Kunftwerk? Dann müßten doch wohl alle, die folch vortreffliche,
gründliche Durchbildung genoffen haben, auch echte Baukünftler geworden fein.
Dem widerfpricht aber leider die Erfahrung. Auf ein paar wirkliche Künftler, die aus
den Hochfchulen hervorgehen, kommen fehr, fehr viele, die vielleicht den Glauben haben,
Baukünftler zu fein, die es aber nicht im mindeften find. Die Erziehung allein kann
mithin nicht den Ausfchlag geben. Sie ift von höchftem Wert für den geborenen
Architekten. Dem Nicht-Berufenen kann fie nur den Schein des Künftlers leihen. Was
in Wahrheit den Baukünftler macht, ift der Geift, ift die angeftammte Begabung, die
Dinge in architektonifchem Sinne umzudenken und die architektonifchen Vorftellungen
mit ftarker Einbildungskraft zu geftalten. Die Herrfchaft des Ganzen über die Teile,
die aus ihm allein ihre Berechtigung ableiten wie die einzelnen Glieder aus dem Orga-
nismus, dem fie dienen, ift bei keinem Kunftwerk ausgeprägter und notwendiger als
bei dem der Architektur; bei keinem ift der Zwang dringender, auch die verwickeltften
und mannigfaltigften Erfcheinungen auf das finnfällig Einfachfte zurückzuführen, den
Zug ins Große zu bewahren, jede Einzelheit nur im Verhältnis zu anderen und zum
Ganzen zu betrachten; und keine Kunft verlangt ein fo verfeinertes Gefühl für die in
der Natur wirkfamen Kräfte wie die abftraktefte der Künfte, deren Gebilde niemals den
Erzeugniffen der fchaffenden Natur gleichen, ihr aber ähnlich fein müffen an Kraft ge-
feßmäßigen Eigenlebens. Ein Künftler, der diefe Forderungen zu erfüllen von Haufe
aus befähigt ift, darf es wagen zu bauen. Denn mangelnde praktifche Erfahrungen

DerCicerone, IX. Jahrg., Heft 11/12.

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