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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 9.1917

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Heft 23/24
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Grautoff, Otto: Die Münchener Kunstgewerbeausstellung in Paris im Jahre 1910 und die französischen Künstler während des Krieges
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https://doi.org/10.11588/diglit.26456#0422

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DIE MÜNCHENER KUNSTGEWERBEAUSSTELLUNG IN
PRRIS IM JRHRE 1910 UND DIE FRANZÖSISCHEN
KÜNSTLER WÄHREND DES KRIEGES

Mehrere Jahre vor dem Kriege hatten einige
hervorragende Vertreter der franzößfehen Kunft-
weit Deutfchiand bereift, um die deutfehen Kunft-
gewerbefchuien und die Leiftungen Deutfchlands
auf dem Gebiete der Außen- und Innenarchitektur
zu befichtigen. Die Berichte, die maßgebende
Franzofen über diefe Studienreife für das Unter-
ftaatsfekretariat der fchönen Künfte in Paris ver-
faßten, fchiiderten in achtungsvolier Anerken-
nung die Lehrmethoden der kunftgewerbiiehen
Schuten Deutfchiands, die großzügigen Bahn-
hofsaniagen, Theaterbauten und die behaglichen
Innenräume, in denen nach dem Urteil der Fran-
zofen die Deutfehen fich bemühten mit Gefchmack
den Forderungen der Gegenwart gerecht zu
werden. Befonderen Beifall zoilten die Fran-
zofen den kunftgewerbiiehen Arbeiten Münchens.
Die Freude über das, was fie in München ge-
fehen hatten, ging fo weit, daß fie den Wunfch
äußerten eine Ausftellung der Münchener Künftler
in Paris zu veranftalten. Franß Jourdain, der
tatkräftige und weitblickende Präfident des pa-
rifer Herbftfaions, war der eifrigfte Förderer
diefes Planes, weil er fich von einer Münchener
Ausfteliung in Paris eine Auffrifchung des fran-
zöfifchen Kunftgewerbes, die ihm wünfehenswert
erfchien, verfprach. Er warb in der Vorftand-
fchaft fo nachdrücklich für die Verwirklichung
diefes Gedankens, bis die Durchführung diefes
Gedankens gefiebert war. Die Münchener, die
ihre großen, künftlerifdien Erfoige bisher größ-
tenteiis im Deutfehen Reich erzielt hatten, leifteten
der an fie ergangenen Einladung unter dem
Geßchtspunkt Foige, daß es fich um einen künft-
lerifchen Gedankenaustaufch handeln folite, nicht
um eine Beabfichtigung wirtfdiaftlicher Ziele.
Diefes war auch das Ergebnis der großen baye-
rifchen Kunftgewerbeausfteilung im Herbftfaion
von 1910. Die bedeutenden Unkoften, die der
Gaft auf fich genommen hatte, um feinen Gaft-
gebern zu zeigen, daß ihn die Einiadung freue,
wurden nicht gedeckt. Die Verkäufe auf der
Ausfteilung waren unbeträchtiich. Aber der Zweck
des künftlerifdien Gedankenaustaufches fchien
erreicht, wie allein der ungewöhnliche Andrang
der Befucher, wie der lebhafte Meinungsaus-
taufch von aiien Künftlern und Kunftfreunden
zu beweifen fchien. Kein Münchner hatte er-
wartet, daß alle Franzofen ailes, was die Münch-
ner ihnen boten, fchön finden würden, zumal
die Innenräume ja nidit für Franzofen, fondern
für Deutfche beftimmt waren. Vor den Gegen-
ständen, die den Franzofen fremd erfchienen,

zeigten die Meiften Achtung, einige fogar ihr
Entzücken, die Gefamtleiftung wurde anerken-
nend beurteilt. Da ich feibft nicht nur Künftier,
fondern auch Sammier, und Leute aus dem Volk
durch die Ausftellung geführt habe, und an der
Höflichkeit und der Kunftfreude der Franzofen
viele Freude erlebt habe, an die ich wehmütig
zurückdenke, fo darf ich mir diefes Urteil über
die Gefamtaufnahme diefer Ausftellung in Paris
wohl ertauben.
Der Erfoig unferer Ausfteliung zeigte fich aber
noch in anderer Hinficht. Vom Jahre 1911 an
hat der Herbftfaion den Münchner Vorbildern
nachzueifern gefucht, indem von diefemjahr an
in den gleichen Sälen, in denen die Münchner
ihre Räume eingebaut hatten, die jungen Fran-
zofen Innenräume einbauten, die ße ganz in
der Art der Münchner, allerdings nicht im Ge-
fchmack der Münchner, fondern natürlich in fran-
zöfifchem Gefchmack ausftatteten. Der Auf-
fchwung des franzößfehen Kunftgewerbes nahm
von der Münchner Ausftellung im Parifer Herbft-
faion vom Jahre 1910 feinen Ausgang. Alle
Kunftfreunde von europäifcher Art haben das
feinerzeit in zahlreichen Auffäßen feftgeftellt,
und ich feibft habe wiederholt mit Genugtuung
auf diefe erfreuliche Tatfache hingewiefen. Kurz
vor dem Kriege war der Plan der Verwirklichung
nahe, in Deutfchiand nun andererfeits eine kunft-
gewerbliche Ausftellung der Franzofen zu ver-
anftalten, an der auch das Thdatre du Vieux
Colombier und Poiret teilnehmen follten. Der
4. Auguft hat mich in der Ausführung diefes
Planes unterbrochen. Unter denen, die fich für
das Mündiener Kunftgewerbe intereffiert hatten,
befand fich vor dem Kriege auch Poiret, der
nicht nur neuen unzeitlichen Kleiderfchnitt ein-
geführt hat, fondern auf ruffifche und deutfche
Anregungen hin eine kunftgewerbliche Schule
eingerichtet hat. Gelegentlich einer Vortrags-
reife durch Deutfchiand und Rußland kaufte er
in allen Ländern Bauernftoffe und Bauernmöbel
ein, die er für feine Kleider und kunftgewerb-
lichen Arbeiten verwertete — u. a. kaufte er
auch bayerifche Stoffe und Möbel.
Diefes „Verbrechen" hat ihm den Ruf ein-
getragen, daß die franzößfehen Kriegsheßer und
feine Gefdiäftsfreunde feine Kunft als „boche"
verleumdeten. Gegen diefe kindlichen Befchimp-
fungen wurde ein Proteft der Künftler und Kunst-
kritiker infzeniert, deren Briefe in „La Ren-
naissance" vom 15J9.16 zum Abdruck gelangten.
Diefe Briefe befchäStigten ßch weniger mit Poiret

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